Linksaußen. Hermann economist Schmidt
Beispiel für einen besonders gut ausgebildeten Linksaußen, der von „ganz unten” kam, ist der einst in Deutschland als „Flutlicht-Meier” bekannt gewordene Erich Meier, der das Pech hatte, dass es in Deutschland zu seiner großen Zeit jede Menge erstklassiger Linksaußen gab. Erich Meier wurde 1935 in Wallau im hessischen Hinterland geboren. Der gelernte Feinmechaniker hatte das Fußballspiel bei einem Dorfverein gelernt und das Talent so weit vervollkommnet, dass die Verantwortlichen der Frankfurter Eintracht auf ihn aufmerksam wurden. Sie verpflichteten den geradlinig aufspielenden, torgefährlichen Flügelstürmer, der dann im November 1956 sein erstes Ligaspiel für die Riederwälder gegen Schwaben Augsburg absolvierte.
Den Spitznamen „Flutlicht-Meier” bekam der schnelle Mann auf links, weil er seinerzeit bei Flutlichtspielen besonders stark auftrumpfte. In den fünfziger Jahren waren Abendspiele unter Flutlicht noch etwas ganz Besonderes. In fast allen Flutlichtspielen für die Adlerträger erzielte er mehr als ein Tor und erwies sich als idealer Partner für den berühmten Eintrachtler Alfred Pfaff. Seine Glanzzeit hatte Meier nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft 1959 in den Europapokalspielen der Riederwälder, als er in sechs Spielen vier Tore erzielen konnte. Beim Wiener SC schoss er das Siegtor gegen die Österreicher. Der Journalist Ludwig Dotzert schrieb: „Alles Gute kam von der kernigen Gestalt eines Meier, eines Weilbächer und eines Kress. Meiers reißende Spurts und giftige Präzisionsschüsse waren das Verblüffendste überhaupt an diesem fremdartig wirkenden Eintracht-Sturm […] Meier lieferte für die Eintracht die Linksaußen-Partie des Jahres.” Auch in den folgenden Europacup-Spielen glänzte Erich Meier, indem er die gegnerischen Verteidiger ein ums andere Mal in Verwirrung stürzte. Kritiker allerdings behaupteten nach einem 6:1-Sieg gegen Glasgow Rangers, dass Flutlicht-Meier nach gekonnten Flankenläufen den Ball über die Torlatte „säbelte“, statt die Flanken in den Strafraum zu heben. Zum 6:3-Sieg im Rückspiel des Halbfinales trug der Mann aus dem hessischen Hinterland erneut zwei Tore bei. Damit hatte er entscheidenden Anteil am Einzug der Eintracht in das europäische Pokalfinale. Das Endspiel verloren die Frankfurter dann im Glasgower Hampden Park am 18. Mai 1959 mit 7:3. In diesem Spiel traf Meier nicht.
Erich Meier wechselte zur Saison 1962/63 zum 1. FC Kaiserslautern. In seiner ersten Runde für die „Roten Teufel” schoss er in 27 Treffen 21 Tore. Nach drei Jahren auf dem Betzenberg wechselte er zu Alkmaar 54 nach Holland und beendete seine Karriere nach zehn Jahren im Profifußball bei AGOVV Apeldoorn. Er starb nach langer, schwerer Krankheit in seinem Heimatdorf bei Biedenkopf. Die Jahre nach seiner Karriere als Halbprofi hatte er in dem Ort gelebt, von dem er einst ausgezogen war, die große Welt des Fußballs kennenzulernen.
Dass gute Ausbildung von talentierten Fußballspielern nichts mit Zufällen zu tun hat, sollte sich einige Jahre später erneut unter Beweis stellen. In dem Verein, in dem Erich Meier seinen Weg nach oben begann, reifte in den sechziger Jahren erneut ein außergewöhnlich talentierter Flügelstürmer auf linksaußen heran. Der FV Breidenbach, führender Fußballverein im Landkreis Biedenkopf, bildete erneut einen klassischen Linksaußen aus, der – keine zwanzig Jahre alt – zu einem der gefährlichsten linken Stürmer im deutschen Fußball avancierte. Gerd Becker war genau wie sein Vorgänger beim FV Breidenbach, Erich Meier, sehr schnell, schussgewaltig und extrem torgefährlich.
In seinem ersten Jahr in der Regionalliga Süd spielte er für den KSV Hessen Kassel. Die Nordhessen wurden vor Bayern München in der Saison 1963/64 Meister der Regionalliga Süd, und Gerd Becker, der agile Mann auf links, trug dazu 20 Tore bei. Alsbald tauchte Becker auch als Linksaußen in der DFB-Juniorenauswahl auf. In dieser Elf spielte mit Günter Netzer ein Partner auf dem linken Flügel, dem noch eine große Karriere bevorstand.
Zur Saison 1965/66 wechselte Gerd Becker zu den Offenbacher Kickers an den Bieberer Berg. Nach der Meisterschaft in der Regionalliga Süd stiegen die Kickers in 1968 in die Bundesliga auf. In der Aufstiegsrunde spielte Becker in allen Begegnungen mit und erzielte vier Tore. Ab 1969 lief der ehrgeizige und stets sehr diszipliniert auftretende Gerd Becker für den Karlsruher SC auf. Damit war er, wie der OFC-Torhüter Rudi Wimmer, dem Ruf seines früheren Trainers Kurt Baluses gefolgt. Für die Elf vom Wildparkstadion absolvierte er in seiner ersten Saison in Baden alle 38 Ligaspiele. Gemeinsam mit dem vom 1. FC Köln gekommenen Mittelstürmer Christian Müller und Horst Wild bildete er einen brandgefährlichen Sturm. Nach seiner aktiven Zeit kehrte Gerd Becker wieder in seine Heimat zurück und wurde dort nebenberuflich Trainer in seinem Stammverein FV Breidenbach und, danach, bei dessen damals wichtigstem Konkurrenten im hessischen Hinterland, dem SV 1911 Eckelshausen.
Meier wie Becker waren in ihrem Charakter keine Linksaußen, die in das Bild des allzeit zu Späßen aufgelegten, schlitzohrigen Flügelstürmers passten. Sie hatten sich ihren Aufstieg im Fußball hart erarbeitet. Niemand schafft es, aus der Bezirksklasse in die oberste Spielklasse in Deutschland zu kommen, wenn er kein Talent hat. Doch wie viele große Talente scheitern im Fußball daran, dass es ihnen an Disziplin und Charakterfestigkeit fehlt!
Die Stürmer Becker und Meier aus dem oberhessischen Raum, beide klassische Linksaußen, machten ihren Weg, weil sie alle anderen Interessen ihrer Liebe zum Fußballsport unterordneten. Sie fanden im Fußball ein erfülltes Leben und genossen hohes Ansehen aufgrund ihres außerordentlichen Könnens, auch in all den Jahren nach der aktiven Zeit als Sportler.
Die Geschichte des Erich Meier aus dem hessischen Hinterland, der sicher nur in einigen wenigen Abschnitten ein Glanzlicht am europäischen Fußballhimmel sein durfte, zeigt, wie es dennoch geschehen kann, dass ein Fußballer aus der Provinz durch Fleiß und Beharrlichkeit plötzlich in das große Geschehen des Weltfußballs eingreift. Und so stand Erich Meier, der Junge aus dem Hinterland, mit seiner Frankfurter Eintracht in einem Spiel um den Europapokal gemeinsam mit einem anderen Mann einer gegnerischen Elf auf dem Platz, der zu den besten Linksaußen der Welt gehörte: Francisco Gento von Real Madrid.
Vorbild des Klasse-Linksaußen Gerd Becker aber war ein ganz anderer Mann, einer der in den fünfziger Jahren, rund 100 km westlich vom kleinen Ort Breidenbach entfernt gelegen, als der beste Linksaußen der Welt galt: Hans Schäfer vom 1. FC Köln.
Interview mit Gerd Becker
Gerd, du bist in einem Fußballdorf in Breidenbach, im hessischen Hinterland, aufgewachsen und hast es geschafft, in den bezahlten Fußball zu kommen, und dort deinen Weg zu gehen. Wie hat das angefangen?
Gerd Becker: Mein Vater war bereits ein guter Fußballer gewesen. Er ist als junger Mann im Krieg in der Normandie gefallen. Meine Mutter war mit 20 schon Witwe und hat nie mehr geheiratet. Wir lebten mit den Großeltern zusammen. Hier in Breidenbach wuchs man mit dem Fußball auf. Früher gab es keine D-, E- oder gar F-Jugend. Ich habe in der C-Jugend angefangen, Fußball zu spielen, und schon von Anfang an manchmal in der A-Jugend ausgeholfen.
Warst du von Beginn an Linksaußen?
Gerd Becker: Als ich mit dem Fußball begann, war Hans Schäfer, der Linksaußen der Nationalmannschaft, mein Vorbild. Ich wollte so werden wie er. Ja, ich war von Beginn an Linksaußen, weil ich einen starken linken Fuß habe. Ich bin auch Linkshänder, wie viele andere, die im Fußball diese Position gespielt haben. Zwar kann ich auch mit rechts treten, Flanken und Freistöße, aber eigentlich habe ich den rechten Fuß nur zum Laufen (lacht).
Wem ist dein Talent aufgefallen?
Gerd Becker: Ich spielte bald in der Kreisauswahl und wurde später auch in die Hessenauswahl berufen. Aber es war schwierig, sich unter dem damaligen Auswahltrainer Rudi Gellesch gegen die großen Namen aus Frankfurt durchzusetzen.
Wie hast du den Sprung in den bezahlten Fußball geschafft?
Gerd Becker: Wir vom FV Breidenbach spielten damals im Hessenpokal meist eine gute Rolle. In einem Spiel gegen Borussia Fulda machte ich das entscheidende Tor, und dann bekam ich ein Angebot vom KSV Hessen Kassel, nachdem wir gegen den KSV in der nächsten Runde des Pokals ausgeschieden waren. Ich bin dann im Alter von 19 Jahren nach Kassel gezogen und habe im „Bullenkloster” in der Weserstraße gewohnt. Wir spielten unter Trainer Walter Müller in der zweithöchsten Spielklasse, der Regionalliga Süd. Im ersten Jahr als Vertragsspieler holten wir uns die Meisterschaft in der Regionalliga Süd vor Bayern München,