Die siebte Sünde - Norwegen-Krimi. Kjersti Scheen

Die siebte Sünde - Norwegen-Krimi - Kjersti Scheen


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Damentoilette und versuchte, ihr Erscheinungsbild wieder einigermaßen herzurichten, mit zitternden Händen und noch immer leicht starren Mundwinkeln.

      Sie wickelte das Haar in Papierhandtücher und wrang es aus. Steckte Papier in die Stiefel und hielt sie unter den warmen Luftstrom des Händetrockners.

      Atmete tief durch.

      Durch die Nase ein, durch den Mund aus. Ruhe herein, Streß und negative Gedanken hinaus ... Verdammt! So ein Scheißkerl! Durch die Nase ein, durch den Mund aus. Ruhe hinein, Streß und negative Gedanken hinaus. Ein Arschloch! Nicht an ihn denken. Nicht denken. Einatmen, ausatmen, ein, aus!

      Sie frischte ihr Make-up auf, etwas nachlässig und mit fahrigen Händen.

      So diskret wie möglich ging sie auf Socken zu ihrem Tisch zurück, die Stiefel trug sie unter dem Arm. Dann kam der Rotwein, und sie trank ihn schnell, brauchte gleich noch einen, während sie die heiße Suppe aß. Sie hatte das Gefühl, als würde sich alles in ihr lösen, es lief ihr aus Nase und Augen, sie schneuzte sich in einem fort, und ihr wurde warm.

      Ziemlich warm sogar.

      Sie blätterte in der Zeitung, es ging ihr beinahe richtig gut. Sie bestellte sich einen Kaffee. Und ein Glas Calvados bitte, falls sie welchen hatten.

      Inzwischen hatte sie das Papier aus den Stiefeln gefischt und sie wieder angezogen. Die Stiefel waren niedrig und aus dünnem Leder, das schnell trocknete. Auch ihr Haar war wieder trocken. Sollte er doch zur Hölle fahren!

      Der schöne Blonde, der immer wieder Anspielungen auf eine gemeinsame Wohnung gemacht, von einer möglichen Hochzeit im nächsten Winter gesprochen hatte.

      Jetzt hatte er sie in Empfang genommen – entsetzt, das Wort traf es vermutlich am besten. Eines Tages würde sie vielleicht über seinen Gesichtsausdruck lachen können, als sie zur Tür hereingestürmt war.

      Dieser Gesichtsausdruck hatte jedenfalls dazu geführt, daß sie mitten in einer Art Wirbelwind innegehalten hatte, der in einer Umarmung hatte enden sollen.

      Er hatte geschluckt, daß sein Adamsapfel hinter dem gestreiften Hemd auf und ab gerutscht war, und zu der niedlichen kleinen Sekretärin hinübergenickt, die Moss ins Zimmer geleitet hatte.

      »Darf ich vorstellen, meine Verlobte«, hatte er gesagt.

      Noch ehe fünf Minuten um waren, hatte Moss das Zimmer verlassen. Dankend hatte sie eine Tasse Kaffee abgelehnt und sich schnell eine Lüge zurechtgebastelt: Sie habe gerade in der Nähe zu tun und ohnehin nur ein paar Minuten Zeit. Und da habe sie sich gedacht, ein kurzer Plausch könne doch nett sein, long time no see, aber mein Gott, ein Blick auf die Uhr, sie müsse los, denn sie wolle noch nach Jæren.

      Und dann war sie abgehauen.

      Jæren! Welcher Teufel hatte sie geritten, ausgerechnet Jæren zu sagen? Sie hatte keine Ahnung, wo sie in dieser Kleinstadt über Nacht bleiben sollte. Überall konnte sie ihm wieder begegnen, falls er heute einen Spaziergang machte, und dann wäre sie in jedem Fall entlarvt. Sie war durch den Regen geirrt, weil sie sich in Stavanger nicht auskannte, verschwitzt und schwindlig und wütend, vor allem auf sich selbst.

       How stupid can you get.

      Dann hatte sie eingesehen, daß sie irgendwo hineinmußte, um ihre Sachen zu trocknen, und war in diesem Restaurant gelandet.

      Sie sah auf die Uhr. Höchste Zeit zum Weitergehen.

      Ihre Sachen waren jetzt trocken – und sie ein kleines bißchen betrunken.

      Als allmählich Bahnhof und Busbahnhof im Regen auftauchten, der inzwischen nur noch leise vor sich hin tröpfelte, kam ihr die Idee, einfach loszufahren, auf einmal ganz brauchbar vor.

      Jæren, here I come, jetzt, wo sie ohnehin schon hier war. Dann war das, was sie vorhin gesagt hatte, jedenfalls nicht ganz gelogen.

      Das Meer, hatte sie gedacht, während ihre Stimmungskurve plötzlich anstieg. Sie wollte auf jeden Fall das Meer sehen, ehe sie nach Hause zurückfuhr.

      Sie hielt einen Herrn in orangefarbener Straßenarbeiterweste an und fragte ihn, ob es hier in der Nähe eine Filiale des staatlichen Wein- und Spirituosenhandels gäbe. Doch, da oben sei eine, einfach den Hügel rauf – was sie in ihrem Gefühl bestärkte, daß die Dinge heute allmählich richtig liefen. Sie kaufte sich – aus Gründen, die sie später nicht so recht erklären konnte – eine kleine Flasche »Southern Comfort«, und dann ging sie den Hügel wieder hinunter und erkundigte sich, welcher Bus nach Jæren fuhr.

      Viele Busse gingen nach Jæren, aber nicht einer davon schien direkt ans Meer zu fahren. Sie könne natürlich den Zug nehmen, hieß es. Aber auch der fahre nicht ans Meer. Oder sie könne mit dem Zug nach Bryne fahren und dort in einen Bus umsteigen. Der Bus gehe zwar nicht so oft, aber das werde sich schon finden.

      Genau, natürlich würde sich alles finden! Sie brauchte doch keinen Gedanken an einen blonden Geschäftsmann aus Stavanger zu verschwenden! Geschäftsleute hatte sie früher nie leiden können, warum hatte sie sich eingebildet, sie würde es jetzt tun?

      Sie setzte sich ins letzte Abteil des Wagens, und während der Zug langsam aus dem Bahnhofsgelände tuckerte, genehmigte sie sich heimlich ein paar Schlucke aus der Flasche.

      Klar würde sie das Meer sehen, verdammt noch mal!

      2

      »I guess I’ll go through life

      just catchin’ colds and missin’ trains,

      everything happens to me.«

      Adair/Dennis

      Sie war in Bryne aus dem Zug geklettert und mit etwas Mühe in einen Bus umgestiegen. Noch immer in bester Stimmung, machte sie es sich bequem, draußen dämmerte es allmählich, die Wolken hingen tief, und ab und zu trommelten Regenschauer gegen die Fensterscheiben.

      Im Bus saßen nur wenige Leute, eine Gruppe halbwüchsiger Schüler mit riesigen Rucksäcken und Kugelschreibergekritzel auf den Handrücken und zwei alte Männer mit Tropfen an der Nase und Schiebermütze. Sie saß allein auf der Rückbank und hielt sich mit regelmäßigen kleinen Schlucken von dem süßen Alkohol bei Laune. Es schmeckte nach Gummibärchen, und sie hätte gern noch mal aufs Etikett geschaut, war aber zu müde, dämmerte sogar eine Weile weg und wachte erst wieder auf, als ihr nasse Regenluft entgegenschlug: Die Schüler stiegen in versammelter Mannschaft aus und verursachten Durchzug in der Wärme des Busses.

      Sie blinzelte aus dem Fenster.

      Keine Spur vom Meer.

      Sie ging nach vorne, bis sie eine der Schiebermützen erreicht hatte.

      »Ich wollte zum Strand, ich meine, ich wollte das Meer sehen, aber ich kann schließlich nicht den ganzen Tag im Bus sitzen, kann ich denn wohl bald aussteigen?« fragte sie.

      Der Mann legte den Kopf nach hinten und sah sie mit wäßrigblauen Augen an. Dann suchte er Hilfe bei seinem Nachbarn. »Das Meer?« Er schüttelte ratlos seinen Kopf, der dünne Hals verschwand in einer Windjacke. »Sie will das Meer sehen.«

      Die andere Schiebermütze warf ihr einen raschen Blick zu und schüttelte ebenfalls den Kopf. »Tja, dann muß sie wohl bald mal aussteigen«, sagte er.

      Sie wartete eine Weile, aber keiner von beiden schien noch etwas sagen zu wollen, sondern beide starrten hartnäckig geradeaus. Da ging sie wieder zu ihrem Platz zurück.

      Draußen war es jetzt sehr grün, hier und da bewegte sich irgendwas undeutlich Graues, Schafe vermutlich – Gruppen von Bäumen, Häusern, Satellitenschüsseln, die sich nach Süden orientierten, wie das nun einmal ihre Art ist. Ihrer Meinung nach fuhren sie Richtung Süden, doch auf einmal war ihr, als wenn der Bus nach Osten abgebogen wäre.

      Lag das Meer im Osten?

      Resolut drückte sie den Halteknopf.

      Sie stieg mit ihrer Reisetasche und der Umhängetasche aus, der Bus seufzte auf und fuhr los, und sie wurde sofort von einer Windbö erfaßt.


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