#Fatboysrun. Philipp Jordan

#Fatboysrun - Philipp Jordan


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Rollbrett-Virus verfallen waren. Das hier ist eine riesengroße Midlife-Crisis-Party. And I love it! Ich mach das hier ja nicht, um irgendwie jünger zu wirken. Ich hatte einfach voll Bock drauf, wieder skaten zu gehen. Ich habe sowieso das Gefühl, dass ich im Kopf immer Skater geblieben und in Gedanken jedes Treppengeländer gegrindet bin.

      Skateboarden war mein erster richtig krasser Virus. Das erste Hobby, die erste Passion, in die ich mich so richtig eingebuddelt hab. Mal ab und zu, das war einfach nicht genug. Das musste richtig ausgekostet werden. Dabei fing alles recht harmlos an. Das erste Skateboard in der Casa Jordan war ein gelbes Gordon-&-Smith-Fiberglas-Board, das mein Vater in Bonn im vermutlich ersten Skateshop Deutschlands kaufte. Es war ein kleines Brett und hatte die Form und die Größe dieser Dinger, die heute gern die Bezeichnung »Cruiser« tragen und vornehmlich an gezwirbelte Hipster-Bärte verkauft werden. Es hatte sehr dicke und weiche Rollen, womit man leicht und bequem auch auf besonders rauem Asphalt skaten konnte. Es wäre gelogen, würde ich behaupten, dass damals alles so richtig bei mir anfing. Klar, ich mochte dieses Brett, und mein Bruder und ich haben viele Stunden damit verbracht, aber bis auf ein wenig Geradeausfahren habe ich es vor allem sitzend oder auf Knien genutzt. Es wurde von mir einfach zur super futuristischen Seifenkiste zweckentfremdet.

      Die eigentliche Initialzündung sollte erst viele Jahre später stattfinden. Im Jahr 1986 unternahmen unsere Eltern mit meinem Bruder Hartmut und mir eine Amerikareise. Für uns Kinder war es der erste USA-Urlaub, und er sollte uns beide tief beeindrucken und unser weiteres Leben beeinflussen. Wir reisten mit dem Auto von Seattle nach San Francisco entlang des Highway 101, einer fast 2.500 Kilometer langen Straße, die von Olympia im Norden bis Los Angeles im Süden entlang der Westküste verläuft und gemeinhin als eine der Traumstraßen der USA gilt. Es war ein klassischer Roadtrip, inklusive Blick aufs Meer und Nächten in Motels, wie man sie aus Filmen kennt. Mit Highway-Restaurants, vor denen der dicke Pick-up des örtlichen Sheriffs steht und wo einen eine weiß beschürzte und Kaugummi kauende Trulla bedient, die von allen nur beim Vornamen genannt wird. In Retrospektive für mich der schönste Familienurlaub meiner Kindheit. Amerika war wie eine Traumwelt für mich. Das Essen, die Geschäfte, die Autos, einfach alles war hier eine Nummer größer und besser. Und in meinen Augen auch irgendwie cooler. Erwachsene Menschen trugen Baseballmützen und Turnschuhe, nicht Spießerhüte und weiße Socken in Sandalen. Es gab nicht nur drei Programme im Fernsehen, sondern fast 100, und einige zeigten sogar schon morgens Zeichentrickserien für Kinder. In Deutschland gab’s das nur sonntags und hieß Sendung mit der Maus. War ja auch irgendwie toll und pädagogisch wertvoll, aber gegen Thundercats musste das leider abstinken. Ich war im siebten Himmel!

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       SKATEBOARD-LIEBE

      MEINE ERSTEN METER AUF DEM BRETT. SITZEND. VOR DEM HAUS MEINER OMA.

      Ein Höhepunkt dieser Reise war San Francisco. Die steilen Straßen, die Cable Cars, der Hafen, die Brücke, die Obdachlosen, Alcatraz, die Straßenkünstler, das alles hat mein kleines Hirn mächtig beeindruckt. Während eines Shoppingtrips passierten wir im Herzen der Stadt einen Platz, an dem einige Jugendliche skateten. Wow! Mein Bruder und ich waren sofort begeistert. Unsere Eltern haben das bemerkt und erlaubten uns, an dem Skate-Platz zu warten, während sie Erledigungen machten. Ich frag mich bis heute, ob sie direkt an dem Platz in einem Laden waren, oder ob sie sich auch weiter weg entfernt haben. Ich habe auch keinerlei Ahnung, wie lange sie weg waren, keinen Plan! Helikoptereltern aus der Jetztzeit würden wohl bei dem Gedanken, ihre Kinder in einem fremden Land in einer Großstadt für eine halbe Stunde allein zu lassen, ohnmächtig werden. Ohne Handy! War auch egal, wie lange sie genau weg waren, es war lange genug. Lange genug, um mich völlig wegzuballern. Ich war hooked! Das hier war das Beste, was ich bis zu diesem Zeitpunkt gesehen hatte. Keine Frage: Das wollte ich auch lernen. Das musste ich auch lernen. Ich wollte nichts anderes mehr machen. Ich wollte auch so cool wie diese Dudes sein. Das Mehr-Monster hatte zum ersten Mal zugebissen, meine Adern mit unstillbarer Begeisterung gefüllt. Einen Virus in meinen Organismus gepflanzt, der meinen zarten Körper von nun an besetzte. Ich will – ich muss – auf so einem Ding stehen und so lässige Tricks machen!

      Ein Junge stand auf einer Hand und hielt dabei sein Skateboard fest. Ein anderer sprang von einem großen Betonblock und landete auf seinem Skateboard. Kein Mensch auf diesem Planeten konnte das, was dort passierte, nicht für die coolste Sache der Welt halten. Ich wusste damals nicht, dass ich an einem wichtigen – wenn nicht sogar an dem wichtigsten – Skatespot der Welt saß, dem EMB oder auch Justin Herman Plaza. Der Platz hat es später sogar in das berühmte Videospiel Tony Hawk’s Skateboarding geschafft.

      Da ich aber kein Skateboard hatte und am anderen Ende der Welt war, musste meine Skateboard-Karriere vorerst noch im Wartezimmer Platz nehmen. Aber ein glücklicher Zufall sollte mir bald meinen Wunsch erfüllen, schneller, als ich zu hoffen gewagt hatte.

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       AIRTIME

      SKATEPARKS GAB`S NICHT IN DER NÄHE, ALSO HABE ICH MIT MEINEM FREUND JOHANNES UND MEINEM BRUDER DIE RAMP SELBST GEBAUT.

      Auf dem Reiseplan unserer USA-Reise stand nämlich auch Atlanta. Wir wollten dort den Bruder meines Vaters und seine Familie besuchen. Meine Begeisterung für die USA war vor dem Besuch bei der Verwandtschaft schon extrem hoch, doch bei Onkel und Co. wurde sie noch einmal ins Unermessliche befördert. Meine Cousins, Frank Eike und Björn, waren etwa im selben Alter wie wir. Sind sie übrigens immer noch. Und wie es der Zufall wollte, hatte die zweite große Skatewelle auch den Süden der USA erreicht und meine Cousins ergriffen. Sie hatten beide eines dieser coolen, neuen – und im Vergleich zu unserem alten Fiberglas-Board – sehr großen Skateboards. Außerdem hatten sie völlig ausgelatschte Stoffturnschuhe, Chucks, die auf mich wie Billigschuhe wirkten und in Deutschland erst viele Jahre später zur großen Mode werden sollten. Wir hatten also eine direkte Connection zu diesem neuen Sport. Und nach viel Bettelei standen wir dann plötzlich mit ihnen in einem Skateshop. Mein Vater fand wahrscheinlich die Vorstellung cool, dass wir in der Zeit bei seinem Bruder mit seinen Neffen ein gemeinsames Hobby teilten und machte mit uns eine Art Deal. Wir durften uns ein Skateboard zusammenstellen und für die Ferienzeit benutzen, mussten es aber in Deutschland wieder abgeben und bis zu unserem Geburtstag warten. Was für ein Deal! Wo muss ich unterschreiben?

      Überglücklich stand ich also in diesem Skateshop, meine Augen kreisten über die vielen bunten Holzbretter an der Wand. Die Aufdrucke waren genau mein Ding! Skatende Skelette, Monster, Blut und Schleim, wie cool war das bitte? Das hier war alles so weit weg von allen Sportarten, die ich kannte. In meinem Kaff spielten alle nur Fußball, und ich konnte mit den ganzen Adidas-gestreiften Proleten herzlich wenig anfangen. Ich entschied mich für das Vision Hippie Stick. Ein Brett überzogen mit grellfarbigen Punkten. Den Bezug zu psychodelischen Drogen hab ich erst später gerafft. Dazu suchte ich mir Slime-Balls-Rollen und Gullwing-Achsen aus. Ich hielt mein erstes Thrasher-Magazine in der Hand, das bis auf den Umschlag auf billigstem Zeitungspapier gedruckt war. Ich studierte die Fotosequenzen und war begeistert. Sogar die Druckerschwärze hatte einen ganz eigenen Geruch, den ich bis heute nicht vergessen habe.

      In den Tagen in Atlanta konnte ich also meine ersten Schritte auf dem Skateboard machen, und das schmeckte definitiv nach mehr. Sicher nicht verwunderlich, dass die Monate bis zu meinem Geburtstag eine gefühlte Ewigkeit dauerten, aber als ich dann Ende Oktober endlich mein Skateboard in Händen hielt, war ich unendlich glücklich. Ab jetzt wurde fast jede freie Minute dem Skaten gewidmet. Mein Freund Johannes wohnte am Ende einer Sackgasse, direkt neben einem Wendehammer. Nachdem ich ihn erfolgreich mit dem Virus anstecken konnte, war dieser Wendehammer unser ganz persönlicher Skateplatz. Zusätzlich nutzten wir die Einfahrt seines Elternhauses, um eigene Rampen zu bauen. Wir karrten vom Sperrmüll und aus Baucontainern Holz heran und ließen unseren spärlichen Bau-Skills freien Lauf. Mein großer Bruder Hartmut, der handwerklich wesentlich begabter war, war zum Glück auch mit von der Partie, und so hatten wir nicht nur einige Schanzen, sondern auch eine den Umständen entsprechend stattliche Quarterpipe.

      Aber der Skateplatz auf dem Dorf war nicht genug, es wollte auch die große Stadt auf Rollen


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