Der Club der Unzertrennlichen - Skandinavien-Krimi. Elsebeth Egholm

Der Club der Unzertrennlichen - Skandinavien-Krimi - Elsebeth Egholm


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ihrem Vater.

      »Aber Solveig hatte doch schon einen Anwalt, den unserer Familie«, sagte Leo Aastrand und fügte rasch hinzu: »Ja, Verzeihung, ich wollte damit nicht sagen . . . Sie müssen verstehen, sie war ja nicht unvermögend.«

      Solveigs Mutter, eine eher unauffällige Frau mit hellen Dauerwellen und bleichgrünem Kostüm beugte sich in ihrem Sessel vorsichtig ein wenig vor.

      »Mein Vater hatte einen Fonds für sie eingerichtet, über den sie an ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag verfügen konnte«, flüsterte sie.

      Der Anwalt nickte.

      »Das ist mir bekannt, Frau Aastrand. Solveig hat mir fast alles erzählt, glaube ich.«

      »Aber warum?« Ihr Vater ließ nicht locker. »Warum hat sie nicht mit uns darüber gesprochen?«

      Das Geld stammte von der Mutter, das wusste Isabel. Solveigs Mutter hatte von ihrem Vater, einem erfolgreichen Kunststoffhersteller, ein kleines Vermögen geerbt. Ansonsten war es die übliche Geschichte von Arzt und Sprechstundenhilfe gewesen, die so eng zusammenarbeiteten, dass es in ihrer Beziehung plötzlich um ganz andere Dinge gegangen war.

      Der Anwalt setzte sich gerade.

      »Vielleicht sollten wir mit dem offiziellen Teil der Besprechung anfangen«, regte er an. »Sind alle anwesend?«

      Er leierte die Namen herunter, und alle nickten. Dann öffnete er einen Ordner, der vor ihm auf dem Schreibtisch gelegen hatte.

      »Die Verstorbene hat mit meiner Hilfe ihr Testament zu Gunsten der heute hier anwesenden Personen aufgestellt.«

      Erling Meinert schaute wieder auf und betrachtete die kleine Versammlung. Isabel folgte seinem Blick. Solveigs Eltern saßen angespannt dicht nebeneinander. Leo Aastrand starrte vor sich hin. Mette und Pernille schauten den Anwalt an wie zwei Musterschülerinnen einen Lehrer.

      »Ich werde mich kurz fassen. Die Hinterlassenschaft der Verstorbenen ist noch nicht taxiert worden, hat aber, durch das Reihenhaus in Aalborg und diverse Aktien und Obligationen sowie eine Lebensversicherung, einen Wert von an die zweieinhalb Millionen Kronen. Dazu kommen Einrichtungsund andere Gegenstände sowie diverse elektrische Apparate, Computer, Stereoanlage und so weiter.« Meinert sagte dann:

      »Solveig Aastrand hat – auf meinen Rat hin – das mögliche Erbe in Prozente eingeteilt. Es verteilt sich wie folgt: Leo und Bodil Aastrand bekommen zusammen fünfundzwanzig Prozent, was vor Abzug der Steuern ungefähr eine Summe von sechshundertdreiunddreißigtausend Kronen ausmacht. Der Rest, nämlich fünfundsiebzig Prozent der Hinterlassenschaft, fällt zu gleichen Teilen an Pernille Gram, Isabel Lund Jepsen und Mette Severinsen.«

      Isabel spürte eine Hand, die ihre packte. Pernille stieß einen leichten Klagelaut aus. Mettes Schultern zogen sich zu einem unterdrückten Schluchzen zusammen. Dann fand auch ihre Hand Isabels, und wortlos starrten sie erst den Anwalt und dann einander an.

      Solveigs Eltern saßen wie erstarrt in ihren Sesseln.

      Erling Meinert schloss den Ordner.

      »Wenn es Fragen gibt, dann schießen Sie los«, sagte er geradeheraus, was besser zu ihm passte als die förmliche Anwaltssprache.

      Das gab Isabel den Mut, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen.

      »Hast du Solveig gut gekannt?«, fragte sie. Sie brachte es nicht über sich, einen Mann, der jünger als sie selber war, zu siezen.

      Der Anwalt ließ sich in seinem hochrückigen Drehsessel zurücksinken und verschränkte die Hände in seinem Nacken.

      »Wie gesagt, Solveig hat mich 1995 erstmals aufgesucht. Ich möchte nicht behaupten, sie gut gekannt zu haben. Aber ich hatte den Eindruck einer sehr entschiedenen Frau, die genau wusste, was sie wollte. Wenn wir über die juristische Seite der Angelegenheit sprachen.«

      »Gibt es einen Grund zu der Annahme, dass sie . . . dass sie geahnt haben kann, was passieren würde?«

      Der Anwalt schüttelte den Kopf und wollte antworten, doch Solveigs Vater kam ihm zuvor.

      »Unsinn. Natürlich hat sie das nicht gewusst«, erklärte er mit schroffer Stimme.

      »Jede junge Frau in ihrer finanziellen Situation hätte doch ein Testament gemacht. Das habe ich ihr ja selber eingeschärft. Was ich aber nicht verstehen kann, ist . . .«

      Nun fiel Erling Meinert ihm ins Wort.

      »Ich muss Herrn Aastrand Recht geben. Es ist ganz normal und vernünftig, ein Testament zu machen, wenn Vermögen vorhanden ist. Aber es stimmt auch, dass es ein früheres Testament gab, das durch das neue ungültig geworden ist. Warum sie das wollte, weiß ich nicht.«

      »Und zu wessen Gunsten war das erste?«, fragte Pernille.

      Der Anwalt lockerte seinen Schlips, der ohnehin ziemlich lose gehangen hatte.

      »Es war ein klassisches Testament, durch das das Vermögen den nächsten Angehörigen zufällt«, sagte er.

      Alles schwieg. Die Stille war so bedrückend, dass Isabel sich unruhig bewegte. Sie sprang auf und schenkte sich Kaffee nach.

      »Ich würde gern eine Frage stellen. Eine Frage, die vermutlich nicht viel mit der Erbschaft zu tun hat«, sagte sie und sah zuerst Solveigs Eltern und dann den Anwalt an. »Weiß irgendwer, ob Solveig einen Freund hatte?«

      In diesem Moment erhob sich Leo Aastrand, dessen Gesicht von einer Art stummen Frustration gezeichnet war. Als sie dem Beispiel ihres Mannes folgen wollte, geriet Solveigs Mutter ins Schwanken und griff nach seinem Arm. Isabel sah, wie er sie verstohlen abschüttelte, indem er seinen Arm plötzlich schlaff nach unten hängen ließ.

      »Natürlich nicht«, sagt er dann wie zu einer Untergebenen, die eine dämliche Frage gestellt hatte. »Das hätten wir ja wohl gewusst.«

      Bodil Aastrand nickte. »Natürlich hätten wir das gewusst. Solveig hat ihre Freunde doch immer mit nach Hause gebracht.«

      »Freunde ja. Aber Liebhaber? Hat sie je einen Liebhaber mit nach Hause gebracht?« Isabel ließ sich nicht beirren, doch Solveigs Eltern gaben ihr keine Antwort, als sie dem Anwalt zunickten und dann das Lokal verließen.

      Danach gingen sie durch die Straßen von Århus. Pernille hatte nur Zeit für ein schnelles Glas. Es war Donnerstag um halb zwei nachmittags, und sie hatte einen Termin mit einem Klienten, der wegen seines Alkoholproblems, das derzeit behandelt wurde, seinen Arbeitsplatz verloren hatte. Mette musste um vier Uhr Malthe in der Krippe abholen. Nur Isabel hatte Zeit genug, sie hatte sich die ganze Woche frei genommen und sich in Pernilles Wohnung bereits häuslich eingerichtet.

      »Das ist ja ein Vermögen«, sagte Isabel und wusste nicht, was sie sonst noch sagen sollte. Es war schwer, nicht mitten in aller Trauer begeistert zu sein, aber im tiefsten Herzen schämte sie sich ihrer Freude ein wenig. Vor ihrem inneren Auge sah sie schon einen neuen, blanken Steinwayflügel, der ihr gehören sollte. Sie versuchte die prickelnde Erwartung zu unterdrücken, ihre Finger auf die Tasten zu legen und einen wunderschönen Klang hervorzurufen.

      Pernille schob ihr Fahrrad neben den anderen her. Auch sie hatte eine Zeit lang geschwiegen.

      »Wisst ihr überhaupt, was das bedeutet?«, fragte sie endlich, als sie im Novembersonnenschein zu dritt durch die Vestergade und weiter zum Lille Torv und zum Store Torv wanderten. Die beiden Plätze sahen aus wie sehr nackte, gepflasterte Vorgärten, fand Isabel. Umweltfreundlich hin oder her, die Stadt hatte ihr früher, als Autos und Fahrräder mitten im Zentrum ein Chaos verursacht hatten, besser gefallen.

      Mette wich einer somalischen Familie mit zwei Kinderwagen aus und lief hinter den anderen her.

      »Das bedeutet, dass Solveig aus irgendeinem Grund ihre Eltern bestrafen wollte«, sagte sie, als sie die Freundinnen eingeholt hatte. »Oder dass sie uns aus irgendeinem Grund etwas Gutes tun wollte. Oder vielleicht auch beides.«

      Wie Pferde, die sich an eine bestimmte Route gewöhnt haben, bogen sie fast automatisch in die Badstuegade ein. Plötzlich blieb Isabel stehen.


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