Lux. Olivia Kuderewski

Lux - Olivia Kuderewski


Скачать книгу
Guide redet und redet, aber es ergibt keinen Sinn, seine Worthülsenketten ziehen an Lux’ Ohren vorbei, nur ein Haufen Laute. Die kleine Taubheit bricht wieder in ihre Ohren, sie steckt einen Finger in eines und ruckelt darin herum.

      Der Guide wechselt die Sprache, und sie versteht nichts mehr.

      Warum bist du hier?, hat sie dich gefragt.

      Draußen werden die Häuser flacher.

      Warum hast du sie nicht nach ihrem Namen gefragt? Warum hast du sie nicht gefragt, wo sie schläft? Warum hast du sie nicht festgehalten an ihrer Hand oder ihrem Haar, warum hast du nicht in dieses helle Fell gegriffen und sie zurückgehalten?

      Du könntest genauso gut nicht hier sein, es wäre egal. Sei nicht so passiv.

      Lux entsperrt hastig ihr Telefon, aber bei Charles geht wieder nur die Mailbox ran. »Ruf mich an, wenn du wach bist«, schreibt sie und probiert es dann noch zweimal hintereinander. Leon hätte keine Angst gehabt, im Park zu übernachten, denkt sie plötzlich ohne Zusammenhang, und draußen kommen einstöckige Häuser in Sicht, amerikanische Leichtbauten mit Vorgärten, halb verfallen.

      Leon hätte euer Zelt im Park aufgeschlagen. Unter einer Weide hättet ihr gecampt, das Rauschen der Blätter zum Einschlafen, daneben die Leichen im Fluss, und wenn du in der Nacht aufgewacht wärst und seinen Körper umarmt hättest, wärst du sofort wieder eingeschlafen, von der Wärme und dem süßen Geruch, Leons Körper zersetzt sich in der Erde.

      Das Rauschen in Lux’ Ohren wird lauter. Sie knetet ihre Hände.

      Leon ist immer vor dir wach geworden, vor allem auf den Reisen. Leon hat dich am Arm zu den Dingen gezogen, die er schon entdeckt hat, während du noch im Zelt lagst, hat dir den Arm ausgekugelt, ihn dir fast ausgerissen, du noch mit Schlafsand in den Augen, und er hat dich mit Späßen wach gemacht, du bist eigentlich schon lachend aufgewacht, prustend, nach Luft schnappend, am Ersticken.

      Sie reibt sich über die Schläfen, presst die Fingerkuppen hinein, versucht, wieder ein Gefühl in ihre Hände zu kratzen. Plötzlich fährt die Scheibe in ihrem Fenster hoch und drückt ihren Ellenbogen weg. Der Guide schaltet das Radio an, und kurz hört Lux wieder alles, aber überscharf, zu laut, als hätte man ihr Watte aus den Ohren gerissen.

      »Jetzt fahren wir durch den schlimmen Teil der 8 Mile, hier ist der King of Hip-Hop aufgewachsen, bitte umsehen, Fotos machen, aber nicht aussteigen, wir können hier nicht anhalten, diesmal keine Ausnahme, bitte.«

      Ein trockenes Klacken fährt durch die Türen und bricht Lux das Rückgrat, er hat sie verriegelt.

      Der Wagen biegt ab. Ein gemaltes Holzschild am Eingang des Viertels, eine weiße und eine schwarze Hand, zum Beten zusammengelegt, darunter, in schiefen Buchstaben:

      »Area infested by crackheads

      secure belongings and

      pray for your life«

      Lux schaut dem Schild nach. Der Song im Radio ist im Rauschen untergegangen, und es rauscht jetzt auch im Blick, sie versucht, sich mit dem Blick in die vorbeiziehenden Häuser zu krallen, da ist eine eingekrachte Veranda, gesplitterte Scheiben, zugenagelte Löcher, verbrannte Bäume wie Skelette, abgebrochene Zaunlatten wie Knochen, ein Haus mit halbem Dach wie ein halbes Gesicht, die Hälfte des Gesichts weg, davor ein Typ, er starrt den Wagen an, durch die Scheibe, starrt Lux an, und er hebt die Hand zu einem »Fuck you«, hebt sie zu einem »Fuck off«, und er hat ja recht, Lux, verpiss dich doch, schaff dich weg.

      Ihr Blick schießt über die Oberfläche des Wagens. Das Lenkrad, die Schaltung, die Wasserflecken auf der Scheibe, der Guide, die Knie, die Hände, die sich selbst kneten. Die Hände sind taub, tot, und klatschen zusammen, ein Kopf dreht sich um, und ihre Stirn presst sich gegen das Fenster, ihr Kopf drückt so sehr gegen das Glas, dass es knirscht, aber Lux hört es nicht, nur Rauschen, auch im Blick, etwas Weißes.

      Da flimmert etwas Weißes auf der Straße.

      Lux reißt am Griff der Tür.

      Jemand versucht, sie an der Schulter zu greifen, und sie schlägt die Hand weg, rammt ihre Schulter gegen die Tür, sie öffnet sich, und Lux fällt heraus, stolpert auf den knochenlosen Beinen. Sie läuft die Straße zurück, so schnell sie kann, auf der Fahrbahn, zurück zum Weiß.

      Du bist nicht verrückt, da sitzt sie doch. Erkennst du mich noch?, denkt Lux erst und sagt es dann: »Erkennst du mich noch aus dem Bus, du hast neben mir geschlafen mit deinen weißen Haaren, deinen Tigeraugen, deinen Kaugummis, du hast mein Wasser getrunken und meinen Namen erraten, du hast neben mir gesessen, erkennst du mich noch, wie ist deine Name, wie denn?«

      »Kat«, sagt sie, und ihre Asche fällt auf die Dielen der Veranda. »Beruhig dich mal.«

      4

      Das Zimmer ist leer. Nur ein paar hellere Flecken heben sich dort ab, wo früher Möbel standen, und diese Umrisse eines alten Lebens lassen den Raum noch verlassener wirken. Lux sitzt auf dem Boden, im Schneidersitz, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt. Sie kann sehen, wo der Fernseher hing, von dort, wo sie sitzt, hätte sie ihn perfekt im Blick, hier muss das Wohnzimmer gewesen sein. Ein Kabel ohne Glühbirne hängt von der Decke, nur die verletzten Drähte ragen ins Leere.

      Die fleckige Matratze ist ohne Rost oder Laken, ein großer, zerwühlter Schal liegt darauf, den Kat wohl als Decke benutzt. Statt eines Kissens der zusammengestauchte, helle Mantel aus Teddyfell, den sie schon im Bus anhatte.

      Kat, eigentlich Kathryn, aber nenn mich Kat, wie die Katze, nur mit K.

      Lux hatte das Gefühl, dass das der einzige Name war, den sie sich nicht in den Stunden davor für sie ausgedacht hatte, aber natürlich, Kat wie die Katze.

      Ihr Koffer liegt offen da, wie ein aufgesperrtes Maul oder eine Falle. Lux hat hineingesehen, als Kat aus dem Raum ging, um Wasser zu holen. Eine Collegejacke liegt darin, blau und knallgelb, aber man kann nicht erkennen von welcher Universität, Shirts mit aufgedruckten Sprüchen, dazwischen Glitzer und Spitze.

      »Hier.« Kat drückt ihr eine Tasse in die Hand, und Lux wundert sich einen Moment lang, wo sie sie her hat. Sie trägt immer noch dasselbe wie im Bus, das war ja auch erst heute Morgen, sie kann sich Kat auch gar nicht in anderen Klamotten vorstellen, so zugehörig sieht dieses Outfit an ihr aus.

      Kat geht zum Koffer, schlägt ihn zu und lässt sich auf die Matratze fallen. Sie setzt sich Lux direkt gegenüber. Ein Bein angewinkelt und mit dem Schuh auf der Matratze, das andere ausgestreckt, den Rücken lässt sie auch gegen die Wand sinken. Sie sitzt ein paar Meter weit weg, aber es macht Lux nervös, diese direkte Konfrontation, dabei sagt sie nicht einmal was. Ihr eigener Blick rutscht an der Leere der Wände ab, es gibt nichts, woran er sich festhalten könnte, nur ein bisschen Dreck am Boden und der nicht mehr vorhandene Fernseher über Kats Kopf, sie kann nicht ständig Kats Haare ansehen.

      Du sitzt mit ihr in diesem leeren weißen Würfel.

      Kats Telefon gibt einen Ton von sich. Sie murmelt »sorry«, was Lux überrascht, und greift danach, ihr Daumen fliegt über die Tastatur.

      Lux trinkt von dem kalten Wasser, der Henkel der Tasse ist abgebrochen, und sie sucht ein Stück am Rand, an dem die Keramik nicht abgesplittert ist. Sie sieht wieder alles, hört alles, sogar Kats Schlucken beim Trinken, sieht die Staubflocken in dem bisschen Licht, das durch das Fenster schießt, mit Spanplatten ist es zugenagelt und »6.000 $ for sale« steht von außen drauf, anscheinend braucht sie Geld. Die Bedrohung von den Straßen hat sich hier aufgelöst, Lux ist ihr entkommen, hierher, fühlt sich wieder in Sicherheit, aber das liegt sicher nicht an diesem trostlosen Zimmer.

      Kat hatte nicht weiter nachgefragt, was mit ihr los war. Als Lux sich draußen vor sie gekauert hat, hat sie ihr einfach eine Zigarette in die Hand gedrückt, sie war schon angezündet, und Lux zog daran, als hinge ihr Leben davon ab. So schnell hat sich die Glocke noch nie verzogen, als läge es an dieser magischen, amerikanischen Zigarette. Lux wagt gar nicht erst, darüber nachzudenken, wie unwahrscheinlich es eigentlich war, dass sie Kat


Скачать книгу