Der Club der Unzertrennlichen - Skandinavien-Krimi. Elsebeth Egholm

Der Club der Unzertrennlichen - Skandinavien-Krimi - Elsebeth Egholm


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Handelshochschule und studierte Wirtschaftswissenschaften. Das konnte sie nicht begreifen, sagte sie. Verstand nicht, was irgendwen ins Wirtschaftsleben locken konnte. Konnte auch nicht verstehen, wie sie sich für jemanden erwärmen konnte, der sich für eine solche Ausbildung entschieden hatte. Sie studierte Geschichte, war überzeugte Sozialistin und müsste ihn eigentlich verabscheuen. Das fanden sie sehr komisch.

      Schließlich hatten sie keinen Wein mehr, und sie mussten die Entscheidung treffen, die die ganze Zeit über ihnen in der Luft geschwebt hatte.

      »Ich kann dich nicht zu mir nach Hause einladen, ich wohne im Moment nämlich bei meinen Eltern«, sagte er.

      Damit hatte er ihr den Ball zugespielt. Eine innere Stimme sagte ihr, dass sie seine Achtung gewinnen könnte, wenn sie es ihm nicht zu leicht machte. Aber dazu hatte sie verdammt noch mal keine Lust.

      »Ich hab ein Zimmer, wenn du damit leben kannst. Aldersrovej. Ich lad dich zu einem Tee ein.«

      »Kaffee.«

      »Tut mir Leid. Ich hab bloß Tee . . . aber ich kann sicher bei den Nachbarn etwas klauen.«

      Als sie mit dem Taxi nach Trøjborg fuhren, wobei ihr Fahrrad hinten an einem Gestell befestigt war, dachte sie kurz darüber nach, wie Poul reagieren würde, wenn Asger zu Hause wäre. Asger studierte Theologie. Und zwar seit elf Jahren. In seinem Zimmer standen zwei riesige gebrauchte Fernsehapparate, an denen ein selbstklebender Zettel mit der Aufschrift: »Nimm zwei für 9,95« befestigt war. Dann gab es noch Jes und Lars, die beiden Kommilitonen, die niemals spülten und Töpfe und Pfannen so lange benutzten, bis die Spaghetti Löcher in den Boden fraßen und die Essensreste zum Leben erwachten. Abends lasen sie einander laut Comics vor, wenn sie in ihren gegenüberliegenden Zimmern bei offener Tür im Bett lagen, und riefen alle schönen Comicausdrücke quer über den Flur: Kadonk, urggh, Schwisch, Uach, Wambam. Jes war schwul, und Pernille hatte das Gefühl, dass Lars demnächst sein Coming-out haben würde.

      Sie hoffte wirklich, dass keiner von den Nachbarn zu Hause sein würde.

      Aber das waren sie natürlich. Denn es war jetzt inzwischen Abendbrotzeit, und Jes und Lars kochten, die ganze Treppe bis zum fünften Stock stank schon nach Knoblauch und Büchsentomaten.

      »Hiiimmel, Perniiiille, was hast du denn da mitgebracht? Ist der für mich?«, fragte Jes und musterte Poul von Kopf bis Fuß.

      Poul reichte ihm höflich die Hand und stellte sich vor. Lars wischte sich ganz schnell die Hände am Spüllappen ab und machte eine übertriebene Verbeugung.

      »Ja, entschuldigt bitte das Chaos. Wir sind nämlich Künstler. Da darf man das.«

      Pernille schaute Poul nicht an, sondern lief weiter über den Flur zu ihrem eigenen Zimmer.

      »Jetzt hole ich Kaffee«, sagte sie nervös und glaubte plötzlich, seine Gedanken lesen zu können, als er auf dem Boden die Matratze mit der bunten mexikanischen Decke, die tönerne Öllampe und an der Decke die chinesische Reislampe sah. In einer Ecke standen ihre Chinaschuhe, die sie als Pantoffeln benutzte.

      Sie hatte schon die Tür erreicht, als er die Hand nach ihr ausstreckte, sie um die Taüle fasste und sie an sich zog. Sie spürte, wie ihr Herz ängstlich unter ihrer Bluse umherhüpfte, und wehrte sich nervös. Aber er hielt sie fest, beharrlich und entschlossen.

      »Ganz ruhig«, murmelte er. »Das ist doch alles egal. Hab keine Angst.«

      Das war der erste Kuss. Nur ein Kuss. Aber er war auch Balsam für ihre ausgefransten Nervenenden, und sie hatte sich danach gesehnt.

      »Ist die Tür abschließbar?«, flüsterte er ihr ins Ohr.

      Sie hakte den Riegel ein, und er zog sie zur Matratze. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, ihm zu erzählen, dass sie zwei Matratzen hatte und eine neben die andere legen könnte. Aber sie hatte jetzt Angst vor einer Unterbrechung. Angst davor, die Magie könne verschwinden. Diese zerbrechliche Magie, die immer dann verflog, wenn das Gegenüber die Socken anbehalten wollte.

      Doch das passierte nicht. Die Magie war wie eine treue Zuschauerin, als sie einander ungeduldig die Kleider vom Leib rissen.

      »Jetzt kann ich dich viel besser kennen lernen«, murmelte er.

      Und sie liebten einander, als ob das Wort »später« nicht existiere.

      Doch später kam. Als sie immer noch in der gegenseitigen Wärme lagen und sein Gesicht so dicht an ihrem war, wie es noch kein Gesicht geschafft hatte, so lange sie sich erinnern konnte.

      »Ich möchte dir noch etwas sagen«, murmelte er.

      Wieder setzte ihr Herz aus. Eine bange Ahnung machte sich bemerkbar.

      »Was denn?«

      Er seufzte.

      »Es ist wirklich nicht wichtig. Für mich wenigstens nicht.« Ihre Angst wuchs.

      »Was denn?«

      Er küsste sie sanft, wie zur Beteuerung.

      »Ich bin zweiter Vorsitzender bei der KU.«

      Im ersten Moment, als er das gesagt hatte, empfand sie nichts. Aber tief in ihr spürte sie, dass ein Haken zuschnappte.

      »Bei der Konservativen Jugend-Union?«, fragte sie dumm. Denn der Name dieser Erzfeindin war ihr schließlich nur zu vertraut.

      NOVEMBER 1997

      Das Testament war zwei Jahre alt.

      Es war vor Solveigs Umzug nach Skörping in Nordjütland verfasst worden, wo sie ihren Traumposten als Ärztin an einer Privatklinik gefunden hatte.

      Einen guten Monat nach der Beerdigung fanden sie sich alle in einer Anwaltskanzlei in der Vestergade ein. Sie saßen in zwei Gruppen zusammen. Solveigs Eltern nebeneinander vor dem Schreibtisch. Die Freundinnen etwas zurückgezogen in weicheren Sesseln um einen Couchtisch. Dort standen Tee und Kaffee, und Mette füllte die Plastikbecher und reichte sie herum.

      »Ich kann es nicht verstehen. Ich habe sie in finanziellen Fragen immer beraten, und sie hat kein Wort von einem Testament gesagt«, sagte Leo Aastrand mit einer Mischung aus Kummer und Irritation in der Stimme.

      Solveigs Vater hatte immer schon Autorität ausgestrahlt, überlegte Isabel. So, wie er dort saß, groß und schlank in seinem Tweedjackett und mit der rahmenlosen Brille auf der Nase, erinnerte er sie unwillkürlich an einen englischen Landedelmann. Er war einwandfrei daran gewöhnt, dass ihm zugehört wurde, und sie ging davon aus, dass das für seine Arbeitskollegen und für seine Frau galt. Die Freundinnen wussten alle, das er für Solveig eine Art Vorbild gewesen war.

      Auf jeden Fall hatte sie häufig von seinen Leistungen auf dem Pferderücken und dem Tennisplatz erzählt, von seinem fachlichen Können ganz zu schweigen.

      Er nahm den Becher wortlos entgegen, wie aus der Hand einer bezahlten Serviererin. Ohne seinen gequälten Gesichtsausdruck hätte man ihn für den Anwalt halten können, und nicht den verhuschten Wicht, der sich in seinem Sessel auf der anderen Schreibtischseite zurückgelehnt hatte.

      Der Anwalt Erling Meinert sah ungefähr so aus wie das, was die Mädchen früher auf der Grundschule als »Kneifarsch« bezeichnet hätten. Er erinnerte Isabel an den Mozart in Milos Formans Film, mit seinen unbezähmbaren Struwwelhaaren und seinen ruhelosen Bewegungen, doch er hatte auch scharfe Augen, die jedes Detail in seiner Umgebung registrierten.

      »Ich kann natürlich versichern, dass das Testament gültig ist. Ihre Tochter hat sich bereits 1995 an mich gewandt, um ihre Situation zu diskutieren«, sagte er und drehte seinen Schreibtischstuhl ein wenig zur Seite, was eher wie eine schlechte Gewohnheit aussah als wie eine bewusste Handlung.

      Isabel hatte Solveigs Eltern nie sonderlich gut leiden mögen, obwohl sie nicht behaupten konnte, sie zu kennen. Natürlich hatte es Solveig rein finanziell an nichts gefehlt. Mit materiellen Gütern war sie so richtiggehend voll gestopft worden, und ihre Freundinnen hatten häufiger die guten Weine aus Leo Aastrands Keller genossen, wenn Solveig sie zum Essen eingeladen


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