Sommer war es. Iselin C. Hermann

Sommer war es - Iselin C. Hermann


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      Hoftölpel und Puer kommen herbei, sie legen die Handgelenke über Kreuz, damit ich auf ihren Händen sitzen kann, während Østen meine Beine festhält.

      »Gerade AUS!« ruft Hoftölpel, er liebt das Militär, und dann laufen sie, so schnell sie nur können, erst um den Hofplatz herum und dann in den Garten. Sie laufen, was das Zeug hält, aber als wir zur Kletterbuche kommen, können sie nicht mehr. Puer und Hoftölpel haben einen schweißnassen Rücken, sie lassen mich herunter, werfen sich ins Gras und rufen in die Baumkrone hinauf:

      »Jaaa!«

      Ich schaue sie an, wie sie da liegen, zufällig in der richtigen Reihenfolge, dem Alter nach. Puer ist der älteste, er hat dicke, dunkle Haare und zusammengewachsene Augenbrauen. Østen hat dünne, rötliche Haare und Sommersprossen übers ganze Gesicht, und Hoftölpel hat Locken und eine Brille und einen blauen Schneidezahn.

      »Der Patient hat die isolierte Ambulanz verlassen. Aufgepaßt!«

      Østen stürzt sich auf mich, packt meine Knie und zieht mich ins Gras.

      »Sie bekommt jetzt ...«, ruft er, »sie bekommt jetzt SUPPE!«

      Ich habe eine Kuh. Sie heißt Breikuh und steht im Stall, zusammen mit Lady Windermere, die meinem Vetter gehört, der Krauseminze meines kleinen Bruders und dem Kalb Tamara, das meiner Cousine gehört. Petersen ist der Futtermeister, er schüttelt den Kopf und findet, es sei dummes Zeug, den Kühen Namen zu geben, so ein Aufhebens von ihnen zu machen und Feste für sie zu feiern. So etwas hat er noch nie gehört. Nicht nur daß die Herrschaft einmal im Jahr ein Fest für die Kühe veranstaltet, sie kommt sogar in den Stall. Mit Stadtkleidern! Die Herren im Frack und die Damen im langen Kleid. Und der Herr Direktor, Petersen hat es mit eigenen Augen gesehen, der Herr Direktor trägt die Orden, die er vom König bekommen hat! Nein, das ist dummes Zeug, Petersen hat schon öfter überlegt zu kündigen, aber wenn man es richtig bedenkt, dann geht es ihm wie Gott in Frankreich. Zwanzig Kühe für ihn und den Knecht, da gibt es Schlimmeres. Es gibt tatsächlich etwas Schlimmeres, und das ist die Küchenmagd und der Ärger, den er mit ihr hatte. Aber was nützt es, über verschüttete Milch zu weinen, und es dauert glücklicherweise noch lange, bis das verrückte Fest gefeiert wird und sie alle aufgeputzt in den Stall kommen. Die Herrschaft mit Kind und Kegel. Die ganze Verwandtschaft kommt in den Stall, um die Pracht zu bestaunen, also das Vieh, dann gehen sie in die gute Stube und feiern. Nein, das ist dummes Zeug, wirklich! So brummt Petersen beim Ausmisten. Ich habe es selbst gehört. Petersen schimpft, Petersen seufzt, der Teufel soll’s holen! Aber er mistet trotzdem aus und bereitet alles für das Kuhfest Mitte November vor. Das Dumme ist, daß er zwei Monate später schon wieder ausmisten muß, denn dann steht Weihnachten vor der Tür, und diese verrückte Familie kommt zum Teufel auch schon wieder angetrabt, weil der Direktor behauptet, daß die Tiere in der Weihnachtsnacht sprechen. Das hat er zumindest den Enkelkindern weisgemacht, sie kommen also alle angetrabt und bilden sich auch noch ein, daß sie die Tiere sprechen hören! Nein, was für eine Familie!

      Der Sommer muß abgedankt haben und der Herbst schon richtig dasein, wenn wir das Kuhfest feiern. Wir lassen aus der grün-weißgestreiften Seide, die von den Vorhängen übrig ist, ein Kleid nähen. Ich habe Schmetterlinge im Bauch, als ich mit meiner Mutter zum Maßnehmen gehe. Ich weiß ja, daß das Kleid genäht wird, weil ich Kuhbesitzerin werde, ich bin dann doch etwas überrascht, als die Schneiderin mich auf den Tisch hebt und anfängt, Maß zu nehmen. Ich dachte, die Kuh, meine Kuh, Breikuh, soll verkleidet werden, nach all dem Geschimpfe von Petersen. Dabei bekomme ich ein langes Kleid. Das Maßband der Schneiderin kitzelt. Es ist wie beim Doktor. Sicherheitshalber hole ich tief Luft, bis in den Bauch, dann atme ich aus. Mein erstes langes Kleid wird Mitte Oktober fertig sein, der Stoff reicht nur für Puffärmel.

      Ich friere unter dem Mantel. Wir sitzen im Volkswagen, ausnahmsweise auf dem Rücksitz. Mein kleiner Bruder hat seinen Matrosenanzug an, im Gepäckabteil würden unsere feinen Kleider verknittern. Es ist ein besonderer Abend, weil ich und Vetter Frisse, wir sind die Ältesten, offiziell zu Kuhbesitzern ernannt werden. Mein kleiner Bruder und unsere Cousine müssen noch etwas warten, bis ihre Kühe Milch geben. Großvater selbst hat mir einen Brief geschrieben. Einen Brief mit zwei Zeichnungen, eine von der Breikuh mit einem großen, schweren Euter, aus dem Milch in eine große Schüssel tropft, und eine von mir. Ich stehe neben dieser großen Schüssel voller Brei, und um mich herum regnen Geldscheine herab. Auch wenn ich noch nicht lesen kann, so sehe ich doch, daß Großvaters Schrift schwer zu lesen ist. Aber die Zeichnungen ... man erkennt sofort, was sie darstellen. Er kann alles zeichnen, was er sieht. Ich friere ein bißchen im Mantel, das Futter fühlt sich kalt an auf meinen nackten Armen. Ich bin so gespannt, daß es im Hals kitzelt, und ich bekomme Gänsehaut.

      Wenn wir bei den Großeltern ein Fest feiern, dann wird man von Großvater empfangen. Er steht mit leicht gespreizten Beinen auf der Treppe, und es sieht aus, als hätten seine Füße in der obersten Granitstufe Wurzeln geschlagen. Er mißt einen Meter um den Bauch herum, das hat er mir selbst erzählt, und sein Brustkorb ist wie ein Cellokasten. Alles an ihm ist breit. Einmal habe ich geträumt, daß Großvater sich ans Klavier setzt. Das hat mich gewundert, denn ich hatte ihn noch nie da gesehen und auch noch nie spielen gehört. Um es mir zu erklären, hob er mich hoch, damit ich die Tasten sehen konnte. Sie waren speziell angefertigt und doppelt so breit, die schwarzen wie auch die weißen. In Wirklichkeit bringt er nie einen Ton heraus, auch wenn sein Brustkorb und das Traumklavier wie dafür geschaffen scheinen.

      Wenn er mir auf die Schultern schlägt, vergißt er, daß ich nicht sein Pferd bin, aber bei Großvater beschwert man sich nicht, wenn es weh tut, man geht nur ein wenig in die Knie.

      »Willkommen zum Kuhbesitzerfest, Zwetsche!«

      Er freut sich immer, wenn Gäste kommen, er grinst bis hinunter zu den Schuhen, die von einem Schuhmacher in London angefertigt werden. In Wirklichkeit, das habe ich nicht geträumt. Großmutter hat einmal ein Paar Mondmännerstiefel in seiner Vitrine ausgestellt gesehen. Die hat er, der vornehme Schuhmacher, für die Männer angefertigt, die mit Raketen zum Mond geschickt wurden.

      »Warum haben sie besondere Stiefel an?«

      »Oben im Weltall gilt das Gesetz der Schwerkraft nicht, und da brauchen sie besonders große Stiefel, die sie am Boden festhalten.«

      Ich muß an die Taucherschuhe denken, die ich einmal im Seefahrtsmuseum gesehen habe, mir wird ganz schwindelig, wenn ich so weit hinaus ins All und so tief unters Meer denke. Und jetzt stehe ich dazwischen und sehe Großvaters extra breite, speziell angefertigte Schuhe. Er lacht und schlägt mir nachdrücklich auf die Schulter.

      Wir sind fast alle da: Tante Emme, ihr neuer Mann und Vetter Frisse, der bei seinem Vater wohnt, wir vier, wir kommen fast immer zu spät, die Jungens, die Lateinlehrerin Ergo Sum aus Helsingör, die im Gesicht schwitzt, und Großvaters verrückter, weit entfernter Vetter aus Duemose, Onkel Knud, der zweimal hintereinander an Weihnachten die Mandel im Reisbrei gefunden und sie beide Male im Gebiß zermahlen hat. Es war zum Weinen! Meine kleine Cousine Themata, die mit den dicken Backen, ist nicht da, sie ist bei ihrer Mutter, heißt es. Es ist, als sei sie jemand anderes, wenn sie »bei ihrer Mutter ist«. Sie ist dann irgendwie nicht wie sonst meine Cousine mit den zarten dicken Backen und den langen hellen Haaren, mit denen man Friseur spielen kann.

      In der Ecke beim Kachelofen steht ein Mann, den ich nicht kenne. Ein Mann in einem schwarzen, glänzenden Anzug, der grünlich schimmert. Die Ärmel und die Hosenbeine sind zu kurz, und wenn er Luft holt, geht der Knopf auf, der die Jacke geschlossen hält. Von seinen glatt zurückgekämmten Haaren geht ein eigenartiger Geruch nach Schnaps aus. Er muß aufpassen, er hat nämlich ein Champagnerglas, eines der feinen aus Kristall, in der Hand, und es kann zwischen seinen großen Fingern leicht kaputtgehen. Erst als er murmelt, daß alles dummes Zeug sei, erkenne ich Futtermeister Petersen.

      »Verstehst du«, sagt er, offensichtlich erleichtert, daß er sich an jemanden wenden kann, der noch kleiner ist als er. »Verstehst du, dein Großvater hat gesagt, daß ich an der Geselligkeit teilnehmen soll. Ich war nicht sehr angetan, aber ich konnte mich auch nicht unterstehen, dem Herrn Direktor zu widersprechen. Deine Großmutter kam dann mit dem Vorschlag, daß ich nur für das erste Glas bleiben muß.« Er schaute verlegen in das dünne Glas mit


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