So schön war die Insel. Bericht aus der West-Berliner Regierungszentrale. Walter Laufenberg

So schön war die Insel. Bericht aus der West-Berliner Regierungszentrale - Walter Laufenberg


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wer hat sich das schon klargemacht. Achja, Plaste und Elaste aus Schkopau, dieser berühmteste Werbespruch der DDR, über den alle Welt lächelt, bei der Fahrt mit dem Wagen auf der Transitstrecke habe ich ihn an einer der Brücken gelesen. Nein, auch kein brauchbares Thema.

      „Der Wagen wackelt so schrecklich, da tun Sie gut daran, sich immer nur sehr wenig Kaffee einzuschütten. Sie kennen die Strecke wohl gut“, plaudert er einfach drauflos. Und erschrickt über sich selbst: Wie kannst du so was sagen, das ist doch nicht dein Bier.

      „Das liegt nicht an dem Wagen“, geht der Mann sofort lebhaft auf den Köder los. „Das liegt am Gleiskörper. Da ist nie was dran gemacht worden. Die ganze Trasse müßte erneuert werden. Der Wagen selbst ist doch großartig. Wissen Sie, ich setze mich immer nur in den Speisewagen. Dieser anheimelnde Gruß der fünfziger Jahre, der einen da empfängt.“

      „Die fünfziger Jahre, ja genau, das ist der Stil“, gibt er sich genauso begeistert.

      Doch braucht er nicht weiterzusprechen, denn der Mann ist schon nicht mehr zu halten: „Sehen Sie, diese angedeutete Trennwand dort, mit dem nierenförmigen Ausschnitt, durch den man geht. Ist das nicht schön? Das war einmal die Grenze zwischen der ersten und der zweiten Klasse. Die Grenze haben sie natürlich beseitigt. Grenzenlos offen jetzt der Wagen, nur noch eine Andeutung von vorderem und hinterem Teil. Und welcher Teil der eine und welcher der andere ist, das ist eine Frage der Sehweise – oder besser: der Fahrtrichtung. Und völlig gleich die Ausstattung, da wie dort. Die taubenblauen Kunstledersitze mit diesen seitlichen, na wie soll ich sagen, Verblendungsscheiben, mit den schmückenden Goldstreifen dran. Gold auf taubenblau, – taubenblau, haben Sie denn dafür nichts übrig?“

      So was wie vornehmes Mattgold auf den Zierleisten, stellt er bei genauerem Hinsehen fest, und braune Klebestreifen über den Nähten. Noch ein einziges Mal dieses Wort taubenblau, denkt er, und mich wundert nicht mehr, wenn er sich plötzlich ganz förmlich gibt, sich aus seinem Sitz erhebt und sich vorstellt: Kuckuck. Ja, das ist es doch, was mir von Anfang an so gefallen hat an diesem Tischnachbarn. Daß er so aussieht, wie früher ein Professor der Paläonthologie auszusehen sich bemühte.

      Und bemerkt, daß sein Gegenüber auf eine Antwort wartet, ihn jedenfalls schon eine ganze Weile schweigend ansieht. Dann aber wohl einsieht, daß nichts mehr kommen wird, und hinausschaut. So kann er sich in die Stimmung der fünfziger Jahre zurücklehnen, seinen Blick auf dem Spiegel am Kopfende des Wagens – oder Fußende? – ausruhen lassen. Ebenfalls nierenförmig. Und kann dem Gedanken nachgehen, daß es wohl in den frühen Fünfzigern gewesen sein müsse, daß er den Felix Krull das erste Mal gelesen hat. Seitdem berührt es mich immer so sonderbar, wenn ich in einem alten Speisewagen sitze. Wenn auch ohne schöne Intarsien. Doch ich sollte jetzt die Verbindung nicht abreißen lassen. Wenn auch kein Professor, vielleicht ist der Mann dennoch ein interessanter Mensch.

      „Bekomme ich eigentlich keinen Ärger mit dem Kellner“, fragt er unvermittelt, aber diesmal darauf achtend, was sein Bier ist, „wenn ich so lange an seinem Tisch sitze ohne zu essen?“

      „Keine Sorge“, beruhigt ihn der Streckenerfahrene, „ich sitze immer die vollen drei Stunden von Braunschweig bis Bahnhof Zoo hier an diesem Tisch bei meinem Kaffee. Da hat niemand was gegen.“

      „Aber das ist doch – ich meine, ich verhalte mich hier doch eigentlich geschäftsschädigend.“

      „Das ist für die Kellner kein Gesichtspunkt“, klärt der Fahrensmann ihn auf, „die sind nicht so dahinter her, sich selbst Arbeit zu machen, – wenn man nur überhaupt etwas bestellt hat.“

      Da fällt ihm auf: Der Kellner hält die beiden Tische am Anfang des Wagens reserviert und scheucht jeden weg, der das nicht sofort sieht. „Für meine Abrechnung nachher“, sagt er zum zweistelligen Male. Er hat wohl als seine eigene Kalkulation im Kopf: freibleibende Stühlezahl mal Fahrstunden mal mögliche Gästezahl gleich gesparte Arbeit. – Aber nicht wieder nur mutmaßen, lieber das Gespräch weiterführen. „Und Sie fahren öfter nach Berlin?“ wird er direkt. „Immer wieder diese endlose Strecke?“

      „Ach, wissen Sie, so weit ist es ja gar nicht von Braunschweig nach Berlin. Gerade zweihundertzwanzig Kilometer sind das, oder drei Stunden Bahnfahrt oder ein Kännchen Kaffee. Und eine nasse Hose, ja allerdings, dieses Kunstleder, das ist das einzig Unangenehme an der Fahrt. Aber was nimmt ein Sammler nicht alles in Kauf, wenn es um seine Leidenschaft geht.“

      Gerade Magdeburg passiert und dann die sich gelangweilt in ihrem Überschwemmungs-Wasserbett räkelnde Elbe überfahren. Die Großstadt wie der Fluß durchaus imponierend genug, um mal einen Zwischenstop zu rechtfertigen, überlegt er. Und dafür wäre der D 247 eigentlich auch nicht zu fein, will meinen: zu eilig. Aber der Wagen, der rollt. Rollt und schlingert zum Gotterbarmen lahm weiter. Das also war Magdeburg. Seine Mietskasernen waren in ein wirres Geflecht von Luftwurzeln ausgefranst. Wie auf den Kopf gestellt. Aber bloß die alten Kästen waren so. Die neueren trugen jeweils nur eine Gemeinschaftsantenne, trugen sie wie einen indianischen Federschmuck. – Vom Bussard? – Egal. Aber, darf ich das Stichwort Sammler aufgreifen? Muß ich es vielleicht sogar, um nicht beleidigend desinteressiert zu wirken? Oder darf ich dieses so sehr vertrauliche Geständnis nicht durch ein Nachfragen noch peinlicher werden lassen? Ja, verflucht noch mal, das kommt doch auf die Frage hinaus: Ist es nun eine Macke, ein Sammler zu sein, oder ist es das nicht?

      „Ich sammle nämlich Visa.“

      „Aha.“ – Und registrierte heimlich: Also doch eine Macke.

      „Wissen Sie, der Kreis der Visacollectors ist noch sehr klein und steht in gar keinem Verhältnis zu der Häufigkeit des Reisens und der Ausstellung von Visa. Aber das ist gerade das Großartige an diesem Sammelgebiet. Daß sich darauf noch nicht Krethi und Plethi herumtummeln, wie bei Briefmarken oder Münzen und Puppen und Zwiebelmustergeschirr und was für einen Unsinn sonst noch die Leute sammeln. Wir Visasammler sind noch recht wenige. Gerade erst haben wir in Amsterdam unseren europäischen Dachverband gegründet, die EAVC. Das heißt European Association of Visa Collectors. Ich war als Vertreter der bundesdeutschen Sektion dabei. Sehr feierlich. Wir kooperieren vorläufig noch auf informelle Weise mit der renommierten AAVC, der American Association of Visa Collectors, aber das sehr intensiv. Doch zur Gründung eines Weltverbandes wird es wohl noch nicht so bald kommen, weil der gesamte Ostblock sich dagegen sperrt. Dieser Wahnsinn der Teilung unserer Welt in Ost und West.“

      „Ja, ja.“

      „Im Ostblock ist die Entstehung entsprechender Vereinigungen von Visasammlern durch die absurde Einstellung blockiert, dafür sei ein Visum eine viel zu ernste Angelegenheit. Dabei, – wer nimmt die Visa wohl mehr ernst als wir, die ernsthaften Visacollectors.“ Spricht das englische Visacollectors stets mit karpfenmäuliger Korrektheit und gehobener Stimme, als sei es sein Adelsprädikat.

      Bei der Erwähnung des Ostblocks war seine Stimme plötzlich sehr leise geworden, dann versiegte sein Redefluß sogar ganz. Resigniert rührt der Mann in seinem Kaffeerest. Da muß man doch helfen, da muß man doch was zur Aufheiterung sagen, zur Ablenkung. Der Zug zieht durch die Magdeburger Börde. Und nichts, das man ansprechen könnte. Kein Bussard, keine Zaunkönige. Wie das mit den Zaunkönigen gemeint war, ist ihm sowieso schleierhaft. Auch kein Schäferhund mit Oberleitung. Der Blick hinaus einfallslos schraffiert: Die gefurchten Felder wollen schier kein Ende nehmen. – Diese großen Felder, dieser Unsinn, diese Dokumentation einer großen Idee. Da fällt ihm die berühmte Rechenaufgabe ein: Eine Putzfrau schafft eine Hundert-Quadratmeter-Wohnung in drei Stunden; wieviel Stunden brauchen zwei Putzfrauen für eine doppelt so große Wohnung? Die richtige Antwort lautet: Sechs Stunden.

      „So weit und so gefurcht, wie übermäßig hohe Denkerstirnen“, sagt er und deutet hinaus. Doch sein Gegenüber geht nicht darauf ein. „Eine hohe Stirn ist halt nicht immer mit hoher Geistigkeit gleichzusetzen“, versucht er zu trösten. Doch kommt keine Reaktion – und der Kaffeerest immer noch nicht zur Ruhe. Das ist ja nicht mitanzusehen. Also den Mann einfach frontal angehen: „Wie viele Visa haben Sie denn schon gesammelt?“

      „Ha“, ist der sofort wieder voll da, „das fragt sich so leicht und ist so schwer zu beantworten. Ich zum Beispiel, und ich gehöre nicht einmal zu den bedeutendsten


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