Der Club der Unzertrennlichen - Skandinavien-Krimi. Elsebeth Egholm

Der Club der Unzertrennlichen - Skandinavien-Krimi - Elsebeth Egholm


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vielen Blumen und Kränze gleiten ließ, die einwandfrei unter dem Regen des Vortags gelitten hatten. Dann erstarrte sie plötzlich. An einem Kranz aus blauen und gelben Blumen lehnte ein frischer Strauß. Es war ein Strauß aus ganz außergewöhnlichen Rosen. Isabel zählte insgesamt zwölf. Zwölf langstielige, dunkle Rosen. So dunkel, dass sie schon fast schwarz aussahen.

      Wer aber legte schwarzrote Rosen auf das Grab einer Verstorbeneri? Das tat doch nur ein trauernder Liebhaber. Hatte Solveig einen Liebhaber gehabt?

      Das Rattern des Zuges ließ sie in einen traumreichen Schlaf sinken.

      Sie träumte, sie fahre zusammen mit Mette Bus. Mette saß neben ihr und hatte ihre Abiturientinnenmütze auf dem Schoß liegen.

      »Solveig ist in Alex verliebt«, sagte Mette zu ihr.

      »Das weiß ich doch. Alle sind in Alex verliebt«, sagte Isabel, und plötzlich war er da, sein Gesicht, Alex, anderthalb Jahre vor dem Abitur in die Stadt gezogen. Ein Blick, der sein Gegenüber bis auf die Haut auszog. Ein Lächeln, das etwas versprach, was kein anderer halten konnte. Er und Solveig tanzten eng. Das Gefühl, ausgeschlossen zu sein und sich nach zu viel Bier und zu viel Traurigkeit erbrechen zu müssen. Nach zu viel Angst vor der Zukunft und Ekel angesichts eines Körpers, der sich immer mehr und mehr ausdehnte und einfach nicht zu stoppen war.

      Die Musik rockte weiter. Sie hörte sich an wie ein Zug, der sich über die Schienen frisst. Kadunk, kadunk. Solveig verschwunden. Pissen müssen. Klo besetzt. Oben versuchen. Abikleid mit Rotweinflecken und Schweißgeruch unter den Armen. Kadunk, kadunk. Das Geräusch erregter Stimmen. Solveig, die weinte. Alles wild durcheinander. Tür auf. Der Körper auf Solveigs, der lospumpte, während sie schrie und weinte und flehte und bettelte. Von hinten Pernilles heisere Stimme, der Kampf in Zeitlupe. Das Messer in seiner Hand. Das Blut auf dem weißen Kleid. Zerrissen. Mette, die dazukam und jammerte und Solveig tröstete. Pernille, die schluchzend den Kampf aufnahm, das Messer aus der Hand lösen konnte, sodass es klirrend auf den Boden fiel. Die Flasche, die neben seinem Kopf gegen die Wand prallte, die Flucht. Durch das Fenster, hinunter auf die Steine. Pernille hinterher, während Solveig rief:

      »Halt! Lass ihn laufen, Pernille. Pernille! Halt!«

      Nächster Halt Kopenhagen Hauptbahnhof. Bitte alle aussteigen, der Zug endet hier.

      Isabel fuhr aus dem Schlaf hoch und versuchte ihren Traum abzuschütteln. Doch als sie den Zug schon verlassen hatte und draußen durch die kühle Luft ging, wollte er sie noch immer nicht loslassen.

      In Kopenhagen versuchte sie in den Tagen nach der Beerdigung sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Sie hatte jede Menge Termine: Unterrichtsstunden, Konzerte, auf die sie sich vorbereiten musste. Aber sie arbeitete rein mechanisch, und das überraschte sie. Sie hatte damit gerechnet, dass ihre Empfindungen im Zusammenhang mit Solveigs Tod in ihre Musik hineinsickern und sie prägen würden wie ein roter Faden der Melancholie. Aber stattdessen erfüllte sie eine Gleichgültigkeit, mit der sie nicht gerechnet hatte. Und sie stellte fest, dass ihre Gedanken ihr immer wieder einen Streich spielten und sich in der Zeit zurück und zum Traum im Zug hinbewegten.

      Wenn sie tagsüber keine Zeit zum Nachdenken fand, dann konnte sie sicher sein, dass die Nacht zu Hilfe genommen werden würde. Der immer wiederkehrende Albtraum machte sie nervös. Der Schlafmangel sorgte dafür, dass sie tagsüber bisweilen in Schweiß ausbrach und danach vor Kälte zitterte, während die Arbeit sich auftürmte. Ganz gegen ihre sonstige Art versuchte sie auszurechnen, wann sie sich einen Urlaub gestatten könnte, und wieder machte sie sich an die gefährlichen Spekulationen über das Älterwerden und stellte die Frage, was aus ihrem Leben werden sollte, was sie sich jetzt wünschte und was sie vermutlich niemals erreichen würde.

      Ihre kleine Zweizimmerwohnung in Frederiksberg, in der sie zu ihrem Glück im Keller einen Übungsraum für ihren Flügel hatte mieten können, löste jetzt in ihr Klaustrophobie aus. Ihr fehlte ein Mensch, mit dem sie reden konnte. Natürlich fehlte ihr auch ein Mann; das brauchte sie sich weder von einem Psychologen noch von ihrer Mutter erzählen zu lassen. Aber vor allem fehlte ihr ein Mensch, der sie gut kannte. Ein Mensch, mit dem sie eine Vergangenheit teilte. Doch ihre Freundinnen wohnten in Århus, ihre Großmutter lebte nicht mehr, und ihre Mutter war viel zu sehr beschäftigt mit Henry, ihrem Bridgeklub und der nächsten Campingreise.

      Also fing Isabel an zu rauchen. Sie war immer eine Gesellschaftsraucherin gewesen, doch jetzt riefen die Zigaretten mit einer ganz anderen Stimme nach ihr, und sie gab nach, weil ihr die Konsequenzen ziemlich egal waren, solange sie auf diese Weise das Gefühl zu leben zurückgewinnen konnte.

      Als zehn Tage später der Brief durch den Türschlitz fiel, war sie ohnehin schon bereit, von allem wegzulaufen, den Laden dichtzumachen und die Flucht ins heimische Århus anzutreten, wie es in diesem schrecklichen Lied hieß, bei dem ihr, trotz seiner ganzen Schrecklichkeit, doch immer wieder die Tränen in die Augen traten.

      Fast noch in der Sekunde, in der sie die Lektüre beendete, läutete das Telefon, und Pernilles vertraute Stimme wünschte ihr einen Guten Morgen.

      »Hast du auch einen Brief von Solveigs Anwalt bekommen?«

      Isabel, die eine Zigarette brauchte, sagte eilig:

      »Momentchen. Ich hol mir nur schnell einen Kaffee. Gleich wieder da.«

      Sie riss ihre Zigaretten und einen Becher Nescafé an sich, dann setzte sie sich in den Le Corbusier-Korbsessel neben dem Telefon.

      »Hier bin ich wieder. Ich hab ihn gerade gelesen. Was bedeutet das?«

      »Das wollte ich dich auch fragen. Kommst du zu diesem Termin am 22.?«

      »Kann ich zwei Tage bei dir wohnen?«

      Isabel hoffte, dass ihre Depression nicht allzu deutlich zu merken war.

      »So lange du willst. Stimmt irgendwas nicht?«

      »Ich weiß nicht. Ich glaube, ich muss einfach mal weg hier. Hast du was von Mette gehört?«

      Pernille und Mette hatten sich zwei Tage zuvor zum Mittagessen getroffen.

      »Wie geht es ihr denn?«

      Nach einer kurzen Pause sagte Pernille:

      »Ich durchschaue einfach nicht, ob Donald das Problem ist oder sie selber. Aber irgendetwas stimmt nicht bei ihr. Ist dir das nicht auch aufgefallen?«

      »Ich hatte nur das Gefühl, dass alles so angespannt wirkte«, sagte Isabel. »Aber das kann ja viele Gründe haben. Und das Leben mit Kindern ist sicher auch nicht so leicht.«

      Pernille schnaubte ein höhnisches »Ha!«

      »Die sind doch immerhin zu zweit«, rief sie dann.

      Pernille hatte Thomas allein großgezogen.

      »Lass uns hoffen, dass die beiden eine Lösung finden«, sagte Isabel gutmütig. »Was ist mit Thomas, von dem weiß ich gar nicht viel. Geht’s ihm gut? Wie kommt er in der Schule zurecht?«

      »Er wird im Dezember fünfzehn.«

      »Wirklich? Er war als kleines Kind so niedlich«, sagte Isabel und fand plötzlich, sie höre sich an wie ihre Mutter.

      »Er ist noch immer niedlich. Er ist das Beste, was ich habe«, sagte Pernille ernst.

      »Hat er eine Freundin?«

      Pernille kicherte. »Wenn, dann gibt er das auf jeden Fall nicht zu. Aber er braucht Stunden im Badezimmer, wenn er auf ein Fest geht, also vielleicht will er ja doch auf irgendwen Eindruck machen.«

      Isabel zog ausgiebig an ihrer Zigarette. Sie merkte, wie der Rauch ihre Lunge füllte und das wohltuende Gefühl von Nikotin sich in ihrem Körper ausbreitete.

      »Ich glaube, Solveig hatte einen Freund«, sagte sie dann.

      Sie erzählte Pernille von ihrem Besuch auf dem Friedhof und den schwarzen Rosen auf dem Grab.

      »Warum ist er nicht zur Beerdigung gekommen?«, fragte Pernille.

      »Ich weiß nicht. Vielleicht war er so neu,


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