Die siebte Sünde - Norwegen-Krimi. Kjersti Scheen

Die siebte Sünde - Norwegen-Krimi - Kjersti Scheen


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lag reglos im feuchten Sand.

      Dann stiegen sie in die Autos. Türen knallten, die Wagen rollten rückwärts und wendeten. Dann fuhren sie los, nacheinander, langsam. Erst ein gutes Stück entfernt beschleunigten sie, unversehens waren die Lichter verschwunden, vermutlich machte die Straße eine Kurve.

      Erst nach einer ganzen Weile stand sie mit steifen Gliedern auf. Die Dunkelheit um sie her war schwarz wie Tinte gewesen, sobald die Autoscheinwerfer verschwunden waren, doch jetzt konnte sie graue Formen ausmachen: die Dünen, die in Sumpflandschaft übergingen, die Finsternis des asphaltierten Parkplatzes und etwas Helleres, den Mann auf der Erde.

      Sie ging die fünfzehn, zwanzig Meter zu ihm hinüber, sah sich rasch um, bevor sie die Taschen abstellte und sich hinhockte.

      Sie tastete den reglosen Körper ab, untersuchte den Jeansstoff, stieß auf blutverklebte Haare, preßte ihre eiskalten Finger seitlich an seinen Hals.

      Hörte nur ihr eigenes Herz, es pochte in den Ohren, sie schob die Finger ungeduldig ein kleines Stück höher.

      Nichts.

      Sie hätte ihn gern umgedreht, traute sich aber nicht, denn sie hatten ihn offenbar so getreten, daß er vermutlich eine Gehirnblutung hatte oder sein Nacken gebrochen war. Erneut preßte sie die Finger an seine Halsschlagader. Schloß die Augen, konzentrierte sich.

       Los! Bleib hier! Komm schon!

      Sie war plötzlich den Tränen nahe, es war einfach zuviel für einen Tag. Was zum Teufel sollte sie hier mit einem sterbenden Mann anfangen. Mensch, bleib hier! Wieder preßte sie die Finger an seinen Hals.

      Fand keinen Puls.

      Sie verlagerte ihr Gewicht auf die Fersen und versuchte nachzudenken.

      Sie mußte Leute suchen, Hilfe holen. Das hier konnte sie nicht allein schaffen. Sie sah ja nichts im Dunkeln, hatte keine Ahnung, ob der Mann noch am Leben war. Er lag so schief, der Kopf war zur Seite gedreht, vielleicht hätte sich dort ein Puls tasten lassen, aber sie konnte ihn nicht finden.

      Gerade wollte sie sich aufrichten, da bemerkte sie, daß sich etwas direkt neben ihr bewegte.

      Sie erstarrte.

      Ihr Herz hatte Anlauf genommen, jetzt pochte und schlug es gegen die Rippen.

      Da stand jemand.

      Sie starrte mit weit offenen Augen und trockenem Mund in die Finsternis.

      »Hallo?« sagte sie schließlich. Sie hörte selbst, wie dünn ihre Stimme klang, und wiederholte mit der ganzen Kraft, die sie aufbringen konnte: »Hallo! Ist da jemand?«

      Keine Antwort. Füße bewegten sich, Sand knirschte auf Asphalt.

      Sie erhob sich langsam. Packte die Umhängetasche, als sei sie eine Waffe, umwickelte die Hand mit dem langen Riemen. »Jetzt antworte schon!« rief sie plötzlich mit sich überschlagender Stimme. »Sag was, verdammt noch mal!«

      Wieder knirschte es, dann hörte sie eine Stimme, dünn, ein wenig nasal, beinahe schüchtern. Sie spürte, wie sie sich gleich ein bißchen entspannte, das war ja fast noch eine Jungenstimme.

      »Was machen Sie hier?«

      »Ich?« fragte Moss leicht hysterisch. »Ich bin bloß vorbeigekommen.«

      »Sie wohnen also in der Nähe?«

      Sie spürte, wie sie einen heißen Kopf bekam. Verdammt noch mal, stand der Typ hier herum und machte Small talk, oder was?

      »Du, der muß ins Krankenhaus! Und zwar so schnell wie möglich, hörst du? Du hast nicht zufällig ein Handy dabei?«

      Stille.

      »Nein«, kam es endlich. »Aber wenn Sie hier wohnen ...«

      »Ich bin nicht von hier!« sagte sie laut. »Ich bin heute aus Oslo gekommen, verdammt noch mal! Sieh zu, daß du deinen Arsch hochkriegst!«

      Wieder Stille.

      »Ich hab eine Taschenlampe«, sagte die Stimme schließlich. Es knirschte noch mehr, als er sich näherte. Etwas wurde ihr gereicht, was sie in Empfang nahm: eine Stablampe. Sie fummelte daran herum, ehe sie aufleuchtete. Dann hockte sie sich wieder hin.

      Der Mann war tot. Es war offensichtlich. Er lag mit offenen Augen da und starrte ins Nichts, eine Blutspur zog sich von der Nase über die Wange. Es hätte ein schöner Mann sein können, wäre sein Gesicht nicht so fahl gewesen. Er war zwischen vierzig und fünfzig, er hatte Sand im Bart, und das Haar klebte blutig an Stirn und Schläfen. Er war tot.

      Sie schaltete die Lampe aus. Gab sie dem Besitzer zurück, erhob sich. Packte die Umhängetasche, hängte sich die Reisetasche über den Arm.

      »Ja, ja«, sagte sie. »Das war’s dann wohl.«

      Da knallte es.

      Hinterher konnte sie sich nicht mehr erinnern, ob es weh getan hatte oder nicht, sie wußte nur noch, daß sie eben noch dagestanden, sich an den Griffen ihrer Reisetasche zu schaffen gemacht und im nächsten Moment eine Art knirschendes Geräusch bemerkt hatte. Dann wurde sie bewußtlos.

      3

      »Er war vor dem Mast gesegelt

      wie ein Mann, viele Jahre lang.

      Er war mit verrutschter Ladung gesegelt

      von Frisco bis Singapur.«

      Trad.

      Wahnsinnig durstig, dachte Moss und drehte sich im Bett um.

      Durstig und offenbar verkatert.

      Meine Güte, solche Kopfschmerzen hatte sie sonst nie, was hatte sie diesmal bloß getrunken?

      »Southern Comfort«, sagte eine Stimme von weither. Sie schüttelte den Kopf und bereute es sofort.

      Was war passiert?

      Sie öffnete die Augen. Über ihr befand sich eine Decke, die sie noch nie gesehen hatte. Hellgrüne Holzverkleidung, mittendrin eine Milchglaskuppel voller toter Fliegen. Mühsam drehte sie den Kopf und entdeckte ein Fenster mit altmodischen Spitzengardinen, schlapp und schlaff hingen sie da, und es war lange her, daß sie einmal weiß gewesen waren.

      Waren das Halluzinationen, oder träumte sie nur?

      Da hörte sie Möwengeschrei, zunächst entfernt, dann sehr nah, schließlich Schritte auf einem Holzfußboden, knarr-knarr-knarr, es klang wie in einem Radiohörspiel. Sie runzelte die Augenbrauen und versuchte sich zu konzentrieren, als eine Türklinke quietschte.

      Sie blinzelte der undeutlichen Gestalt zu, die auf der Türschwelle stand, wollte etwas sagen, aber es kam nichts als heiseres Quaken.

      »Hm«, räusperte sich jemand drüben an der Tür. »Dabei hab ich denen doch gesagt, daß sie Sie nicht so fertigmachen sollen.«

      Er war hochgewachsen und etwas gebeugt.

      Sein Haar war nach Elvisart mit Pomade nach hinten gekämmt, nur zwei Haarsträhnen hingen ihm in die Augen. Er trug ein verwaschenes kariertes Hemd über einem weißen Unterhemd, hatte eine lange Nase, braune Augen blickten besorgt, und eine soeben angezündete Zigarette hing in seinem Mundwinkel.

      Er hustete, ohne dabei die Zigarette zu verlieren, und sagte über die Schulter: »Und daß ihr sie dann auch noch mit hierher nach Varmen gebracht habt! Schön blöd!«

      Jemand hinter ihm erwiderte etwas. Moss schloß die Augen. Was meinte er wohl damit, daß sie sie ins Warme mitgenommen hätten, und warum hatte sie solche Kopfschmerzen?

      Weit entfernt knallte eine Tür.

      »Na ja«, sagte eine Stimme nach einer Weile. »Nun ja.«

      Dann hörte sie wieder den Husten, ein hartnäckiger und trockener Raucherhusten. Sie öffnete die Augen. Er stand direkt neben dem Bett und schaute auf sie hinunter, endlich hatte er die Zigarette aus dem Mund genommen, jetzt wischte er sich mit


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