Der Club der Unzertrennlichen - Skandinavien-Krimi. Elsebeth Egholm

Der Club der Unzertrennlichen - Skandinavien-Krimi - Elsebeth Egholm


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und spuckend und prustend erreichte sie wieder die Wasseroberfläche.

      »Ich bitte tausendmal um Entschuldigung. Ist alles in Ordnung?«

      Es war eine Männerstimme, aber im Moment konnte sie noch nichts sehen, und außerdem war sie vollauf damit beschäftigt, sich über Wasser zu halten. Erst, als sie sich das Wasser aus den Augen gerieben und ausgiebig gehustet hatte, sah sie den Jungen, der sie besorgt musterte und ebenfalls Wasser trat.

      »Das war mein Fehler«, gab er zu. »Ich bin einfach losgesprungen.«

      Er nickte zum Sprungbrett hoch. »Ohne mich richtig umzusehen«, fügte er hinzu.

      Sie war zu geschockt, um wütend zu werden. Und außerdem hatte er schöne Augen, genau von derselben Farbe wie der Beckenboden. Ansonsten konnte sie nur Spekulationen anstellen, denn das Wasser verzerrte seine Körperform. Für einen Moment registrierte sie immerhin Solveigs neckendes Lächeln hinter seinem Rücken und sah ihren erhobenen Daumen.

      »Ich heiße Poul«, sagte der Junge unaufgefordert und nickte zum Beckenrand hinüber. »Meinst du nicht auch, wir sollten an den Beckenrand gehen? Vielleicht hast du Wasser geschluckt, und überhaupt.«

      ›Wir.‹

      Pernille wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie folgte ihm einfach, als er zum Beckenrand schwamm. Mit einem Zug war er oben. Und schon hatte er einen Arm ausgestreckt und ihr aus dem Wasser geholfen.

      »Ich bin sonst nicht so unvorsichtig«, sagte er mit einem Lächeln, das um Entschuldigung zu bitten schien.

      Pernille planschte ziellos mit einem Fuß im Wasser herum.

      »Das war wirklich eine Überraschung. Aber so schlimm war es auch wieder nicht.«

      »Kommst du oft hierher?«

      »Jeden Donnerstag, zusammen mit meiner Freundin.«

      »Ich auch. Ich meine, nicht mit meiner Freundin . . . allein.«

      Pernille wagte kaum, in seine türkisfarbenen Augen zu schauen. Es war fast zu viel. Sie kam sich davon wie geblendet vor.

      »Dann sehen wir uns ja vielleicht wieder«, murmelte sie und mochte ihren eigenen Ohren nicht trauen. Was redete sie da bloß für einen Schwachsinn. Es hörte sich an wie ein Spruch aus einem der beiden Liebesromane, die sie mit dreizehn gelesen hatte.

      Sie merkte, dass er lächelte.

      »Das wäre nett. Ich werde auch bestimmt nicht wieder versuchen dich zu ertränken.«

      »Ach, danke.«

      Der Dampf quoll ihr entgegen, als sie die Tür zum Dampfbad öffnete.

      »Wo steckst du?«

      »Hier.«

      »Wo ist hier?«

      Solveig hatte sich weit in die Tiefe hineingewagt. Pernille kam sich vor wie in einem Ofen, aber trotzdem war es immer eine angenehme Form von Unbehagen. Das Gefühl, dass der Dampf durch ihre Haut und bis zu ihren Knochen vordrang und seine brennende Hitze durch ihren Leib jagte und die Kälte vertrieb. Die Kälte, die Angst und das Gefühl, so schrecklich viel beweisen zu müssen.

      »Jetzt hau deinen Hintern schon irgendwo hin«, sagte Solveig, deren Umrisse aus dem Dampf auftauchten. Sie hatte sich in ihrer ganzen Blöße auf eine der alten Marmorbänke fallen lassen.

      Pernille gesellte sich zu ihr. Wie immer bei der Begegnung mit dem Dampf nervös und zugleich erregt.

      »Meine Fresse, ist das heiß!«

      »Wie in der tiefsten Hölle. Versuch dich zu entspannen. Atme tief durch und denke an diesen Poul Newman. – Oder vielleicht solltest du das lieber lassen«, sagte Solveig bei genauerem Nachdenken. »Der hat sicher die genau entgegengesetzte Wirkung.«

      »Sicher«, murmelte Pernille, deren Gedanken an zwei Orten zugleich waren. »Was soll ich mit meiner Mutter machen?«

      Solveig legte den Kopf in den Nacken und lehnte sich an die Mauer.

      »Was sollst du mit deinem Vater machen? Diese Frage kommt mir wichtiger vor.«

      »Wieso das?«

      »Weil es ihm sicher total dreckig geht. Weil er ein Mann ist und weil er es nicht schafft, sich wie ein Mann zu verhalten. Weil ihr ihn verachtet, du und deine Mutter.«

      Pernille seufzte.

      »Verachte ich ihn? Vielleicht. Aber ich liebe ihn doch auch.«

      »Das will ich hoffen.«

      Solveig setzte sich gerade hin und schaute auf Pernille herab.

      »Ich mag deine Eltern wirklich beide sehr gern. Sie sind schon ziemliche Sonderlinge, aber ich mag sie trotzdem, und ich war bei ihnen immer willkommen. Sie werden schon eine Lösung finden.«

      »Dreiecksdrama«, sagte Pernille theatralisch. »Wird das nicht so genannt?«

      »Ist doch egal, wie das heißt. Los jetzt, Niller. Ich weiß, dass es immer etwas anderes ist, wenn es um die eigene Familie geht. Aber du musst versuchen, sie so zu akzeptieren, wie sie sind.«

      Pernille schnaubte.

      »Die sind einfach bescheuert!«

      »Sind sie nicht. Sie wissen bloß nicht, wie sie sich verhalten sollen. Sie haben einander gern und können sich nicht zu einer Trennung aufraffen. Dein Vater möchte lieber mit seiner Rivalin unter einem Dach hausen, und deine Mutter möchte ihm das lieber zumuten, statt einfach endgültig ihrer Wege zu gehen.«

      »Und Ruth?«

      Solveig rief ärgerlich:

      »Ruth ist im Großen und Ganzen ja wohl eher unwichtig. Vergiss sie. Entspann dich. Denk an etwas anderes. Wir können doch etwas unternehmen. Können in die Stadt gehen, mit den anderen zusammen kochen, wir haben einander!«

      Pernille erhob sich von der Marmorbank. Allein diese Bewegung ließ sie die Temperatur viel stärker fühlen und jagte eine Hitzewelle durch ihren Körper. Rasch setzte sie sich wieder.

      Solveig musterte sie durch den Dampf hindurch.

      »Warum verliebst du dich nicht in den Typen vom Zehnmeterbrett? Verliebte Leute sehen immer alles viel positiver.«

      »Woher weißt du das denn?«, fragte Pernille neugierig.

      »Das hab ich in einem Buch gelesen.«

      »Theorie ist sehr gut, aber Praxis ist besser.«

      Solveig stellte sich taub. Und wie immer fragte Pernille sich, ob es ihr jemals erlaubt werden würde, bei Solveig in die Rolle der Zuhörerin zu schlüpfen. Und ob sie bei einer, die allen anderen lieber half als sich selber, überhaupt seelische Erste Hilfe leisten könnte.

      OKTOBER 1997

      »Bist du sicher, dass das geht? Ich kann doch mit der Bahn fahren.«

      Isabel schaute auf die Uhr, während Mettes Volvo Geländewagen über den Randersvej dröhnte. Pernille hatte das Angebot angenommen, sie nach der Beerdigung in ihr Haus in Risskov zu begleiten. Pernilles vierzehnjähriger Sohn Thomas verbrachte das Wochenende bei seinem Vater.

      »Natürlich. Wir haben jede Menge Platz. Ich muss nur kurz bei Mackies vorbeischauen. Da gibt es gute Pizzen zum Aufbacken. Donald und Marie sind verrückt danach.«

      »Und was ist mit Malthe?«

      Mette lächelte Isabel im Rückspiegel strahlend vor Mütter-lichkeit an.

      »Der ist noch zu klein für Pizza, damit du’s weißt.«

      »Aber die muss doch sicher erst mal belegt werden«, warf Pernille dazwischen.

      »Ich freue mich darauf, ihn kennen zu lernen«, sagte Isabel höflich über Mettes acht Monate alten Sohn. Sie hatte keine Ahnung von Kindern und wusste nicht, in welchem Alter die was zu sich nehmen konnten.

      Das


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