Linksaußen. Hermann economist Schmidt

Linksaußen - Hermann economist Schmidt


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berufen. Aber wir schafften den Aufstieg in die Bundesliga nicht, Hannover 96 stieg auf.

       Bist du damals noch regelmäßig nach Hause, nach Breidenbach, gefahren?

      Gerd Becker: Nein, ich habe immer halbtags gearbeitet, weil ich wusste, dass der gelernte Beruf als Broterwerb wichtig ist. So bin ich dann nur alle vier oder fünf Wochen nach Hause zu meiner Mutter gefahren, zunächst mit Zug und Bus. Ich musste auch erst noch den Führerschein zu Ende machen. Ich hatte nicht gleich ein Auto in Kassel.

       Dann bist du an den Bieberer Berg gegangen …

      Gerd Becker: Im zweiten Regionalligajahr lief es nicht so gut für mich in Kassel. Ich nahm dann das Angebot des OFC an. In Offenbach habe ich zuerst bei Horst Canellas im Keller gewohnt, bevor ich eine eigene Wohnung fand. Wir wurden zweimal Vizemeister der Regionalliga Süd und schafften 1968 den Aufstieg in die Bundesliga. In der Aufstiegsrunde war ich in allen acht Spielen dabei und schoss vier Tore. Ich hatte schon beim KSV Hessen Kassel das Glück gehabt, immer gleich Tore zu machen, und so war ich recht schnell Stammspieler bei den Trainern, die mich geholt hatten. Zudem gab es auf meiner Stammposition Linksaußen meist nicht so viel gleichwertige Konkurrenz.

       Der OFC stieg dann gleich wieder ab und du bist deinem ehemaligen OFC-Trainer Kurt Baluses zum KSC gefolgt …

      Gerd Becker: Ja, ich ging zur Runde 1969/70 mit Rudi Wimmer zum Karlsruher SC in die Regionalliga Süd. Dort habe ich vier Jahre gespielt, wir wurden mehrfach Vizemeister und nahmen noch dreimal an den Bundesliga-Aufstiegsrunden teil. Insgesamt habe ich 317 Bundesliga- und Regionalligaspiele absolviert und 112 Tore geschossen.

       Und in all den Jahren warst du immer Linksaußen?

      Gerd Becker: Ja, das kann man guten Gewissens und nicht ohne Stolz sagen.

       Du warst nach der Karriere als aktiver Vertragsspieler ja auch ein sehr erfolgreicher Trainer und hast u. a. deinen Heimatverein in die Landesliga Mitte zurückgeführt. Wie siehst du die Veränderungen im Laufe der Jahrzehnte auf der Position des Linksaußen?

      Gerd Becker: Nicht nur die Position des Linksaußen hat sich verändert. Der gesamte Fußball ist einem ständigen Wandel unterworfen. Es gab früher gar nicht die Trainingsmöglichkeiten, die man heute hat. Selbst im bezahlten Fußball nicht. Am Bieberer Berg gab es einen Verschlag unterhalb der Tribüne, wo Geräte für das Training aufbewahrt wurden. Athletik, Fitness und Ernährung spielen im modernen Fußball eine große Rolle.

      Als ich anfing, war klar, was und wie ich zu spielen hatte. Jeder wusste, was ein Linksaußen zu tun und was er zu lassen hat. Heutzutage habe ich manchmal den Eindruck, dass aus dem Fußball eine Wissenschaft gemacht werden soll. Immer mehr Leute, die häufig gar nicht selbst gespielt haben, reden und schreiben theoretisch über Fußball, als sei er neu erfunden worden. Schon immer musste ein Trainer seine Mannschaft taktisch so einstellen, wie es den individuellen Fähigkeiten der Spieler entsprach, die ihm zur Verfügung standen. Nicht überall ist Bayern München.

      Es gab immer unterschiedliche Möglichkeiten, die Position des Linksaußen auszufüllen. Es gab immer Spieler, die mit zurückgingen oder auf den anderen Flügel auswichen. Die Position des Linksaußen hat sich genauso viel oder wenig geändert wie andere Positionen in der Mannschaft auch. Wir gehen zwar davon aus, dass es keine klassischen letzten Männer mehr gibt, keine Vorstopper mehr und keine Halbstürmer. Trotzdem, trotz der „Vermessung” und Zuteilung von Räumen, trotz Schieben und Verschieben, ist das meiste, was auf dem Feld geschieht, nicht so grundlegend anders als der Fußball vor fünfzig Jahren. Ein Ribéry oder ein Reus spielen im Prinzip und sehr effektiv Linksaußen. Sie agieren nur flexibler und „multifunktionaler” im modernen Fußballspiel.

       Gehst du noch regelmäßig zum Fußball?

      Gerd Becker: Ja, ich gehe immer noch zu den Spielen meines Heimatvereins und beobachte auch das Geschehen der anderen heimischen Vereine, von denen ich einige trainiert habe.

      Der Berufsfußball hat sich unter dem Einfluss der Medien stark verändert. Heute kann niemand mehr nach einem Spiel drei oder vier Bier trinken, ohne Gefahr zu laufen, dass es am nächsten Tag zur Schlagzeile in der Presse wird. Die Spieler tun mir leid, nichts mehr bleibt privat. Dazu kommt, dass nicht jeder, der sich für den Fußball als Broterwerb entscheidet, automatisch reich wird. Viele Spieler lernen keinen Beruf und stehen nach ihrer Karriere mit leeren Händen da. Das ist eine problematische Entwicklung.

       Vielen Dank für das Gespräch.

       Der beste Linksaußen der Welt

       Hans Schäfer, 1. FC Köln

      Der Mann hat Schuhgröße 42 und sein linker Fuß, in Bronze gegossen, ist im Deutschen Sport- und Olympiamuseum zu Köln ausgestellt. Es ist der Fuß, mit dem er im Weltmeisterschafts-Endspiel 1954 in Bern in der Schweiz die Flanke zu Helmut Rahn schlug, die dieser eiskalt dann zum 3:2-Siegtor für die deutsche Nationalmannschaft verwandelte. Der Mann, von dem hier die Rede ist, hat 507 Pflichtspiele für seinen Verein, den 1. FC Köln, absolviert und 304 Tore in dieser Zeit für die Geißböcke geschossen.1 Er hat an drei Fußballweltmeisterschaften teilgenommen, 1954 in der Schweiz, 1958 in Schweden und 1962 in Chile.

      In 39 Länderspielen erzielte er 15 Tore, und nicht nur deshalb ist er in seiner rheinischen Heimat eine Legende. Dabei will der inzwischen 86 Jahre alt gewordene einstige vorbildliche Fußballspieler selbst weder Legende noch Held sein. Laut der Zeitung „Die Welt” hat der Mann nie ein Buch über den Gewinn der Fußballweltmeisterschaft in Bern gelesen, und auch die Reportage jenes Sieges von Herbert Zimmermann, in deren Besitz er ist, hat er sich nie angehört.2

      Er will sich seine eigenen Erinnerungen nicht durch irgendwelche Dokumente oder Interpretationen anderer zerstören lassen. In seiner Heimat nennen sie ihn „De Knoll“, was übersetzt so viel wie „Dickkopf “ oder „sturer Bock” bedeutet. Er hasst es, im Mittelpunkt zu stehen. Er sagt von sich, dass er doch nur ein guter Fußballer gewesen sei, mehr nicht. Es gäbe viel Wichtigeres im Leben als Fußball.

      Der Mann, der der beste Linksaußen war, den es im deutschen Fußball je gegeben hat, ist Hans Schäfer. Fachleute und die internationale Presse bezeichneten den überragenden Fußballer des 1. FC Köln seinerzeit nach der Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz sogar als den „besten Linksaußen der Welt”. Im Jahr 2002 ist Hans Schäfer in die „Hall of Fame” des deutschen Fußballs aufgenommen worden, neben Fritz und Ottmar Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Wolfgang Overath, Günter Netzer und Berti Vogts. Nach der Aufnahme in die Ruhmeshalle lehnte der Geehrte jedes Interview ab. Seit neun Jahren hat er sich jedem Journalisten für ein Gespräch verweigert.

      Mehr als zehn Jahre lang prägte der Kölner Spieler den Fußball in Deutschland. Sein Verein, der 1. FC Köln, dominierte fast ein ganzes Jahrzehnt den Fußball in der Oberliga West und später dann, zu Beginn der sechziger Jahre, die Bundesliga. Hans Schäfer war wahrscheinlich einer der besten Stürmer im Fußball des 20. Jahrhunderts.

      Geboren wurde Hans Schäfer am 19. Oktober 1927 in Köln-Sülz als Sohn des Friseurs Hugo Schäfer aus Alsenz im Pfälzer Wald und seiner Frau Katharina, geborene Bellut. Die beiden hatten im November 1926 in Solingen geheiratet. Das Ehepaar bezog eine Wohnung im Kölner Vorort Zollstock, und bald entwickelte der junge Familienvater eine Vorliebe für den Fußballverein DJK Rheinland Zollstock (später Rot-Weiß Zollstock).

      Im blonden Lockenköpfchen Hänschen Schäfer mit den strahlend blauen Augen ließ sich schon sehr früh das große Talent des zukünftigen Ausnahmefußballers erkennen. Von 1937 an spielte Hans Schäfer in den Jugendmannschaften des Kölner Vorortvereins und von Beginn an im Sturm auf Linksaußen, was seinem Temperament und seiner Begabung vollkommen entsprach. Als Sechzehnjährigen, zwei Jahre vor dem Abitur, steckte man Hans Schäfer in eine Uniform. Er wurde Flakhelfer. Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg setzte der Junge, der nach dem Besuch des Gymnasiums den Beruf des Friseurs erlernt hatte, um das Geschäft der Eltern zu übernehmen, seine vielversprechende Laufbahn zunächst bei seinem Heimatverein fort. Alsbald begann sich


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