Tanausú. Harald Braem

Tanausú - Harald Braem


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Kopf seitwärts drehte, erkannte er, was es war. Der alte Mann. Sein Gesicht war ganz nahe bei ihm. Runzelig und vom Wetter gegerbt, unzählige Falten verliehen ihm das Aussehen von uraltem, verwittertem Gestein. Das schlimmste aber war die breite, rotschrindig aufgeworfene Narbe, die vom linken Auge bis hinunter zum Mundwinkel lief.

      Bencomo bäumte sich auf, als er merkte, dass der Würgegriff des Alten sich lockerte, kam er auf die Beine.

      «Was soll das?», rief er, «du hättest mich umbringen können!»

      «Das stimmt», lachte Adargoma, «dabei war es nur meine Faust, die dich niederschlug. Du hast Glück gehabt. Hätte ich das da genommen …» – er deutete auf die schwere Holzkeule mit dem gebogenen Knauf neben sich – «… wäre dir der Schädel gespalten worden!»

      Bencomo starrte wütend den alten Krieger an. Adargoma besaß trotz seines hohen Alters noch immer den Körper eines jungen Mannes. Deutlich traten an seinem nackten Oberkörper die Muskeln und Sehnen hervor. Stark, wendig und schnell wie eine Bergziege war Adargoma. Nur sein Kopf bildete einen seltsamen Kontrast zum übrigen Körper. Weiß war das Haar, in langen, dünnen Strähnen nach hinten gekämmt und zu zwei Zöpfen zusammengebunden. Am rechten hing eine durchbohrte Muschelschale, am Ende des anderen baumelte eine einzelne blauschwarze Krähenfeder.

      Adargoma hatte die Keule aufgenommen und wog sie spielerisch in den Händen. Er grinste breit, was seinem Gesicht einen schrecklichen Ausdruck verlieh, denn die Narbe verzog sich dabei und schien genau ins linke Auge zu laufen.

      «Ja, ich hätte dich töten können, Kleiner», kicherte er. «Aber das wollte ich nicht. Ich wollte dir nur einen Denkzettel verpassen. Du hast schlafend dagelegen und nichts gehört, als ich mich von hinten anschlich. Das ist schlimm für einen Krieger, sehr schlimm sogar! Denke an meine Geschichte! Ein Spanier hätte dich überrumpeln können, bevor du auch nur einen Laut von dir gegeben hättest. Ein Krieger, der auf der Wache liegt, sollte niemals schlafen, erinnerst du dich nicht?»

      Bencomo senkte beschämt den Blick. «Du hast recht», gab er kleinlaut zu, «ich muss wohl für einen kurzen Moment eingeschlafen sein. Es war so warm und so still ringsum …»

      «Ein schlechter Grund, um zu sterben», sagte Adargoma. «Schande über dich!» Er spuckte aus. «Wenn ich das Madango oder den anderen erzähle, ist es aus mit dir. Dann wirst du bestraft, zumindest nie wieder zur Wache ausgewählt. Willst du, dass ich davon erzähle?»

      «Natürlich nicht», sagte Bencomo. «Ich bitte dich, dass du darüber schweigst. Bist du nicht ein Verwandter meines Vaters?»

      Adargoma nickte ernst. «ja, das bin ich. Darum werde ich auch still sein. Den Schlag aber hast du verdient. Hoffentlich wird dir das eine Lehre sein.»

      Bencomo betastete seinen Kopf. Es würde eine Beule geben, aber das war weniger schlimm, als im Kreis der Krieger als Versager zu gelten. Und er war froh, dass ihn der Alte und nicht irgend jemand anderes ertappt hatte.

      Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Dann wagte Bencomo zu reden. «Darf ich dir eine Frage stellen, Adargoma?»

      Der Alte nickte zustimmend.

      «Ich weiß, dass es wichtig ist, hier oben auf dem Seelenstein Wache zu halten, und eine Ehre für jeden jungen Krieger. Aber … besonders aufregend ist das nicht. Du musst zugeben, dass man sich beim Ringkampf besser beweisen kann, beim Fallenstellen oder auch beim Fischspeeren. Hier oben aber passiert nichts.»

      Adargoma blickte den jungen Mann ernst und prüfend an. «Du bezweifelst, dass Madangos Befehl sinnvoll ist?»

      «Nein», antwortete Bencomo schnell, «nie würde ich am Wort des Königs zweifeln.»

      «Und die Geschichte, die ich dir erzählt habe – hast du sie vergessen? Gib es zu, du hältst sie für ein Märchen, für das übertriebene Geschwätz eines alten Mannes …»

      «Nein», stotterte Bencomo, «natürlich nicht.» Er war verlegen und fühlte sich unbehaglich.

      «Ich sage dir, jedes Wort davon ist wahr», sagte Adargoma mit Nachdruck. «So wahr und wirklich wie diese Narbe hier, die ich als Andenken trage.» Er tastete mit den Fingern durchs Gesicht. «Sie erinnert mich ständig daran, was damals geschah. Manchmal, wenn der Wind umschlägt und das Wetter wechselt, brennt sie wie Feuer, sie schmerzt dann wie damals, als ich auf dem Felsvorsprung in der Schlucht der Todesängste lag …»

      «Und du glaubst wirklich, dass die Schiffe eines Tages wieder auftauchen werden – dass sich alles noch einmal wiederholt?»

      «Davon bin ich felsenfest überzeugt», sagte Adargoma. «Ich habe das Weiße in den Augen der Fremden gesehen und mit ihnen gekämpft, und ich warne nicht ohne Grund: Sie sind gierig nach Beute, brutal und zu allem entschlossen. Gewiss, die Niederlage in der Schlucht der Todesängste hat sie abgeschreckt und wohl davon abgehalten, schon bald darauf einen neuen Versuch zu wagen. Wahrscheinlich hat die Kunde davon in jenem fernen Land Spanien Entsetzen verbreitet und uns eine Atempause verschafft. Aber ich sage dir: sie wird nicht ewig anhalten. Viel Zeit ist seitdem vergangen, und die Menschen vergessen schnell. Wie bei uns, wird es auch bei ihnen sein: nur die ganz Alten erinnern sich noch, die jungen schon nicht mehr, sie schenken den Erzählungen am Lagerfeuer keine Beachtung. Junge Krieger, die ihren Mut beweisen wollen, rücken nach, und vielleicht ist einer unter ihnen, der die anderen anstachelt. Sie werden alles vergessen haben, nur nicht, wo unsere Insel liegt. Sie werden alle Bedenken beiseite schieben und in ihre Schiffe steigen, um uns erneut anzugreifen. Ich weiß nicht, was sie bei uns eigentlich suchen, aber glaube mir, Bencomo, eines Tages werden sie kommen – und ich befürchte, ja, ich fühle es – es wird schon bald sein.»

      Er schwieg, und Bencomo dachte über seine Worte nach. Er hatte überzeugend gesprochen, Adargomas Geschichte musste wahr sein und seine Sorge berechtigt …

      «Um so mehr setze ich meine Hoffnung auf junge Männer wie dich …», fuhr der alte Mann fort, «… auf ihren Mut, ihre Klugheit, ihre Tapferkeit und vor allem darauf, dass sie ihre Aufgaben ernst nehmen und wachsam bleiben. In ihrer Hand liegt das Schicksal des Stammes und des ganzen Volkes von Benahoare. Besonders hier auf diesem Posten, wo man sofort sieht, wenn sich ein feindliches Schiff nähert. Diese Wache bedeutet eine große Verantwortung. Ein Späher, der einschläft, kann uns alle das Leben kosten …»

      «Sprich bitte nicht mehr davon», sagte Bencomo, «ich schäme mich, dass mir das passiert ist.»

      Adargoma blickte den jungen Mann prüfend an. «Es ist gut», nickte er, «die Sache bleibt unter uns.»

      Der Wind war etwas frischer geworden. Unten in der Bucht wühlte er nun bestimmt das Wasser auf. Aber das konnte man von hier aus nicht so genau erkennen, nur dass das dunkle Meer jetzt einen weißlichen Gischtschleier trug. Als Bencomo den Kopf hob, sah er die Sonnenscheibe westlich von Tixarafe versinken und den Himmel sich rotviolett verfärben. Zugleich stand im Osten der Mond über dem Rücken der Cumbre. Bleich war er und beinahe voll. Die Hänge der Cumbre lagen schwarz und scharf konturiert wie ein lang gestrecktes, schlafendes Tier über dem Aridane-Tal. Einzelne Feuer leuchteten dort, Sterne, von Menschenhand entzündet, zitternd wie die Sterne am nächtlichen Himmel, die bald sichtbar werden würden.

      «Und das Mädchen Gazmira, von dem du mir erzählt hast … du weißt schon, die von den Fremden gefangen wurde …», fragte Bencomo, «… was geschah eigentlich mit ihr?»

      Adargoma verzog das Gesicht. «Das weiß niemand. Schön und klug war sie, ich habe sie gekannt. Ein Fischer sah, wie die Spanier sie aufs Schiff schleppten. Beim Kampf in der Schlucht der Todesängste war sie jedenfalls nicht mehr dabei. Ob sie noch lebt? Sie müsste jetzt etwa so alt sein wie ich. Vielleicht wurde sie als Sklavin verkauft.»

      «Sklave …» Bencomo spuckte aus. «Wie kann man einen Menschen als Ware betrachten und damit handeln … Im Kampf verwundet zu werden oder das Leben zu verlieren, das ist ehrenhaft. Aber lebendig gefangen zu sein, ein Unfreier, der anderen dienen muss – das ist wohl das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann.»

      «Du denkst wie ein echter Krieger», sagte Adargoma. «Genauso fühle ich auch, fühlen wir alle. Darum müssen wir


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