Lux. Olivia Kuderewski
eine Handvoll Nüsse, die unter einer Plastikhaut zusammengequetscht sind wie ein Geschwür. Sie liest sich wieder die Rückseite durch, dann verschwindet das Päckchen in ihrer Manteltasche.
»Hast du genug Medikamente dabei?«, fragt Charles am Telefon.
»Äh. Ja«, sagt Lux.
»Und, ich meine, wenn’s dir wirklich schlecht geht, kannst du ja auch zurückkommen. Ich meine, ist mutig, was du machst, ich will nur nicht, dass du dich … unter Druck setzt, weißt du? Es wär auch okay, wenn du einfach zurückfliegst. Aber das weißt du ja. Scheiße, ich will mich nicht anhören wie deine Mutter«, sagt Charles und lacht auf.
Kat lächelt Lux an. Ihre spitzen Zähne kommen zum Vorschein. Eine Echse, denkt Lux und erwartet für einen Moment, dass sich eine schmale, gespaltene Zunge zwischen ihren Lippen zeigt.
»Lux?«
»Äh, ja. Keine Sorge. Ich hab jemanden getroffen.«
»Jemanden getroffen?«
»Ja, wir fahren gemeinsam weiter. Erst mal.«
»Ein Typ?« Charles’ plötzliche Spannung in der Stimme, ihr plötzlicher Überschuss an Neugier holt Lux ins Gespräch zurück.
Wie sehr sie darauf hofft, dass du dich wieder in irgendwen verliebst. Als bräuchtest du eine neue Krücke.
»Kein Typ.«
»Okay, okay. Amerikanerin?«
»Ich denke schon«, sagt Lux und geht durch das Labyrinth der Regale, sie hat Kat wieder aus den Augen verloren.
»Das ist sicher gut. Wenn du nicht allein bist«, sagt Charles.
Da ist sie wieder. Spricht mit jemandem, einem jungen, blassen Typen mit strähnigem Haar. Er hat einen Pappkarton unterm Arm. Sie macht eine Geste, als würde sie etwas durchschneiden, eins der Symbole von diesem Kinderspiel, Schere, Stein, Papier. Der Angestellte zeigt irgendwohin, erklärt. Als Kat wieder weg ist, starrt er eine Weile auf den Karton in seinen Händen. Als wüsste er nicht mehr, was damit zu tun ist.
»Okay, Charles, ich muss weiter, meld mich«, sagt Lux, und Charles sagt: »Ja, ruf an, wenn was ist, immer, und mach Fotos, ja?«, dann ist sie weg.
Lux findet Kat bei dem Zubehör für Telefone. Sie liest sich gerade die Rückseite einer Speicherkarte durch.
»Mit wem hast du gesprochen?«, fragt sie.
»Mit ner Freundin.«
»Freundin-Freundin? Oder deine Freundin?«
»Äh. Freundin-Freundin.« Lux nimmt ein Ersatzladekabel in die Hand. Sie weiß nicht, wohin mit ihren Händen.
»Macht sie sich Sorgen um dich?«
»Sorgen?«, fragt Lux, als wäre das abwegig.
»Na, weil du hier allein bist. Mit deinen Problemen.«
Kats Blick kriecht Lux unangenehm unter die Haut. Sie zuckt mit den Schultern. Hängt das Gerät wieder zurück an seinen Haken.
»Machen sich deine Eltern Sorgen?«, fragt Kat weiter.
»Na ja«, sagt Lux und muss wegsehen, warum bohrt sie so, denkt sie, warum will sie das wissen?, »wie Eltern halt so sind. Deine nerven dich doch sicher auch damit.«
Für ein paar Sekunden drängen Kats Augen weiter in Lux. Dann, plötzlich, bricht ein Lächeln in ihr Gesicht, und die Kälte ist mit einem Schlag weg.
»Nicht mehr vorhanden. Deck mich«, sagt sie, aber bevor Lux verstanden hat, schneidet Kat mit einer großen Küchenschere, an der ein Preisetikett befestigt ist, die Verpackung der Speicherkarte auf, mit dem nächsten Griff hat sie den kleinen Chip in der Hand. Lux sieht sich um, der Junge mit dem Karton läuft an ihnen vorbei und starrt Kat auf den Rücken, aber er guckt schnell weg, als Lux’ nervöser Blick und seiner sich treffen. Kat klemmt das kleine Ding in den Kartenhalter und schiebt ihn zurück in ihr Smartphone.
»Du solltest dir auch was besorgen«, sagt sie, als sie die Schere an die Regalwand und die kaputte Packung hinter die intakten hängt, mit absolut ruhigen Händen.
»Ich … bin dafür nicht gemacht«, sagt Lux und fragt sich, ob Kat es eigentlich hören kann, ihr wahnsinnig lautes, panisch klopfendes Herz. Das ganze Zeug, das sie sich in die Taschen gepackt hat.
»Ach. Adrenalin wirkt aber besser als deine Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Was ist damit?«, fragt Kat und dreht einen Ständer mit Sonnenbrillen, der in der Nähe der Kasse steht.
»Kat, nein.«
»Komm. Ich mach den elektronischen Krempel ab, und du setzt sie auf.«
»Und dann?«
»Einfach rausspazieren.«
Kat zieht eine Brille heraus und reicht sie Lux. Sie zögert. Sieht zu den Kassenbändern. Nur drei davon sind besetzt. Die Angestellten ziehen stoisch Produkte über die Scanner, es piept unregelmäßig, die Kunden stehen Schlange, warten brav. Und wenn es hier Kameras gibt, denkt sie, die amerikanischen Gefängnisse sind alle privatisiert. Lux sieht Kat an. Setzt die Brille auf.
»Zu spießig für dich«, sagt Kat sofort und greift nach einer anderen mit Metallrahmen.
»Kat, ich …«
»Hier.« Sie hat das Etikett, das wegen des dünnen Rahmens schlecht an der Brille befestigt ist, schon entfernt und es auf den Boden fallen lassen.
»Und jetzt schieb sie dir ins Haar und probier noch zwei andere an«, sagt sie, hält ihr Smartphone hoch und schießt ein Foto von Lux, die sich nicht dagegen wehren kann, weil alles zu schnell geht.
Als der Kassierer die Dose Kaugummis über den Scanner zieht und dann zu Kat hochsieht – es ist der Junge mit dem Karton –, wirkt es wieder so, als hätte er vergessen, was als Nächstes kommt, so blank ist seine Stirn. Lux versucht, die Hitze in ihrem Gesicht wegzukämpfen, der Metallrahmen der Brille steckt ihr glühend in der Kopfhaut, das Herz klopft stärker als bei ihren Anfällen.
»Kassenbon?«, fragt er. Seine Augen leuchten.
»Brauch ich nicht, danke«, sagt Kat und lächelt höflich.
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