Die siebte Sünde - Norwegen-Krimi. Kjersti Scheen

Die siebte Sünde - Norwegen-Krimi - Kjersti Scheen


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erinnerte sie daran, daß er auch mal auf der Rosenbergwerft gearbeitet habe. In den Sommerferien. Das hatte Harry vergessen, aber als Rune es erwähnte, erinnerte er sich.

      »Wir waren doch alle eine Clique, Mensch«, sagte Rune und stellte sein Bierglas klirrend auf dem Tisch ab. »Ihr und ich und John Eimeland, wie haben wir den noch genannt?«

      Dillinger, John Dillinger. Nicht weil der Junge so ein Großverbrecher gewesen wäre, sondern weil er immer damit prahlte, daß sein Großvater den berühmten gleichnamigen Gangster kennengelernt habe, als er vor dem Krieg auf den großen amerikanischen Binnenseen gesegelt war.

      Ja, vielleicht waren sie eine Clique gewesen – einen Sommer lang.

      Und jetzt saßen sie zusammen und tranken Bier, das Rune ihnen spendierte. Erzählten von sich und ihren Angelegenheiten, eigentlich recht traurige Geschichten.

      Harry war lange vor Kolbein geflogen. Wegrationalisiert, wie es hieß.

      Später dachte er sich, daß dieser Reiedal irgendwas im Sinn gehabt haben mußte, an jenem Tag unten am Anleger, als er sie in die Kneipe mitgenommen hatte.

      Daß er es lange vorgehabt und nur auf eine Gelegenheit gewartet hatte.

      »Verdammt, du brauchst doch nicht ohne Geld herumzulaufen!« hatte Rune Reiedal gesagt und Kolbein angesehen. »Nur Dummköpfe sind arm.«

      Harry hatte er nicht eines Blickes gewürdigt.

      Vermutlich hatte er sich Kolbein für seine Zwecke auserkoren, und von diesem Tag an war Kolbein Vågeviks Schicksal besiegelt, wovon er natürlich nichts wußte. Er dankte dem Schicksal, weil es ihn zu Rune Reiedal geführt hatte, als dieser gerade Leute brauchte.

      Kolbein bekam Geld zwischen die Finger. Aber es verschwand ebenso schnell, wie es gekommen war. Es gab zwar eine lederne Couchgarnitur und einen Bücherschrank aus Palisander für Arna und ihn und für Tom die ersehnte E-Gitarre. Aber die Schulden hatten die Eigenschaft, trotzdem zu wachsen. Jedesmal wenn Kolbein glaubte, auf einen grünen Zweig gekommen zu sein, kam Rune Reiedal und erinnerte ihn daran, was er ihm noch schuldete.

      Außerdem hatte er inzwischen begonnen, zu Pferderennen zu gehen.

      Und auf den ersten Blick wirkte es ja auch so nett und harmlos, draußen in Forus auf der Trabrennbahn mit den Promis zu verkehren.

      Er legte sich teurere Lebensgewohnheiten zu.

      Den Durchfall bekam er ironischerweise auch wieder.

      Sonderlich hohe Ideale habe Kolbein wohl nie gehabt, sagte Harry. Aber er habe doch immerhin genug Verstand gehabt, um zu merken, wenn etwas zu riskant wurde. Wenn es darum ging, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen.

      Doch genau darum ging es. Immer häufiger.

      Und ihm, Harry Hesthaug, mit dem er doch immerhin manchmal ein Bier trinken ging, erzählte er immer weniger davon.

      »Er hat wohl gewußt, daß das, was Rune Reiedal hinter der Fassade eines tüchtigen Geschäftsmannes getrieben hat, nicht nur Rune für viele Jahre hinter Gitter bringen könnte, wenn es jemand rausbekommen und aufdecken würde, sondern auch die Leute, die für ihn arbeiteten«, sagte Harry und warf Moss einen düsteren Blick zu. »Aber da war ja Geld zu holen. Viel Geld. Und wer ist schon wählerisch und beharrt auf seinen Prinzipien, wenn ganz offensichtlich in der Gesellschaft kein anderer welche hat!«

      »Stimmt«, sagte Moss.

      »Die Solidarität ist den Bach runtergegangen«, sagte Harry und aschte ab. »Die Kapitalisten haben alles im Griff, und kein Arsch kümmert sich noch um irgendwas. Das hat sich Kolbein wohl auch gedacht und – na ja, ich weiß, daß er so gedacht hat, und dann hat er sich wohl auf eine weitere Schmuggeltour mit dem großen Lastzug eingelassen, den er von einem Typen namens Næsvik gemietet hat. Wer ist schon ein Prinzipienreiter und denkt ans Wohl der Gesellschaft, wenn die Mächtigen es nicht mehr tun!«

      »Und was ist mit Arna, seiner Frau?« fragte Moss und sah kurz zu Tom hinüber.

      Er saß mit hängenden Schultern dabei, und man konnte nur vermuten, was er gerade dachte. Oh, Arna habe wohl geahnt, was sich da abspielte, meinte Harry. Tom nickte kurz.

      Arnas Nacken hatte noch mehr als früher geschmerzt, und sie hatte doppelt soviel geraucht. Als sie eines Abends mit leuchtenden Augen und roten Wangen nach Hause gekommen war, hatte Kolbein für einen kurzen Moment geglaubt, sie sei mit jemand anders im Bett gewesen. Ihm sei aufgegangen, daß er wohl doch nicht so hoch im Rennen lag, wie er glaubte, hatte er Harry gegenüber gesagt. Doch dann hatte sie ihm erzählt, sie habe zu den Pilgerbrüdern zurückgefunden, einer kleinen freikirchlichen Gemeinde, aus der sie ausgetreten war, als sie seinerzeit Kolbein getroffen hatte, der ein ungläubiger Kerl war und damals nur der Arbeiterbewegung getraut hatte.

      »Um so besser«, hatte Kolbein zu Harry gesagt, sobald er sich vom Schock mit den Pilgerbrüdern erholt hatte. »Um so besser! Dann hat sie wenigstens eine Beschäftigung.«

      Tom erzählte, daß er selbst immer häufiger mit Freunden unterwegs und nur noch selten zu Hause gewesen sei. Sie hätten zusammen eine Band, die sie »Öl« nannten, das sei natürlich ironisch gemeint, sagte er, lächelte etwas schief und sah Moss durch seine Gardine von Haaren hindurch an. Sie spielten Rockmusik, die sein Vater nicht leiden konnte und als Höllenlärm bezeichnete, weit entfernt von den Beach Boys und anderen Gruppen, die Kolbein und Harry und ihre Kumpels in ihrem Alter gemocht hatten. Arna, die sonst nur Schlagersänger wie Jan Høyland mochte, halte das Gitarrenspiel des Sohnes erstaunlicherweise besser aus als der Vater, aber das liege wohl eher an ihrem Mutterherz als an der Musik, sagte Harry und lachte ein wenig.

      Tom sagte nichts.

      So verging die Zeit. Kolbein Vågevik transportierte Waren für den Teil von Rune Reiedals Unternehmen, von dem niemand etwas wissen durfte. Ab und zu lieh er sich die Garage eines Vetters draußen in Madla, der ohnehin kein Auto besaß und immer Platz für zwanzig bis dreißig Kanister Alkohol oder Kartons mit Zigaretten hatte, bevor sie weitertransportiert wurden.

      Seine Probleme mit dem Magen hätten zugenommen, und er sei immer dünner geworden, sagte Tom. Er habe sich angewöhnt, nachts wach zu sitzen und zu rauchen. Wenn Arna morgens aufgestanden war, um Tom in die Schule zu schicken – er besuchte die letzte Klasse des Gymnasiums –, war das Wohnzimmer grau von altem Zigarettenrauch und das Sofa voller Tabakkrümel gewesen. Kolbein hatte sich nie an Fertigzigaretten gewöhnen können, egal, wie viele Schachteln er sich umsonst hätte beschaffen können.

      Arna hatte sich Sorgen gemacht, aber wenn sie darüber reden wollte, hatte er abgeblockt.

      »Ach, halt doch den Mund«, hatte er nur gesagt und war aus dem Zimmer gegangen.

      Eines Abends hatte sie mit Tom darüber geredet. Hatte erzählt, wovor sie Angst hatte – daß diese Freunde von der Trabrennbahn in größere und schlimmere Dinge verwickelt sein könnten als die Schmuggeltouren nach Kiel.

      Tom hatte sie über den Küchentisch hinweg angesehen und mit den Schultern gezuckt. Er trieb sich nicht dort herum, wo sein Vater verkehrte. Zwar wußte er, wer Rune Reiedal war, aber er konnte sich nicht vorstellen, daß der Vater sich traute, nebenher etwas anderes und Größeres als Schmuggel zu betreiben.

      Das Schmuggeln war ja außerdem nur ein Gerücht.

      Kolbein selbst hatte nie etwas davon erzählt. Er befördere ganz gewöhnliche Waren, sagte er. Das tat er auch.

      Zusätzlich.

      Eines Tages hatte Tom zusammen mit Harry und dem Typen, der John Dillinger genannt wurde, in der Kneipe gesessen, was er normalerweise nicht tat. Es war reiner Zufall, an ihrem Tisch war ein Stuhl frei gewesen, und sonst war niemand im Lokal, den er kannte.

      Seit seiner Kindheit hatte er gewußt, daß die beiden Männer Arbeitskollegen seines Vaters bei Rosenberg gewesen waren.

      Sie hatten sich über Fußball unterhalten, und Harry, der gerade seine Spendierhosen anhatte, bestellte dem Jungen ein großes Bier und fand es richtig nett. Er war aufgeräumt und redselig


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