#Fatboysrun. Philipp Jordan

#Fatboysrun - Philipp Jordan


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sei übelste Provinz. Aber für mich war Karlsruhe damals die größte Stadt der Welt, und in der größten Stadt der Welt musste es doch noch andere Skater geben! Da Johannes und ich täglich mit der Bahn von unserem Dorf Waldbronn-Busenbach (ich kenne alle Witze …) nach Karlsruhe in die Schule fuhren, war es für uns der ideale Spielplatz, um uns auszutoben. Schnell hatten wir raus, wo man Skater treffen konnte. Damals war alles noch sehr übersichtlich, die Szene klein. Es gab in Karlsruhe nicht mal einen richtigen Skateshop. Die einzige Möglichkeit, ein qualitativ gutes Board zu kaufen, war Rainers Bike-Shop in Knielingen. Rainer Schadowski war Deutscher BMX-Meister und hatte im Keller seines Elternhauses mit seinem Vater einen kleinen BMX-Shop eröffnet, in dem er neben Rädern auch Skateboards anbot.

      Die beiden ältesten Skater Karlsruhes waren Marc Menke und Chris Eggers. Sie waren wesentlich älter als wir Kinder, fast schon Männer. Chris war auch beim Bau der allerersten Halfpipe im Landkreis involviert. Es war ein sehr einfach gebautes Halbrund in einem Schrebergarten. Später waren die beiden die treibenden Kräfte hinter der ersten richtigen Rampe, die sie in Zusammenarbeit mit einem Sportverein zum Leben erweckten. Die Green Ramp wurde legendär, sie erlangte auch außerhalb Karlsruhes Berühmtheit und wurde zum Schauplatz einiger Contests. Ihr Freund Chicken, der noch früher auf dem Brett gestanden hatte als alle anderen, curvte dieses Riesen-Coping mit seinem Longboard wie kein Zweiter. Und dann war da noch Boris Steffen. Er war ein Naturtalent, das – als ich ihn 1986 kennenlernen durfte – noch mit Topfschnitt und Schienbeinschonern Freestyle fuhr. Diese Disziplin ist inzwischen praktisch ausgestorben, war aber vielleicht immer die technischste Disziplin und hat das heutige Streetskaten maßgeblich geprägt. Boris wechselte dann bald wieder zurück zu Street und war Inspiration und Vorbild für viele Skater der Stadt. Einen Skater wie Boris gibt es vermutlich in vielen Städten. Zumindest hat man Glück, wenn man so einen in seiner Stadt hat. Ein Naturtalent, nebenbei auch noch der netteste Mensch der Welt, den man einfach lieb haben muss. Viel besser als diese Typen, die alles können und Arschlöcher sind. Die gibts nämlich an jeder Straßenecke. Zudem hatte Boris seinen völlig eigenen Style. Der Style eines Skaters ist so einzigartig wie ein Fingerabdruck, und Boris konnte mit seitlich raushängender Zunge und weit nach vorn ausholenden Armen komischerweise noch stylisher aussehen als die meisten anderen.

      Der erste Treffpunkt der Skateszene war das Karlsruher Schloss. Dasselbe Schloss, das später als Kulisse für meinen Zieleinlauf dienen musste. Hier traf man an Wochenenden fast immer auch Karl. Von den meisten nur Kalle genannt, schien er direkt einem Hippie-Comic entsprungen. Er war sicher oberhalb der 50 und fuhr mit seinem Slalomboard immer seine Runden ums Schloss und durch die Spaziergänger. Dabei traf man ihn nie ohne kleines Radio an, das er in der Hand hielt, und aus dem laute Musik dröhnte. Seine große verspiegelte Sonnenbrille und die knallrote Baseballmütze rundeten die optische Freakigkeit ab. Alter Schwede, dieser Typ war seiner Zeit voraus. Ein Hipster, bevor es Hipster gab. Wobei: Waren die je hip?

      Zum Schloss zog es mich in jeder freien Minute. Mit den Jahren entdeckten wir die Amisiedlung, in der US-amerikanische Soldaten mit ihren Familien wohnten. Natürlich gab es auch da skatende Kinder, und wir freundeten uns mit ihnen an. Auch wenn ich die USA heute differenzierter betrachte: Damals war ich USA-Fan der Superlative, und diese Siedlung versprühte mit ihren eigenen Läden und Sportanlagen den Charme einer amerikanischen Kleinstadt. Nicht verwunderlich also, dass ich fortan regelmäßig auf dem Schulhof der Highschool skatete, ich fühlte mich wie der Star in einem Skatevideo. Diese Skatevideos hatten sowieso eine magische Wirkung auf mich. Im Gegensatz zum Fußball bekam man nämlich damals von diesem Sport in den Medien so gut wie nichts mit. Es gab auch keinerlei Contests (so nennt man Skateveranstaltungen), die im TV übertragen wurden. Aber schon recht bald nach meinem Skate-einstieg brachte mein Vater eine Videokassette mit, die The Bones Brigade Video Show hieß. Jeder Sport braucht Helden. Egal, wie spaßig etwas ist, wenn man Ikonen hat, zu denen man aufschauen kann und die einem zeigen, was alles möglich ist, wird es erst richtig interessant. Ich konnte diesen Film irgendwann auswendig. Wenn ich skatete, hörte ich in meinem Kopf die Musik des Films. Ich wollte auch so cool sein wie Lance Mountain und so krasse Airs machen wie Tony Hawk.

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      Richtig umgehauen hat mich aber einige Jahre später erst der Film Public Domain. Es gab dort eine Sequenz, in der unter anderem Ray Barbee und Chet Thomas zusammen die Straßen unsicher machten. Die Musik war nicht nur unglaublich cool, nein, die machten auf einmal völlig neue Sachen mit ihren Brettern. Ich war begeistert und frustriert zugleich. Es gab so viel zu lernen. So viele No-Complys, die ich mir in vielen Stunden und unter starken Schienbeinschmerzen aneignete. Es muss auch das erste Mal gewesen sein, dass ich einen Railslide sah. Auf einem Board ein Treppengeländer runtersliden? Wie geil ist das denn bitte? Zur damaligen Zeit wurde das meist noch mit einem Caveman gemacht, das heißt, man nahm das Board in die Hand und sprang dann mit dem Board auf das Treppengeländer drauf. Heute springt man direkt mit einem Ollie auf die Rail. Dieser Trick war next level. Alle anderen Tricks konnte man üben. Und ja, auch da konnte man richtig schön auf die Fresse fallen, aber das hier war so ein Make-it-or-break-it-Ding. Die erste Bedingung: Man musste Eier groß wie Fußbälle haben, um überhaupt mit Board auf ein Geländer zu springen. War man erst einmal drauf, ging es nämlich recht zügig abwärts, und die Chance, dass man mit dem Rücken oder dem Steiß auf das kalte Metall des Geländers stürzte, war extrem hoch. Viele redeten über diesen Trick. Ich hatte leider nie jemanden live erlebt, der ihn machte. Ich hörte zwar irgendwann, dass ein Junge aus der Amisiedlung ihn gestanden hatte und dass auch Boris ihn konnte, hatte so was aber nie miterlebt, was das Ganze noch spannender und auf eine gewisse Art und Weise auch mysteriöser machte.

      Ich weiß nicht, wie oft ich mit meinem Board in der linken Hand auf ein Geländer zulief und mir dann doch der Kackstift ging. Wie oft ich mein Board mit den Händen das Geländer entlang bewegte, rutschen und dann wie von Engelshand landen ließ. Mir abends im Bett vorstellte, wie ich ihn stehen würde. Im Nachhinein kommt es mir so vor, als hätte ich diesen Trick jahrelang vor mir hergeschoben. Aber eines Tages wollte ich es dann doch wissen. Ich skatete in meinem Kaff vor dem Rathaus und sah das Geländer am Eingang. Es war sehr kurz. Eigentlich perfekt für den Einstieg! Nach einigem Hin und Her und etlichen Halbversuchen machte ich dann endlich diesen Schritt. Ich sprang ab, ich traute mich. Ich landete auf meinem Brett, und das rutsche so unerwartet geschmeidig nach unten, dass ich mit meinem Steiß den Rand der Rail küsste. Autsch, aber wow! Jeder Skater kennt diesen Moment. Ja, der Schmerz ist da, aber wesentlich präsenter ist dieses Gefühl. Ein Gefühl, das einem vermittelt: »Du kannst das schaffen!«. Wenn das Adrenalin ausgeschüttet wird, da man den Trick schon fühlen kann. Das walzt über das Schmerzgefühl hinweg. Wenn man das spürt, kann man sich in direkter Folge gut und gern 100-mal aufs Maul legen, man wird sofort wieder aufstehen, sein Brett schnappen und es erneut versuchen. Genau das tat ich auch. Anlauf, Absprung, mit dem Board auf der Rail, rutsch, flutsch, viertel Drehung … und ich stand. Mit meinen Füßen auf dem Board rollte ich weiter. Mein Freund Johannes, der bei mir war, aber schon lang nicht mehr skatete, flippte völlig aus. Ich konnte es erst selbst nicht glauben. Das war next level! Egal, wie viele Leute auf der Welt das konnten, diese Gruppe war ein kleiner Bruchteil der Skate-Gemeinde. Und sowieso: Hierbei ging es nicht um einen Vergleich. Hierbei ging es um den ultimativen Sieg, den inneren Schweinehund überwunden zu haben. Oder besser: den inneren Schisshasen!

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       GOT IT, BABY!

      NACH EWIGEM HADERN HABE ICH ENDLICH DEN BOARDSLIDE GESTANDEN.

      Johannes rannte nach Hause und kam mit Stativ und Fotoapparat zurück. Ich stand den Trick an diesem Tag noch unzählige Male, und Johannes schoss mehrere Sequenzen. Er verzog sich noch am selben Abend in den Keller seines Hauses und entwickelte im eigenen Fotolabor die Bilder meines bisher größten sportlichen Erfolges. Im Nachhinein bin ich ihm so dankbar, dass er diesen kleinen Höhepunkt meiner Skaterjugend für ewig festgehalten hat. A small step for mankind, but a huge step for this little skater boy.

      Wenn ich an meine Skaterzeit zurückdenke, denke ich an viele Höhepunkte, unzählige Bilder entstehen in meinem Kopf. Die vielen Tage mit meinem US-philippinischen Freund Tye, die Sessions auf dem Parkplatz mit den


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