#Fatboysrun. Philipp Jordan

#Fatboysrun - Philipp Jordan


Скачать книгу
Abendessen gegessen? Ah, da waren die Spätzle mit Pilzen – zählt auch als Pasta-Gericht! »Never change a running system«, sagen die Informatiker. Das mit dem »Running System« ist prima auf uns Läufer übertragbar.

      Noch grob zehn Kilometer bis Karlsruhe. Michael macht immer wieder Fotos. Ich habe mich für 12 Uhr mit einem Kamerateam von BadenTV am Zielpunkt verabredet. Ansonsten wird das Empfangskomitee überschaubar sein, zwei Bekannte haben sich angemeldet. Auf Facebook habe ich zwar bekannt gegeben, dass ich irgendwann zwischen 11:30 und 13 Uhr ankomme, aber ich erwarte keinen großen Ansturm. Weder meine Eltern noch meine Frau und Kinder können kommen. Mir ist das ja irgendwie recht. Ich war von Anfang an in der doofen Lage, dass ich einerseits so viel Aufmerksamkeit wie möglich für den guten Zweck generieren musste, andererseits aber auch nicht die Pferde scheu machen wollte, nur um dann nach einer Woche aufgeben zu müssen. Ich bin zwar zuvor mal 80 und 100 Kilometer am Stück gelaufen, aber knapp 700 Kilometer in zwei Wochen mit Ziehwagen? Das war absolutes Neuland für mich. Auch wenn man bestens trainiert ist, bleiben immer gewisse Zweifel, und wer lädt sich schon gern ein großes Publikum ein, das einem beim Scheitern zuguckt? Ich hatte mehrere Radiointerviews gegeben, musste aber feststellen, dass durch diese Auftritte kaum Spendengelder generiert wurden. Fast der gesamte Betrag kam durch Freunde und Podcast-Hörer zustande. Ich hoffe ein wenig drauf, dass über BadenTV noch ein paar Euros ins Haus flattern.

      Und dann geht es plötzlich viel zu schnell. Ich sehe am Ende des Wegs durch einen Parkeingang das vertraute helle Gelb des Karlsruher Schlosses blitzen. Ups, da habe ich mich wohl ein wenig in der Zeit vertan.

      Den Leuten vom Fernsehen habe ich mich erst in einer halben Stunde angekündigt. Ich zücke mein Handy und kommuniziere die Lage. Und dann laufe ich auf einmal im Schlossgarten. Das ist Heimat, Westentasche, Jugend. Das ist absolute Vertrautheit. Ich spüre, dass ich auf einmal doch völlig erregt bin. Meinen Körper durchströmt Adrenalin. Ich laufe planlose Schlangenlinien, und mein Ziehwagen kippt fröhlich hin und her. So viele Wege gibts hier aber auch nicht, also laufe ich irgendwann einfach quer übers Gras. Dann rechts durch das Tor in Richtung Bundesverfassungsgericht. An dessen Treppen habe ich als Kind unzählige Stunden in der Sommerhitze geskatet. Diesen hellroten Steinboden habe ich mehrfach unfreiwillig geküsst. 100 Meter weiter habe ich meine erste Watsche kassiert, weil ich jemanden falsch angeguckt habe. Jahre später habe ich den Schläger kennengelernt, dann aus den Augen verloren, und als ich ihn irgendwann wieder traf, war er Zuhälter. C’est la vie.

      Ich befinde mich gerade in einem seltsamen Tunnel. Eine Mischung aus einer Reise zurück in der Zeit und einer Ehrenrunde im Stadion. Das Wachpersonal des Bundesverfassungsgerichts, der Schotter unter meinen Füßen, die Geräusche der Stadt. All das, was mir bewusst macht, dass ich jetzt wirklich da angekommen bin, wo ich die letzten knapp 700 Kilometer hinwollte, hat die gleiche Wirkung auf mich wie eine jubelnde Menge bei der Zielankunft eines Marathons. Und auf einmal bin ich auf der Waldstraße, die direkt Kurs auf den Ludwigsplatz im Herzen der Stadt nimmt.

      Kunsthalle links, dann der US-Shop rechts. Hier habe ich mir als junger Spross mal eine Tarnhose gekauft. Ein Stück weiter rechts ein Schuhladen und daneben eine Burgerkette. Hier hab ich meinen allerersten Hamburger gegessen. Damals war es noch ein Burger King, inzwischen ist es ein McDonald’s.

      Dann kommt der Moment, in dem ich die Kaiserstraße überquere. Die Hauptschlagader der Stadt. Das hier war mal der Ku’damm, ach, was rede ich, die Fifth Avenue meiner Kindheit. Dort herrscht ein wildes Treiben. Menschen beim Shopping, Straßenbahnen, die sich mit schrillem Klingeln einen Weg bahnen. Ich erinnere mich an meine täglichen Fahrten mit der Bahn als Schüler. Unzählige Stunden, morgens zwischen Zeitung lesenden Pendlern in Anzügen, mittags zwischen nach Schweiß stinkenden, besoffenen Proleten, Kindern und seufzenden Rentnern. Und dann ist er auf einmal direkt vor mir: der Ludwigsplatz. Mein Ziel. Das Ende. Ich laufe langsam aus, weiß nicht, wann ich stehen bleiben soll. Es gibt ja keine Ziellinie. Ich habe fertig! Yeah! Keine Sau hier. Doch, weiter hinten erhebt sich ein alter Schulfreund aus einem Sitz. Und dann gesellt sich noch ein Studienkollege meiner Frau zu uns, der das Ganze wohl auf Facebook verfolgt hatte. Ach Mist, ich habe das TV-Team ganz vergessen. Der Warnanruf von mir vorhin kam wohl zu spät. Die wollten doch unbedingt meine Ankunft filmen! Pech. Suse, die Frau von Colling, einem meiner besten Freunde, kommt auch. Ich darf heute bei ihnen schlafen. »Three is a crowd«, hier ist ja richtig was los! Und jetzt kommt das Fernsehteam an. Ich soll für die Aufnahmen noch einmal ins nicht vorhandene Ziel laufen. Mit Ziehwagen und gespielter Freude. Ich mache das mit. Fake News! So schnell geht das. Ich gebe ein kurzes Interview, und sie verabschieden sich wieder. Irgendwann stehen nur noch Suse, Micha und ich da. Wir beschließen, zu gehen.

      Das war’s dann wohl. Es fühlt sich seltsam an. Da habe ich zwei Wochen lang gebangt, ob ich diesen Moment erleben werde, und trotzdem bleibt die erwartete Freude, die überschwängliche Freude, aus. Ich muss an Rafael Fuchsgrubers Worte denken. Er schickte mir, nachdem er mich zwei Tage lang begleitet hatte, eine Nachricht, in der er mir riet, ich solle den Moment genießen, wenn mir bewusst würde, es geschafft zu haben. Man würde das oft vergessen. Ich gebe ja mein Bestes, aber komme dann irgendwann zu dem Schluss, dass ich das alles erst mal verarbeiten muss. Ist wie mit dem Abitur. Jedes Mal, wenn ich als junger Schüler Abiturienten feiern sah, wurde ich neidisch und stellte mir vor, wie unglaublich groß meine Freude sein würde, wenn ich diese Scheißschule endlich hinter mich gebracht hätte. Aber es ist wohl irgendwie menschlich, dass man sich dann sofort auf das nächste Ziel fokussiert, sich die nächste Sorge schafft. Mit etwas Abstand ist mir klar geworden, dass ich diesen Zielmoment, diese erwartete Freude, schon viel früher gespürt habe: Es war bei Bad Godesberg, als ich kurz vor dem Campingplatz die Landesgrenze zur Pfalz überquerte. Da wusste ich zum ersten Mal: Du kannst das schaffen! Da hatte ich das einzige mal Pipi in den Augen. Dasselbe Pipi, das man auch beim ersten Marathon-Finish in den Augen hat. Da kam schon einiges zusammen. Mit dem Blick aufs Siebengebirge saß ich vor meinem Zelt auf dem Campingplatz und musste an meine Kindheit denken. Und daran, wie wir dort mit meinen Großeltern zum Drachenfels gewandert sind.

image image

       FEIERN GEHÖRT DAZU

      FREUND UND TRAINER MICHAEL UND ICH FEIERN DEN GELUNGENEN LAUF BEIM MEXIKANER.

      So kitschig das klingen mag, aber vielleicht war sowieso der Weg das Ziel. Aber wenn man als Läufer einem weit entfernten Ziel entgegenläuft, hat man selten die innere Ruhe, um alles genießen zu können. Man genießt zweifellos die schönen Momente, die Natur, die Gesellschaft, hat aber immer im Hinterkopf, dass man ja ankommen muss. Der Weg ist also das Ziel, aber vom Ziel aus betrachtet, ist der Weg am schönsten.

#02 image

      Klatsch! Ich lieg auf dem Boden, obwohl ich diesen verdammten Absatz im Weg doch kenne, und bevor ich in die schmale Gasse bog, dachte ich noch: »Pass bloß auf!« Jetzt liege ich doch platt auf dem Boden. Es ist stockdunkel, März, kalt. Mein Board ist irgendwo weit hinter mir gegen eine Mauer gerollt. Schmerzen! Ich muss mir mein Knie irgendwie verdreht haben. Aber meine Hände? Wie um alles in der Welt können Hände, die auf den kalten Asphalt aufgeschlagen sind, so wehtun? Sie pochen und beben und fühlen sich irgendwie taub an. Mein Helm liegt vor mir auf dem Weg und schaukelt hin und her. Ich hielt ihn eben noch in der Hand. Eine junge Frau, die auch gleich Skatekurs hat, bringt mir mein Board. Saupeinlich das Ganze. Ich versuche, den tough guy raushängen zu lassen, aber alles, was ich zustande bekomme, ist humpelnder Jammerlappen. Ich merke, wie mein Knie von innen an der Hose klebt. Mama, ich blute! Ich bedanke mich bei meiner Helferin und humpele zum Eingang der Skatehalle. So ein fuck! Da ist irgendwas mit dem Knie nicht ganz koscher. Das wird mich wieder ein – oder gar zwei – Wochen Lauftraining kosten. Na super!

      Seit vergangenem Winter gehe ich jeden Montagabend zu einer Art Skatetraining für Erwachsene. Hätte man mir das als Kind prophezeit, ich hätte das nie geglaubt. Fürs Skaten braucht man doch niemanden, der einem das beibringt, hätte ich wohl gesagt. Und trotzdem gehe ich da hin,


Скачать книгу