Lux. Olivia Kuderewski
fragt sie, um die Stille zu brechen.
Kat schüttelt den Kopf. »Is doch nicht meins. Hab nur nen Schlafplatz gebraucht«, sagt sie, tippt zu Ende und schmeißt das Telefon neben sich auf die Matratze. Dann kramt sie zwei Zigaretten aus ihrer Schachtel, eine wirft sie quer durch den Raum. Sie landet vor Lux’ Füßen.
»Dann kennst du die Leute, die das Haus verkaufen?«
»Nee. Auch nicht.«
Lux dreht die Zigarette langsam zwischen den Fingern. Ihr Blick verirrt sich zur Tür, zum Rahmen, zum Schloss, sucht nach Aufgesplittertem. Ob sie mit ihrem Stiefel die billige Tür wie im Saloon, denkt sie, aber sieht schnell wieder weg, als sie merkt, dass Kat sie beobachtet. Und dass sie dabei lächelt, als könnte sie dieses bescheuerte Bild in Lux’ Kopf auch sehen.
»War offen«, sagt Kat, und Lux glaubt es.
Sie schweigen ein paar Minuten, und der Zigarettenrauch kräuselt sich gegen die Decke. Ihre Blicke treffen sich.
»Wohin bist du unterwegs?«, fragt Lux.
»Westküste, du?«
»Ja, auch.«
»Dann lass uns zusammen weiter.«
Lux fährt ein Schwall Rauch in die Lunge, sie hustet.
»Du fährst doch auch bald weiter?«, schiebt Kat hinterher und: »Hast du einen Führerschein?«
»Ja«, sagt Lux, »ja«, und nickt und hustet. Sie hustet das Brennen aus der Lunge.
»Hast du auch Geld?«, fragt Kat weiter, und Lux will automatisch wieder nicken, doch dann kommt die Frage in ihrem Kopf an, und sie stockt, sofort fängt Kat an zu lachen und winkt ab: »War nur ein Witz, nur ein kleiner Witz.« Und Lux nickt, trinkt in großen Schlucken, um das Kratzen im Hals wegzuschlucken, um ihr aufgeheiztes Gesicht hinter der Tasse zu verstecken.
5
»Meine Letzte hat auch alles auf Sex bezogen. Sie hat immer so große Augen hinter ihrer Brille gemacht«, sagt Kat, reißt die Augen auf und bleibt neben dem Berg aus polierten Orangen, die zu einer Pyramide gestapelt sind, stehen.
»Und dann hat sie mir jede Woche fünfzig Minuten lang in den Schritt gestarrt, also im übertragenen Sinn.«
»Analytikerin?«, fragt Lux, und ihr Blick klettert über die perfekten Orangen. Auf jeder einzelnen blitzen dieselben Reflexe von den Leuchtstoffröhren an der Decke. Überhaupt sieht das Obst hier zu gut und zu bunt aus, denkt sie, als sie sich umsieht, die Äpfel sind rot, die Zitronen gelb und die Blaubeeren blau, reine Farben, als wären die Früchte in ihrer eigenen Haut verpackt und alles zusammengestapelt wie Bauklötzchen. Kat scheint irgendwas zu suchen.
Sie schnalzt mit der Zunge. »Nee. Verhaltenstherapie.«
»Und du? Hast ihr viel über deinen Schritt erzählt?«, fragt Lux, aber so, dass man es für ein Spruch halten könnte, keine ernst gemeinte Frage. Kat sieht so aus, als könnte sie haben, wen sie will. Wenn sie denn überhaupt will.
»Hab die Beine breitgemacht«, sagt Kat. »Sind diese Teile aus Plastik?«
Sie greift nach einer der untersten Orangen. Lux sieht ihrer weißen, zähen Hand zu, die sich um die Kugel legt und anspannt, sie hört schon in ihrem Innern: das Rutschen, das dumpfe Aufschlagen, die Lawine aus saftschweren Kugeln, die über den Plastikboden des Supermarkts in entlegene Ecken rollen, und Kat mittendrin, mit einer einzigen Orange in der Hand.
Kat zieht sie raus. Die Pyramide sackt ein bisschen ein, und ein schwarzes Loch bleibt im Orange zurück. Lux atmet weiter.
»Mir hat einer mal seine Doktorarbeit vorgelesen, drei Sitzungen lang«, sagt sie, und Kat nickt, tauscht die Orange gegen einen Pfirsich, dann den Pfirsich gegen einen Apfel.
»Um was ging’s?«, fragt Kat.
»Ob man suizidalen Mädchen Trizyklika geben darf oder ob sie sich dann nicht trotzdem umbringen, weil sie davon fett werden.«
Eine alte Frau, die in ein paar Metern Abstand die Zitronen mit einem Plastikhandschuh befühlt, verfolgt Kats Bewegungen.
»Und was kam raus?«
»Dass man sie besser schlank lässt.«
»Sicher«, sagt Kat und sucht sich einen kleineren Apfel aus, »haben doch kein größeres Problem, die schönen, jungen Dinger.«
Die Frau starrt böse zu ihr. Als die Alte anfängt, ihren eingepackten Finger zu schütteln, sieht Kat es nicht oder ignoriert es. Lux fühlt sich angesprochen, die Frau glotzt jetzt sie an, dabei fasst sie doch gar kein Obst an, sie zuckt mit den Schultern, hält die Hände abwehrend hoch, als wäre sie gestellt worden.
»Was ist?«, fragt Kat und folgt Lux’ Blick.
Das Obst liegt still, und ein leiser Popsong läuft vor sich hin, nur der Zeigefinger der Frau bewegt sich, und Kat starrt sie an, ausdruckslos, den Apfel in der Hand. Irgendetwas wird jetzt passieren, denkt Lux. Und sie würde jetzt gerne verschwinden, nichts damit zu tun haben, würde sich gern unbemerkt um eines der Regale schieben, die zu irgendwelchen anderen Lebensmitteln führen, da löst sich Kat aus ihrer Starre. »Arschloch«, sagt sie, aber leise, wie zu sich selbst, und legt den Apfel zurück zu den anderen.
Als sie weitergehen, dreht Lux sich noch ein paarmal zu der Frau um, die kopfschüttelnd zwischen den Früchten zurückgeblieben ist.
»Nimmst du gerade irgendwas?«, fragt sie Kat, die Stille ist ihr unangenehm, ihr jagt ein Schauer über die Arme, sie stehen mittlerweile zwischen den Kühlregalen.
Kat schüttelt den Kopf.
»Nur Ritalin fürs ADHS. Und Vitamin D.«
Kat nimmt ein kleines Fläschchen mit Ingwerkonzentrat aus dem Regal, liest, was draufsteht. Wenn Ritalin also kein Medikament ist, denkt Lux, dann ist ADHS hier auch gar keine Krankheit, sondern vielleicht eher so etwas wie Kurzsichtigkeit. Kat greift nach einem zweiten Fläschchen, steckt beide in ihre Manteltasche.
Und vielleicht ist deine »mittelgradige Episode« für Kat auch bloß eine lahme Verstimmung, nach allem, was sie dir schon erzählt hat, die Tonne an Medikamenten, die wechselnden Therapien, sie macht am laufenden Band Witze darüber. Etwas, über das man längst hinweg ist. Wie die Pubertät.
Lux’ Telefon klingelt, sie zuckt zusammen.
»Ich muss da kurz ran«, sagt sie, und Kat nickt, schlendert weiter, mit den Händen in den Manteltaschen, als würde sie hier einen Spaziergang machen. Dieser Supermarkt ist besser besucht als jede andere Attraktion der Stadt, Lux hat an keinem Ort in Detroit so viele Leute zu Fuß gesehen wie hier.
»Hey, Charles.«
»Shit, Lux, tut mir leid, ich hab geschlafen wie ein Stein.«
»Kein Problem.«
»Was war denn los? Alles okay?«
»Ich …«, Lux sieht, wie Kat nach einer Packung Chips greift und sich interessiert die Inhaltsstoffe auf der Rückseite durchliest, »… bin in Detroit.«
»Du hast so oft angerufen.«
Die Sorge tropft aus ihrer Stimme. Lux kann auch Mitleid durchs Telefon hören, über einen Ozean hinweg, Charles, die sie öfter als ihre Eltern gefragt hat, ob das eine gute Idee ist, alleine, so weit weg, mit alldem.
»Ist schon wieder okay«, sagt Lux und weiß nicht, wie sie diesen Satz sagen soll, damit sich andere keine Sorgen mehr um sie machen.
Charles seufzt. »Vielleicht war das keine gute Idee zu reduzieren. Kannst du da zum Arzt?«
Lux wirft die Augen an die Decke. Die Leuchtstoffröhren blenden sie, und für ein paar Sekunden sieht sie danach tanzende schwarze Flecken.
»Charles, es geht schon, wirklich.«
»Okay. Aber pass auf dich auf. Und ich stell mein Telefon jetzt