#Fatboysrun. Philipp Jordan

#Fatboysrun - Philipp Jordan


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mir nie auf die Nerven gegangen. Viele Laufkollegen warnten mich vorher, dass so ein langer Lauf zu monoton sei. Zu wenig Abwechslung. Zermürbend. Das empfand ich nie so. Er hat mich eher geerdet. Logo, es gab viele langweilige Passagen. Und wenn man Distanzen um die 60 Kilometer in der Hitze läuft, kann man auch mal genervt sein. Aber nie war der Rhein selbst mein Feind. Auf den Geist gingen mir andere Dinge, wie dieses lange Lastenschiff, das immer konstant neben mir her fuhr. Stalken die mich? Oder diese Autos, die teils nur wenige Meter neben mir vorbeirasten und statt einer frischen Brise nur stinkende heiße Luft in mein Gesicht bliesen. Der Rhein hingegen hatte eher etwas Tröstendes. Denn auch in schweren Momenten wusste ich, dass er mich nach Karlsruhe führen wird. Er floss neben mir her und war gleichzeitig schon am Ziel. Wie jemand, der einen bei einem Lauf begleitet und ab und zu berichtet, wie es im Zielbereich aussieht.

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       ENDLOSE FELDWEGE

      DER LETZTE TAG DES »HOME2HOME«-RUNS IN DER SCHÖNEN PFALZ.

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       DAHEIM!

      ICH BIN AM KARLSRUHER SCHLOSS, SPIELPLATZ MEINER JUGEND.

      Ich bin fast am Ziel. Bilde ich mir das nur ein, oder riecht die Luft nach meiner Jugend? Wenn man von Holland bis runter nach Süddeutschland läuft, erlebt man natürlich nicht nur einen landschaftlichen Wandel, sondern auch einen sprachlichen. Holländisch, Niederrheinisch, Kölsch, Hessisch, Mannheimerisch, Pfälzisch und schlussendlich der badische Dialekt der Karlsruher. Die Übergänge sind oft fließend. In Germersheim war ich sprachlich sehr nah an der Heimat, und nun spitze ich die Ohren, wenn ich Spaziergänger überhole, um ein paar Worte des hiesigen Dialektes aufzuschnappen. Ich habe den nie wirklich gesprochen. Meine Mutter kommt aus dem hohen Norden, und mein Vater ist als Kind oft umgezogen. Wir sprachen zu Hause hochdeutsch. Karlsruherisch hat etwas Vulgäres, doch wenn ich es höre, fühlt es sich vertraut an, dann fühle ich mich heimisch.

      Der GPS-Track auf meiner App, dem ich immer stur gefolgt bin, führt mich heute über einen Schotterweg auf eine Art Deich. Immer wieder Bauarbeiten, die mein Vorankommen bremsen. Der Ziehwagen macht kurze Kletterpartien im Sand oft zu einem Kraftakt. Sagte ich eben noch, wir wären Freunde? Nun, jetzt hab ich große Lust, diesen Freund in die Walachei zu feuern. Im hohen Bogen.

      Irgendwo lese ich, dass ich wohl in der Nähe von Liedolsheim bin. Das berührt mich emotional. Liedolsheim ist nämlich der erste Ort, der eine direkte Verbindung zu meiner Kindheit herstellt. Hier wohnte einer meiner Klassenkameraden, bei ihm habe ich auch mal übernachtet. Er hatte diesen total neumodischen Schlüsselanhänger, der piepte, wenn man pfiff. Wir haben stundenlang diesen bescheuerten Schlüssel versteckt und den jeweils anderen wieder suchen lassen. Those were the days … ohne Smartphones.

      Jetzt fühlt sich das Ziel sehr nah an. Ich sehe ein Reh unten im hohen Gras beim Fluss. Ich fotografiere es, merke aber gleich, dass die Fotos, wie so oft, nichts taugen. Wann kommt endlich mal jemand mit einem ausfahrbaren Teleobjektiv für Smartphones um die Ecke? Der Deich, auf dem ich laufe, macht das Laufen immer mehr zur Tortur, andauernd unterbrechen Baustellen mein Vorankommen. Ich telefoniere mit Michael, und wir diskutieren, ob es Alternativen gibt, die nicht direkt am Rhein entlangführen. Es gibt sie. Es gibt einen Weg, der direkt zum Karlsruher Schloss führt. Wie mit dem Lineal gezogen. Es hätte nicht besser kommen können. Typisch Karlsruhe. Es ist die jüngste Stadt Deutschlands und wie auf dem Reißbrett entworfen. Die Innenstadt gleicht einem Fächer, wobei alle Straßen zum Schloss führen. Dass ich durch den Wildpark – so heißt der Wald hinter dem Karlsruher Schloss – direkt in den Schlosspark laufen werde, versetzt mich in eine feierliche Stimmung. Der Schlossgarten, Herz und Erholungsgebiet der Stadt, hat mir viele Stunden meiner Jugend versüßt. Einst einer der wichtigsten Skatespots, später der ideale Platz zum Chillen, Frisbee spielen oder Freunde treffen. Und jetzt, viele Jahre später, Kulisse für meinen selbst gebackenen Zieleinlauf. Aber noch ist es nicht so weit. Ich muss noch über 20 Kilometer laufen.

      Ich treffe endlich Michael. Er kommt mir mit dem Fahrrad entgegen. Es ist das erste Mal, dass wir uns persönlich treffen. Wir haben schon so viele Podcasts miteinander aufgenommen, telefoniert, geskypt und gechattet, aber jetzt sehen wir uns endlich mal leibhaftig. Michael hat mich über längere Zeit mit Trainingsplänen versorgt, meine Daten ausgewertet und sogar den GPS-Track für die gesamten 700 Kilometer gebastelt. Nun begleitet er mich ins Ziel. Auf dem Papier passen Michael und ich eigentlich so gar nicht zusammen. Er ehemaliger Soldat, ich Künstler. Er gewinnt immer wieder Trail-Wettkämpfe, wie zum Beispiel den Zugspitz Ultra oder den Joker Trail, den er gleich 4-mal gewann. Ich wiederum fühle mich schon als Sieger, wenn ich innerhalb der offiziellen Cut-offs das Ziel erreiche, ohne zu sterben. Er konservativ und ich eher die Kategorie linksgrün versiffter Gutmensch. Und trotzdem verstehen wir uns super und respektieren uns. Das kann ich zumindest von meiner Seite aus sagen, und ich glaube, Gleiches gilt für ihn. Leider ist das in den heutigen Zeiten ja nicht mehr selbstverständlich. Und jetzt radelt er neben mir her, und wir unterhalten uns. So viele Menschen haben mich auf meiner Reise unterstützt, und Michael tut dies auf dem letzten Stück. Irgendwie passt gerade alles. Fahrradbegleitung hat etwas sehr Angenehmes. Im Gegensatz zu einer laufenden Begleitung hat deroder diejenige immer eine ruhige und somit beruhigende Stimme und erinnert einen durch eigenes Schnaufen nicht ständig daran, dass man ja selbst gerade läuft. Wie positiv sich das auswirkt, merkte ich, als mich Nane – eine Podcast-Hörerin, die mich vor Düsseldorf abpasste, locker 30 Kilometer mit dem Rad begleitete.

      Michael und ich unterhalten uns über Gott und die Welt. Ich frage ihn ein bisschen zu seiner Soldatenvergangenheit aus und erzähle von meinen letzten 650 Kilometern. Ich bin selber erstaunt, wie einfach es eigentlich war. Ich habe zwar gelitten wie ein Hund, mich durch die Hitze gekämpft und hatte auch wirkliche Tiefpunkte, aber die richtig großen Probleme blieben aus. Keine Verletzung, keine Krämpfe. Nicht mal eine Blase hatte ich. Worüber ich am meisten erstaunt bin: Ich hatte nicht ein einziges Mal Muskelkater oder steife Beine. Drei Jahre zuvor konnte ich nach meinem ersten Marathon eine halbe Woche kaum laufen und nur rückwärts – und nicht wirklich graziös – die Treppe runtergehen. Nach meinem ersten Ultramarathon war ein Aufstehen ohne lappenhaftes Gequengel nicht drin. Aber scheinbar haben die vielen Kilometer, die ich seitdem zurückgelegt habe, und Michaels unbarmherziger Trainingsplan doch Früchte getragen. Und da auch immer noch ein Quäntchen Glück dazu gehört, muss ich den Laufgöttern wohl auch danken.

      Die Motivation hat mich glücklicherweise auch nie verlassen. Jeden Morgen freute ich mich auf die Tagesetappe, ohne den nötigen Respekt zu verlieren. Ich konnte die Sehenswürdigkeiten, die die Landschaft und Städte zu bieten hatten, genießen. Lustigerweise war ich am meisten von dem Touristen-Hot-Spot-Numero-uno enttäuscht, der Loreley. Ein langweiliger Fels, der dem Drachenfels oder dem Siebengebirge nicht das Wasser reichen kann und trotzdem Busse voller Japaner anzieht.

      Ich erfreute mich an den Menschen, die mich begleiteten, und an denen, die ich am Wegesrand kennenlernte. Viele nette Gespräche mit Podcast-Hörern und Freunden. Unzählige Small Talks mit Bäckereifachverkäuferinnen und Tankstellenbesitzern. Wie oft sieht man schon einen nass geschwitzten Freak, der mit einem seltsamen Ziehwagen um die Hüfte in der Mittagshitze hereinspaziert kommt und zwei Liter Apfelschorle kauft! Apfelschorle war sowieso mein Hauptnahrungsmittel. Es ist isotonisch und schmeckt wesentlich besser als die ganzen künstlichen Sportgetränke und Gels, derer ich mich schon nach etwa 100 Kilometern entledigt hatte. Ich werde wohl nie wieder im Leben eine Apfelsaftschorle trinken können, ohne dabei an meinen Lauf zu denken.

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       ZIELGERADE!

      NACH 700 KILOMETERN NUR NOCH EIN PAAR SCHRITTE AUF DER KARLSRUHER WALDSTRASSE.

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       MICROPHONE CHECKER

      EIN KURZES INTERVIEW FÜR DIE LOKALNACHRICHTEN.

      Eine weitere


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