Die siebte Sünde - Norwegen-Krimi. Kjersti Scheen

Die siebte Sünde - Norwegen-Krimi - Kjersti Scheen


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weißt du. Konnte verdammt gut spielen, dein Vater.«

      Tom war hinterher mit zu Harry nach Hause gegangen. Harry hatte irgendwo eine Gitarre stehen, von der er glaubte, daß sie mal Kolbein gehört hatte, aber sie war nicht dort, wo er gedacht hatte, und deshalb setzten sie sich statt dessen hin und tranken.

      Plötzlich war die ganze Geschichte aus Tom herausgebrochen.

      Vom Vater, der so krank wirkte, und von der Mutter, die sich Sorgen machte und in die Andachten bei den Pilgerbrüdern flüchtete, um Trost zu finden. Schließlich war er so betrunken, daß er zu weinen anfing, wofür er sich am nächsten Tag schämte.

      Während Tom Vågevik mit einer Wolldecke zugedeckt auf dem Sofa schlief, saß Harry in der Küche, sah draußen den Tag dämmern, trank starken Kaffee und dachte nach, was ihm nicht immer sonderlich leicht fiel. Und als Tom blaß und übernächtigt, die Hände in die Taschen der Jeansjacke vergraben, an diesem Vormittag nach Hause ging, hatte er ein Versprechen an seine Mutter dabei: Harry Hesthaug würde versuchen, mit Kolbein zu reden.

      Sie waren trotz allem Kumpel. Ehemalige Arbeitskollegen. Sie waren doch zusammen zur Realschule gegangen.

      Margaret Moss saß im Bett und betrachtete Harry mit dem einen Auge. Sie hatte das Brot gegessen und das Bier getrunken. Tom lehnte wie ein umgeknicktes Schilfrohr an der Wand. Von irgendwoher erklang ein Radio.

      »Und haben Sie mit ihm reden können?« fragte sie und dachte, wenn sie jetzt nicht bald eine Kopfschmerztablette bekäme, müsse sie sterben.

      Ja, Harry hatte mit Kolbein geredet. Er hatte sich als erstaunlich offen und umgänglich erwiesen, und es hatte den Anschein gehabt, als freue er sich, daß Harry sich Sorgen machte. Es stimmte schon, er sei an einer Sache dran, »einer großen Sache«, hatte er gesagt. Etwas, worüber er nicht reden konnte. Aber er wollte mit der ganzen Sache aufhören. Er kam mit diesem Streß nicht mehr zurecht.

      Um was für einen Streß es sich handelte, hatte er nicht gesagt.

      Noch am selben Tag hatte er einen Anruf auf dem Handy bekommen, woraufhin er vom Mittagstisch aufgestanden war, mitten beim gebratenen Hering, und gesagt hatte, er müsse los.

      Bevor er gegangen war, hatte er sich übergeben. Das hatten Arna und Tom, die in der Küche sitzengeblieben waren, beide gehört.

      Tom hatte nicht weiteressen können, sondern gleich nach dem Vater das Haus verlassen. War durch die Straßen gelaufen und hatte bei Harry angeklopft. Es sei dringend, hatte er gesagt. Der Vater sei krank und habe Todesangst, das könne jeder sehen.

      »Ich hab selber Angst«, hatte Tom gemurmelt und mit den Zähnen geklappert, als er da in dem schwachen Westwind auf Harrys Treppe stand. »Ich glaub, da braut sich was zusammen.«

      Harry hatte einen Moment nachgedacht und dann nach Kolbeins Handynummer gefragt.

      Die hatte Tom in seiner Brieftasche.

      Harry hatte die Nummer gewählt und einen kurz angebundenen und beschäftigten Kolbein am anderen Ende gehabt. Nein, er habe jetzt keine Zeit für ein Bier. Er sei gerade beruflich unterwegs. »Aber«, hatte Harry geschickt geschwindelt, »ich hab dich doch vor zehn Minuten hier auf der Straße gesehen!«

      Nein, da habe er sich geirrt, hatte Kolbein mit gedämpfter Stimme gesagt, als wollte er nicht, daß jemand ihn hörte. »Ich bin auf dem Weg zum Orrestrand, du kannst mich also gar nicht gesehen haben.«

      Dann hatte er Harry versprochen, ihn ein anderes Mal anzurufen, und aufgelegt.

      Harry hatte sich damit zufriedengegeben, aber Tom nicht. Er war zu John Dillinger gegangen, der in der Dachwohnung desselben Hauses wohnte, und hatte gefragt, ob er dessen Auto borgen dürfe, einen alten, rostigen Opel mit der roten Feder des Lions-Clubs auf der Heckscheibe.

      »Kommt gar nicht in Frage«, hatte John gesagt. »Da fahr ich lieber selbst. Der Wagen ist antik, Junge!«

      Dann waren John Eimeland alias Dillinger, groß, rothaarig und laut, seine Freundin Elfrid und Tom Vågevik, Gymnasiast und der einzige Sohn, in Richtung Süden gefahren. Doch sie bemerkten nichts Auffälliges und waren irgendwann der ganzen Sache überdrüssig gewesen. Inzwischen war es dunkel geworden, und John und der Junge hatten sich an die Motorhaube gelehnt und eine geraucht, während Elfrid auf der Rückbank Nägel gekaut hatte. Da hatten sie plötzlich Automotoren gehört.

      John, der trotz seines verbrecherischen Spitznamens ein vorsichtiger Mann war und sich nicht gern auf zwielichtige Angelegenheiten einließ, insbesondere nicht, wenn vielleicht Leute wie Rune Reiedal in die Sache verwickelt waren, hatte das Auto abgestellt und sich mit Elfrid hinter eine dichte Hecke verzogen, während Tom die Gegend erkundete.

      Als er acht bis zehn Minuten später zurückkam, war er ganz blaß um die Nase und wollte die Stabtaschenlampe aus dem Auto mitnehmen. Dann war er wieder verschwunden, und John und Elfrid hatten im Opel gesessen, von weitem den weißen Schein der Lampe gesehen und durch das Brausen von Wind und Wellen vereinzelte kurze Rufe gehört.

      »Verdammt«, hatte John Dillinger gesagt und Elfrid einen dunklen Blick zugeworfen. Elfrid, die dasaß wie die Heldin in einem alten Stummfilm, die eine Hand an die Wange gepreßt und die andere an die Brust, hatte nur genickt.

      Als die Autos schließlich weggefahren waren, ohne daß Tom zurückgekommen wäre, hatte John beschlossen, nach ihm zu suchen. Elfrid, die nicht allein im Auto sitzenbleiben wollte, kam mit. Nachdem sie das Sumpfgebiet überquert und endlich Tom entdeckt hatten, zogen sie die falsche Schlußfolgerung, als sie die Gestalt sahen, die sich über Toms Vater beugte, der am Boden lag. John hatte dem Jungen die Taschenlampe aus der Hand gerissen und zugeschlagen.

      »Er hat nicht mal gesehen, daß Sie eine Frau sind«, sagte Harry bedauernd.

      Dann hatten sie Moss so weit geschleppt, wie sie konnten, und waren schließlich mit dem Auto so nahe wie möglich herangefahren und hatten sie auf die Rückbank gepackt.

      Kolbein Vågevik hatten sie in den Kofferraum gelegt.

      »Er hat es ja sowieso nicht mehr mitgekriegt, wissen Sie«, sagte Harry in beinahe flehentlichem Ton, und Toms Blick begann wieder zu flackern.

      Sie hatten ihn vor der Notaufnahme des Zentralkrankenhauses abgeladen, geklingelt und waren dann losgefahren.

      Eine Stunde später hatte ein Krankenpfleger aus der Klinik Arna Vågevik angerufen.

      Kolbein war schon aufgebahrt und geschminkt gewesen, als sie ihn sehen durfte. Er sah wächsern aus, zeigte jedoch einen edlen Gesichtsausdruck, den sie noch nie an ihm gesehen hatte.

      Tom hatte nicht mitkommen wollen, die Mutter hatte gemeint, es läge an der Angst der Jugend vor dem Tod. Tom hatte sie in dem Glauben gelassen. Er hatte nämlich Angst, sich zu verraten. Große Wut und wachsende Verzweiflung hatten seinen mageren Körper erfüllt, und jetzt wollte er wissen, wer seinen Vater zu Tode geprügelt hatte, und er wollte Rache, Rache um jeden Preis.

      »Rache?« sagte Moss und hielt sich mit beiden Händen den Kopf. »Das ist ein schlechter Ausgangspunkt. Außerdem habe ich gedacht, du hättest gesehen, wer es war.«

      Nein, Tom war zu weit entfernt gewesen.

      Zuerst hatte er nicht verstanden, was da eigentlich passierte, und als es ihm langsam dämmerte, waren sie schon weg gewesen.

      »Hören Sie mal zu«, sagte Harry Hesthaug, der noch immer auf der Bettkante saß, und beugte sich vor. »Sie können sich die Sache ja mal überlegen! Wir haben zusammen zehntausend Kröten, Dillinger und ich. Und wir sind bereit, das Geld einzusetzen, wenn Sie nur ein paar Tage für uns arbeiten. Sie können ja sowieso nicht nach Oslo zurückfahren, so wie Sie aussehen.«

      »Was um alles in der Welt könnte ich denn für euch tun?« fragte Moss mit schwacher Stimme.

      »Hier im Ort kennt Sie niemand«, sagte Harry. »Sie können herumschnüffeln, ohne daß sich einer wundert. Wenn ich oder Dillinger oder Tom versuchen, was aus den Leuten rauszukriegen, dann ist der Bär los. Dann läuten alle Alarmglocken.«

      »Hm«,


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