Der Club der Unzertrennlichen - Skandinavien-Krimi. Elsebeth Egholm
waren ihre Augen feucht geworden. Oder war das nur Einbildung?
Ihre Umarmung ging ganz schnell. Nur eine kurze Berührung und ein feuchter Wangenkuss, als sie noch im Evaskostüm dastanden. »Pass gut auf ihn auf, Niller. Wenn er der Richtige ist, dann halt ihn um Himmels willen fest, und lass ihn nie im Leben wieder los.«
Das Café Casablanca sah tagsüber nicht so cool aus wie abends. Das Tageslicht schien die Magie der Spiegel viel leichter zu durchschauen und damit den Drang der Gäste, zu sehen und gesehen zu werden, auf eine ganz andere, unbarmherzige Weise bloßzustellen.
»Willkommen in den Achtzigern«, grüßte Poul. Er stand am Tresen und wartete auf sie.
»Angezogen siehst du ganz anders aus«, stellte sie fest, und beide lachten leicht nervös.
Aber das war die Wahrheit. Plötzlich ging ihr auf, dass sie ihn immer nur in seiner dunkelblauen, ziemlich neutralen Badehose und mit nassen Haaren gesehen hatte. Und jetzt stand er plötzlich vor ihr und zeigte einen Stufenschnitt wie ein schwedischer Schlagerstar und richtige Herrenhosen mit Bügelfalte und passendem Pullover über hellblauem Hemd – hier war nicht die Rede von Jeans und T-Shirt.
Sie versuchte ihn nicht anzustarren. Sein Aussehen sollte sie nicht umwerfen. Wir sind schließlich zur Toleranz erzogen, dachte sie und hoffte insgeheim, dass diese Toleranz auch noch weiter reichen würde.
Sie bestellten Cappuccino. Während die Kaffeemaschine die Milch in Schaum verwandelte, musterte Poul Pernille von der Seite her mit einem undefinierbaren Lächeln.
»Vielleicht sind wir beide anders, als wir erwartet hatten.«
Sie war noch nicht auf die Idee gekommen, dass ihr Aussehen ihn seinerseits überraschen könnte. Sie war ja schließlich normal angezogen. Alle Welt trug Anorak und Jeans. Na ja, unter dem Anorak hatte sie ja den selbst gestrickten Pullover mit den vielen kleinen Mustern. Und die selbst gestrickten Socken. Und den Rucksack mit der Atomkraft-nein-danke-und der Smiley-Plakette.
Sie schob verstohlen den Rucksack, den sie auf den Boden gestellt hatte, etwas weiter weg und merkte, dass sie keine Lust hatte, den Anorak auszuziehen, obwohl sie schwitzte. O verdammt. Das war ja ein netter Anfang.
Wieder musterte er sie neckend. Und dann lachte er mit seinen türkisblauen Augen, die immer so gut zum Boden des Schwimmbeckens passten, und alles, die ganze Klamottenfrage, war plötzlich nur noch gleichgültig.
»Was, zum Henker«, sagte er. »Schlips und Kragen oder Entenfüße, daraufkommt es ja wohl nicht an.«
Sie entspannte sich ein wenig mehr. Der Cappuccino wurde serviert. Sie wusste nie, ob sie zuerst umrühren oder ihn einfach so trinken sollte wie einen Irish Coffee. Sie hielt sich an Pouls Beispiel. Gab ein wenig Zucker hinein und rührte um. Nicht so sehr, dass der Schaum ganz verschwand, sondern so, dass er sich mit dem Kaffee vermischte und hellbraun wurde, nicht mehr weiß.
Sie setzten sich in eine der braunen Nischen auf der rechten Seite des Tresens.
»Das haben sie doch toll eingerichtet, findest du nicht? Ich glaube, sie haben die ganze Einrichtung aus Paris geholt«, sagte er.
Pernille schaute sich um in dem Café, dessen Wände mit französischen Plakaten aus den zwanziger und dreißiger Jahren geschmückt waren.
»Es sieht jedenfalls sehr französisch aus«, gab sie zu und spürte wieder, wie die Nervosität ihr unter die Haut kroch. Unfreiwillig fröstelte sie.
Das sah er und beugte sich vor, über den Tisch.
»Du bist hier nicht die Einzige, die nervös ist. Ich glaube sogar, dass ich noch nervöser bin als du«, sagte er auffällig langsam und ruhig. Er schien das Verhalten in Situationen, in denen die Nerven Arger machen können, trainiert zu haben.
Sie blickte ihn überrascht an und machte sich an ihrer Kaffeetasse zu schaffen.
»Wieso in aller Welt solltest du das sein?«
»Weil für mich viel auf dem Spiel steht.«
»Hast du eine Wette laufen, oder was?«
Er schüttelte den Kopf.
»So ist das nicht. Das ist kein Jux.«
»Aber was ist es dann?«
Er sprang auf.
»Was hältst du von einem Glas Wein? Ich glaube, ich könnte jetzt eins vertragen.«
Pernille schaute automatisch auf die Uhr.
»Es ist erst drei.«
Und sofort kam sie sich reichlich spießig vor.
»Na gut. Ein einziges Glas Weißwein.«
Bald daraufkehrte er mit zwei Gläsern zurück. Weiß für sie, rot für sich selber. Er setzte sich.
»Dann können wir auch besser anstoßen«, sagte er, noch immer auf diese langsame Weise. Doch jetzt sah sie die kleinen Schweißperlen auf seiner Oberlippe.
Sie sagte vorsichtig:
»Ich glaube, du wolltest mir etwas erzählen.«
Er faltete auf dem Tisch die Hände und setzte sich gerade, wie vor einem wichtigen Diskussionsbeitrag zu irgendeiner Fernsehdebatte.
»Ich habe während der vergangenen sechs Wochen versucht, dich mir aus dem Kopf zu schlagen. Aber das ist mir nicht gelungen.«
Sie wollte schon etwas sagen, freute sich aber, als er die Hand hob, um sie daran zu hindern.
»Lass mich erst ausreden. Du musst wissen, wer ich bin. Ich bin altmodisch. Ich glaube an Treue in einer Beziehung. Und an Offenheit. Ich wohne seit zwei Jahren mit einem Mädchen zusammen. Wir kennen uns seit dem Gymnasium, und ich habe ihr erzählt, dass ich mich in eine andere verliebt habe.«
Er starrte zur Decke hoch, als könne er dort seine weiteren Worte finden. Dann streckte er die Hand nach seinem Glas aus und trank es mit einem einzigen Zug halb leer.
»Ich bin vor drei Wochen ausgezogen. Ich wollte das so.«
Pernille schwieg. Dann nahm auch sie ihr Glas, trank und merkte, wie der Wein ihr das Sprechen ein wenig leichter machte.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
Er lächelte, fast wie um Entschuldigung zu bitten.
»Du sollst eigentlich gar nichts sagen. Und du sollst dich auch nicht für mein Privatleben verantwortlich fühlen und glauben, ich wolle dich unter Druck setzen. Taktisch gesehen war es sicher dumm von mir, dir alles zu erzählen.«
Er holte sehr tief Luft.
»Ich hätte dich vielleicht lieber mit süßen Reden und billigem Portwein locken sollen. Aber in der Liebe war ich noch nie ein großer Taktiker«, fügte er leise hinzu.
Pernille schluckte und klammerte sich an ihrem eigenen Glas an. Sie schwiegen eine Weile. Sie versuchte, ihre Gefühle auszuloten. Eigentlich, fand sie, müsse sie mit Pouls Freundin solidarisch sein und Mitleid mit ihr haben. Aber sie kannte diese Frau nicht und stellte fest, dass es ihr absolut egal war, dass irgendwo in der Stadt eine verschmähte Geliebte saß und sich nach ihm sehnte. Das einzige, was sie empfand, war Dankbarkeit. Darüber, dass sie hier sitzen, ihn ansehen und spüren konnte, wie sie nacheinander brannten und wie die Kraft der Pole sie immer weiter über den Tisch zog, der plötzlich nur noch eine dumme, unpassende Sperre war.
»Gut, dass du den Wein geholt hast«, sagte sie endlich. »Soll ich nicht eine ganze Flasche besorgen?«
Er lächelte erleichtert und erhob sich.
»Das sollst du auf keinen Fall. Jetzt gebe ich einen aus.«
Zeit und Raum schienen plötzlich keine Bedeutung mehr zu haben. Es schien nichts anderes mehr zu geben als Pernille und Poul.
Sie redeten. Plapperten drauflos, über alles Mögliche, während sie in Wirklichkeit nur an diesem Tisch sitzen und einander in die Augen starren und sich freuen wollten,