Der Club der Unzertrennlichen - Skandinavien-Krimi. Elsebeth Egholm

Der Club der Unzertrennlichen - Skandinavien-Krimi - Elsebeth Egholm


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beneidete sie um die frisch renovierte Patrizierwohnung mit den hohen Decken. Solveigs Eltern hatten ihr Wohnung und Auto geschenkt, doch bei genauerem Nachdenken zog Isabel ihr Fahrrad und ihr Chaos in Åbyhøj vor. Sie zog auch ihre eigenen Eltern vor, auch wenn die geschieden waren.

      Solveig betete ihren Vater an, aber Isabel hatte sich in seiner Gesellschaft immer unwohl gefühlt. Seine Art zeugte von einer Verachtung anderer Menschen, die ihr nicht zusagte. Leo Aastrand mochte ein tüchtiger Sportarzt sein, aber er war auch ein Machtmensch. Macht über seine eigene Tochter hat er auf jeden Fall, dachte Isabel oft.

      Pernille saß mit hochgezogenen Beinen auf dem Sofa.

      »Bitte sehr. Ein Stück Zuhörerin, während ich mich an die Lasagne mache«, verkündete Solveig.

      Sie wollte noch mehr sagen, doch dann hielt sie inne und schnupperte in der Luft herum.

      »Es riecht angebrannt . . .«

      Solveig stürzte davon, und Isabel hörte sie schimpfen und in der Küche herumhantieren, während der Gestank von verbranntem Käse die Wohnung füllte.

      »Was hast du da für ein Projekt am Laufen?«

      Isabel ließ sich in einen Sessel fallen und war bereit, sich Pernilles üblichen Vortrag anzuhören. Pernille, die in ihrer Freizeit im Greenpeace-Laden arbeitete, machte sich sofort über ihr Opfer her.

      »Uns fehlen noch Leute, die am Mittwoch in der Fußgängerzone Plaketten zur Unterstützung der Antiwalfangaktionen verkaufen«, sagte sie sofort. »Und da habe ich an euch gedacht.«

      Es gab keine Fluchtmöglichkeit. Deshalb sagte Isabel einfach:

      »Ja, und?«

      »Was hast du am Mittwoch vor?«, fragte Pernille mit dem listigen Blick der Fanatikerin.

      Isabel dachte nach und hoffte, ihr werde ein wichtiger Termin einfallen. Denn sie war schon längst als schlechteste Lügnerin aller Zeiten entlarvt.

      »Da muss ich erst in meinem Terminkalender nachsehen . . . und der liegt natürlich bei mir zu Hause.«

      Sie merkte, dass Pernille eine scharfe, belehrende Bemerkung machen wollte. Doch in dem Moment ging die Türklingel, und Solveig rief aus der Küche:

      »Würde eine von euch aufmachen?«

      Draußen stand Mette, mit feinem, blassem Teint. Die glückliche Mette, die niemals Pickel bekam und niemals Bierhefe essen oder ihr Gesicht mit Clearasil waschen musste. Sie umarmten einander, wie sich das gehörte.

      Mette befreite sich von ihrem Fjällräven-Rucksack und ihrem Anorak. Dann rümpfte sie die Nase.

      »Hier riecht ’s ja angebrannt.«

      »Das kommt aus der Küche. Aber ich glaube, jetzt ist alles unter Kontrolle.«

      Mette lächelte nachsichtig, und Isabel dachte wie immer, dass Mette und nicht sie selber aussah wie eine angehende weltberühmte Pianistin. Mettes zartes Aussehen hätte sich auf einer Plattenhülle gut gemacht. Außerdem hatte sie Stil. Obwohl sie studierte und kaum Geld hatte, kaufte sie doch immer klassische, wenn auch wenige Dinge. Hier einen Gürtel, dort ein Paar Schuhe, und damit sah sie aus wie eine diskrete Million.

      »Kontrolle! Das will ich sehen, ehe ich es glaube«, verkündete Mette und schaute in die Küche.

      Der Wein war fast ausgetrunken, die Lasagne vollständig verspeist. Sie stritten sich um den letzten Rest Birnentorte aus dem Café »Karolines Køkken.« Gerede und Gelächter erfüllten den Raum.

      Isabel ließ ihren Blick durch die Runde wandern. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie auch ohne jene Juninacht in ihrer Schulzeit, in der ihre Lebensbahnen so gründlich miteinander verflochten worden waren, noch so eng zusammenhalten würden. Ohne die Nacht, die keine von ihnen vergessen konnte, obwohl sie nie erwähnt wurde; sie war gewissermaßen in eine Abstellkammer verwiesen worden, in der alles versteckt wird, was man nicht zeigen mag.

      Sie waren so unterschiedlich.

      Pernille, die politisch Bewusste, wollte die Welt retten und hatte deshalb zu allem eine Meinung. Sie war eine ernste Person, doch hinter dem Ernst und der darunter verborgenen Sensibilität lag doch eine gute Portion Humor, was den Umgang mit ihr erträglich werden ließ.

      Vor allem Solveig konnte Pernilles Humor wecken. Die beiden waren schon seit der Grundschule befreundet, und Isabel dachte oft, die zwei Freundinnen seien wie Feuer und Wasser. Pernille war das Feuer, die Intensivere, Angespanntere von beiden, die immer wieder gegen allerlei Ungerechtigkeiten in den Krieg zog, Solveig dagegen goss Öl auf die Wogen und stellte die Ruhe wieder her.

      Mette war am schwersten zu durchschauen. Die Männer schienen Angst vor ihrer eigentümlichen Schönheit zu haben, und sie lernte einfach nicht den richtigen Umgang mit dem anderen Geschlecht, zeigte eine Verzagtheit und eine Unbeholfenheit, die zu ihrem Aussehen nicht passten. Isabel überlegte sich oft, dass Mette vielleicht einen Mann brauche, der etwas älter wäre als sie. So, wie sie Mette kannte, würde diese sicher auch nicht protestieren, wenn dieser Mann etwas Geld hätte.

      In diesem Moment musterte Mette die anderen. Der Wein brachte ihre Augen zum Strahlen und hatte ihre Mutlosigkeit vertrieben. Sogar ihre ansonsten dünne und zaghafte Stimme hatte jetzt an Kraft gewonnen.

      »Spürt ihr das nicht auch?«, fragte sie. »Geht es uns nicht einfach fantastisch gut?«

      »Redest du hier vom Essen?«, fragte Solveig hoffnungsvoll.

      Mette lächelte.

      »Davon natürlich auch. Vom Essen, vom Wein, vom ganzen Abend . . . von der Zukunft und . . .« Sie suchte nach dem richtigen Wort. »Von der Freiheit«, sagte sie triumphierend. »Wir haben unsere Freiheit. Ist das nicht fantastisch? Was sollen wir mit der vielen Freiheit anfangen?«

      Die anderen tauschten Blicke, als hätten sie eine Offenbarung erlebt. Auch der Wein trug dazu bei, dass Mettes Worte ihnen plötzlich wie Goldstücke vorkamen.

      Sie hatte ja Recht. Genau darum ging es, dachte Isabel. Um das Gefühl von Freiheit.

      »Wir können alles selber entscheiden«, sagte Mette jetzt. »Von unserer Haarfarbe bis zu der Frage, was wir werden wollen, wenn wir groß sind. Niemand bestimmt über uns.«

      »Nicht einmal die Liebhaber. Denn im Moment haben wir ja keine«, kommentierte Solveig, die offenbar von Mettes Eifer mitgerissen worden war. »Wir haben nur einander.«

      Das stimmte. Eine Woge der Dankbarkeit durchflutete Isabel. Die Begeisterung der anderen wirkte ansteckend. Hier, an diesem warmen Septemberabend, schien die Luft mit Verheißungen geladen zu sein, und zum ersten Mal seit langer Zeit spürte sie, dass etwas mit den Flügeln schlug und hinauswollte. Die Lebensfreude. Die Freude und die Freiheit, die den meisten anderen als Selbstverständlichkeit erschienen.

      Mette strahlte, und ein eifriges Lächeln umspielte ihren Mund. Sie ließ sich im Sessel zurücksinken und schaute eine nach der anderen an.

      »Ist euch eigentlich klar, dass wir allesamt freie Frauen sind? . . . In jeglicher Hinsicht«, fügte sie hinzu.

      Solveig sang mit leiser Stimme:

      »Und kein Band hält mich gefesselt . . .«

      »Nein, ich meine das wirklich. Wir fangen doch erst an . . . alle Möglichkeiten stehen uns offen.« Mettes Stimme wurde immer mitreißender und wärmer. »Und für nichts ist es zu spät. Wir haben noch immer die Möglichkeit, eine richtige oder eine andere Wahl zu treffen. Solveig kann noch immer von Medizin auf Sinologie überwechseln. Wenn sie das will. Isabel, du kannst eine Popgruppe gründen und reich und berühmt werden.«

      Solveig griff diesen Faden auf:

      »Und Pernille kann auch noch umsatteln und zu den Rechtspopulisten gehen.«

      »Theoretisch«, murmelte Pernille. »Sehr theoretisch.«

      »Alles ist möglich. Ist das nicht fantastisch?«, fragte Mette begeistert, und Isabel kam sich sehr lebendig und wach vor.


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