Die siebte Sünde - Norwegen-Krimi. Kjersti Scheen

Die siebte Sünde - Norwegen-Krimi - Kjersti Scheen


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verrückte Sachen hatten sie immer schon gereizt.

      5

      »We’ll understand it better, by and by.«

      Tindley

      Moss hatte geschlafen und fühlte sich ein bißchen besser.

      Vom Fenster aus waren überall weiße Holzhäuser zu sehen, dazu ein Stück einer himmelhohen Brücke, ein Stück Meer, ein Junge, der auf einem Fahrrad bergab fuhr, mit vorgebeugtem Kopf und nassen Haaren, die ihm auf der Stirn klebten, glänzende Dachziegel, eine segelnde Möwe.

      Der Regen wurde in Böen gegen die Scheibe gepeitscht, es hatte angefangen zu dämmern.

      Moss saß mit Harry, Tom und einer erschöpften Blondine in den Vierzigern, John Dillingers Freundin, in Harry Hesthaugs Küche.

      Sie war schon fast bereit, dem Vorschlag zuzustimmen.

      Entscheidend war dabei weniger, daß sie hierbleiben mußte, sondern daß es ihr erspart bleiben würde, nach Hause zu fahren.

      »Das sieht schon noch ein bißchen blau aus«, sagte Harry Hesthaug und betrachtete sie im schwindenden Licht.

      »Blau?« sagte Moss. »Ich bin gelb und blau und lila, wartet nur bis übermorgen, dann werd ich auch noch grün!«

      Die erschöpfte Blondine sah sie entschuldigend an.

      Elfrid hieß sie, fiel Moss wieder ein.

      Das Ganze hatte was von einer verschworenen Gemeinschaft, insbesondere seitdem sie alle zum vertraulicheren Du übergegangen waren.

      »Na?« sagte Harry Hesthaug.

      Sie zog die Schultern hoch. »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ihr müßt mir erst noch ein paar Informationen geben.«

      Und sie ließen sich von Moss löchern, bis sie eine Stunde später den Kopf in die Hände stützte und aufgab.

      Der einzige, den Tom am Orrestrand vielleicht erkannt hatte, war ein Typ namens Tonny, ein kleiner, dünner Kerl, der sich in einer Kneipe herumtrieb, in die auch Tom manchmal ging. Aber er war sich nicht sicher.

      Es war, wie gesagt, dunkel gewesen und zu weit weg. Das eine Auto hatte dem von Tonny ähnlich gesehen, und der am Steuer hätte durchaus Tonny gewesen sein können. Als das Auto rückwärts fuhr und wendete, hatten die Scheinwerfer des anderen Wagens ihn gestreift, und Tom hatte gedacht, der Typ habe Tonny ganz schön ähnlich gesehen.

      Also nur ähnlich gesehen.

      Ansonsten wußten sie wenig, was ihr nützen konnte. Von der Schmuggelei wußte der »halbe Ort«. Die Leute behaupteten zwar, daß bei Rune Reiedal nicht alles mit rechten Dingen zuging, aber niemand am Küchentisch hatte irgendwelche Beweise. Daß Kolbein Vågevik sich in den letzten Monaten große Sorgen gemacht hatte, ja geradezu panische Angst vor irgendwas gehabt hatte, war dagegen sicher.

      Ebenso sicher war, daß er am Abend zuvor zu Tode geprügelt und getreten worden war.

      Das war auch das einzige, was Moss mit Sicherheit sagen konnte, schließlich war sie dabeigewesen – Kolbein hatte zunächst noch gelebt, und am Ende war er tot.

      Die Polizei habe die Mutter verhört, erzählte Tom. »Aber sie hat keinen blassen Schimmer.«

      Er blickte in seine Tasse. Das strähnige Haar fiel ihm ins Gesicht.

      »Warum hast du dich nicht bei der Polizei gemeldet«, erkundigte sich Moss, »und erzählt, was du gestern gesehen hast?«

      Er antwortete nicht.

      »Hast du Angst?« fragte sie.

      Er hob beinahe unmerklich die Schultern.

      »Verdammt, das ist doch wohl klar, daß er Angst hat«, sagte Harry scharf.

      »Und deine Mutter – bist du ganz sicher, daß sie nicht mehr von dieser Sache weiß als du?« fragte Moss nach einer Weile.

      Jetzt blickte er endlich hoch. Die dünnen Augenbrauen zogen sich über der Nase zusammen, und seine Augen leuchteten, dann beugte er sich vor, und das Haar rutschte wieder vors Gesicht.

      »Sie hat keinen blassen Schimmer«, wiederholte er nur.

      »Wo ist sie jetzt?« fragte Moss und hatte das Gefühl, so sehr auf dem Holzweg zu sein wie schon lange nicht mehr. Die Geschichte schien aussichtslos, ein paar hilflose, wohlmeinende Leute, die von nichts eine Ahnung hatten. Die ihr trotzdem zutrauten, daß sie ihnen helfen konnte, das sah sie ja.

      »Sie ist zur Andacht gegangen«, sagte Tom schniefend. »Ich bin nach Hause, weil ich dachte, sie wollte heute abend nicht allein sein, und dann lag da bloß ein Zettel. Aber gegen sieben wollte sie zurück sein.«

      Arna Vågevik war mit ihrer Trauer zu den Pilgerbrüdern gegangen.

      Sie machten sich auf den Weg zum Mietshaus in Tasta, wo Tom und seine Mutter wohnten. Auf getrennten Wegen: zuerst Tom, der mit gebeugtem Kopf und hochgeschlagenem Jackenkragen an den Häuserwänden entlanghastete, und eine ganze Weile später Moss, mit der Karte von Stavanger in der Manteltasche und einer geborgten Schirmmütze (Harrys), die sie tief ins Gesicht gezogen hatte, um das blaue Auge so gut wie möglich zu verbergen.

      Sie hatte auch Harry Hesthaugs schwarzen Regenschirm dabei. Einer der Stäbe ragte heraus, und in den Windböen drohte der Schirm umzuschlagen. Atemlos blieb sie an einem Zebrastreifen stehen.

      Ihr war viel schwindliger, als sie gedacht hatte.

      Die Erde schien unter ihren Füßen zu schwanken, und es sauste in den Ohren.

      Sie hob die Hand und befühlte das Auge.

      Es war weich und geschwollen wie eine überreife Pflaume.

      Auch an der Stirn schmerzte es, denn die Kante der Schirmmütze preßte gegen die Stelle, wo die Taschenlampe sie getroffen hatte.

      Ein Stück entfernt leuchtete ein Taxischild, sie streckte die freie Hand aus, und wenig später fuhr der Wagen an den Straßenrand und blieb stehen.

      Moss quetschte sich mit dem nassen Schirm ins Auto. Probierte einen nicht näher definierbaren Vestlanddialekt aus, als sie die Adresse angeben sollte. Man wußte ja nie, ob Taxifahrer später möglicherweise gebeten wurden, sich an ihre Kunden zu erinnern.

      Moss war vielleicht nicht die beste Detektivin der Welt, aber ein bißchen hatte sie gelernt.

      Sie ertappte den Fahrer, wie er sie im Spiegel anstarrte.

      »Das da sollten Sie der Polizei melden«, sagte er und reihte sich in den Verkehrsfluß ein.

      Moss zog die Mütze tiefer ins Gesicht und murmelte etwas davon, daß sie Rücksicht auf die Kinder nehmen müsse.

      »Das dankt der Ihnen aber nicht«, sagte er und betrachtete sie wieder verstohlen im Spiegel. »Sehn Sie zu, daß Sie von diesem Schuft wegkommen!«

      Als sie vor Toms Wohnblock aus dem Auto stieg, steckte der Taxifahrer seinen Kopf aus dem Fenster und sah erst das Haus an und dann sie. »Soll ich mit raufkommen?« fragte er. »Ich tu das gern. 1954 war ich Juniorenmeister vom Bezirk Rogaland im Mittelgewicht.«

      »Vielen Dank«, sagte Moss matt. »Aber ich glaube, das geht nicht. Außerdem ist er sowieso gerade nicht zu Hause.«

      Toms Mutter dagegen war da.

      Arna Vågevik war klein und dünn, hatte nikotingelbe Finger und einen Blick, der Margaret Moss mißtrauisch betrachtete.

      Sie begriff nicht, warum diese Frau aus Oslo sie in ihrer Trauer und Verzweiflung mit Fragen quälte.

      Tom hatte sie als alte Freundin von Harry Hesthaug vorgestellt, was Arna offenbar für keine gute Empfehlung hielt. Auch ihr blaues Auge schien kein besonderes Mitleid zu wekken, und Moss konnte ja schlecht sagen, wo es herstammte.

      »Wir glauben, daß wir herausfinden können, wer Ihren Mann umgebracht hat«, sagte Moss und setzte sich ein bißchen


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