Der leiseste Verdacht - Schweden-Krimi. Helena Brink
aber über seinen Hof kann ich Ihnen so einiges erzählen«, sagte er.
Wagnhärad nickte zweifelnd. »Aha ...«
»Ich habe ihn schließlich seit fast zwanzig Jahren beobachten können, habe seine Veränderung und seinen Verfall erlebt.«
»Seinen Verfall?«
»Das ist noch vorsichtig ausgedrückt. Als wir vor achtzehn Jahren hierher kamen, war er in Besitz meines Onkels, der den Hof vierzig Jahre lang vorbildlich bewirtschaftet hat. Er hatte Milchkühe und baute Rüben, Getreide und Kartoffeln an. Schweine hatte er auch, aber in überschaubarer Anzahl. Nicht dass der Hof früher so gewaltige Erträge abgeworfen hätte, aber heute ist er völlig runtergewirtschaftet und kann niemanden mehr ernähren. Während der letzten elf Jahre haben sich die Besitzer förmlich die Klinke in die Hand gegeben. Jeder hat versucht, alles aus dem Hof herauszuholen, um ihn dann zu einem überhöhten Preis wieder zu verkaufen. Aus irgendeinem Grund haben alle auf Schweinezucht im großen Stil gesetzt. Die wurde ständig ausgebaut, und inzwischen gibt es nichts anderes mehr als Schweine. Fast alle Anbauflächen sind verpachtet.«
»Der Hof scheint sehr alt zu sein.«
»Ist er auch. Die ältesten Gebäude stammen aus dem 17. Jahrhundert. Haben Sie das Haus gesehen, in dem der Vorarbeiter wohnt?«
Wagnhärad schüttelte den Kopf, machte aber ein interessiertes Gesicht. Bergh hatte aufgehört mitzuschreiben und starrte unbeteiligt aus dem Fenster.
»Schauen Sie sich die Gebäude nur genauer an, wenn Sie nächstes Mal dort sind. Es lohnt sich. Das Wohnhaus ist später erbaut worden, wohl um 1900 herum, aber die Architektur ist bemerkenswert. Nicht gerade das, was man sich in dieser Gegend erwarten würde.«
»Das einzige Gebäude, das ich von innen gesehen habe, ist das, in dem die Verwaltung untergebracht ist«, entgegnete Wagnhärad. »Das war offensichtlich auch einmal als Wohngebäude geplant.«
»Ja, ich glaube, dort hat früher das Gesinde gewohnt. Dann haben Sie sicher auch die monströsen Schweineställe gesehen, die sie in den letzten zehn Jahren dort hingeklotzt haben. Ein schrecklicher Anblick, und sicher noch schrecklicher, in ihnen zu hausen. Ich rede von den Schweinen. Der jetzige Eigentümer, dieser Nyström ...«
Bergh schaltete sich ein: »Bengt Nygren«, stellte er richtig.
»Es geht das Gerücht, dass er die Schweinezucht weiter ausbauen will. Ich hoffe, dass das nicht wahr ist. So langsam reicht’s mir nämlich mit dem Schweinegestank und der Überproduktion an Jauche.«
Wagnhärad wechselte das Thema. »Wer ist auf dem Hof angestellt?«
»Nur zwei Leute. Zum einen Nisse Hallman, der seit Ewigkeiten auf dem Hof arbeitet und schon da war, als wir hierher zogen. Zu ihm haben wir einen ganz guten Kontakt. Ein paar Mal im Jahr kommt er zum Kaffeetrinken bei uns vorbei. Und dann gibt es da diesen jungen Kerl, ein Schweizer, soviel ich weiß.«
»Marco Fermi«, warf Bergh ein.
»Genau. Sie wissen ja schon alles. Scheint ein tüchtiger Kerl zu sein. Ist dort Vorarbeiter. Vielleicht kann er den Hof wieder auf Vordermann bringen. Er und seine Frau sind letzten Winter, so um Neujahr herum, hierher gekommen.«
Wagnhärad sagte: »Wir haben gehört, dass Nygren und das Ehepaar Fermi auf dem Hof leben, während Nils Hallman in Äsperöd wohnt, was drei Kilometer von hier entfernt sein soll. Ist das richtig?«
»Ja, er fährt jeden Tag mit seinem Moped hierher. Ich glaube, selbst ein Schneesturm würde ihn nicht davon abhalten.«
»Was halten Sie von Nils Hallman?«
»Nisse ist in Ordnung, auch wenn er Menschen allgemein mit Skepsis begegnet. Ich glaube, den Schweinen bringt er mehr Vertrauen entgegen. Wird schon seine Gründe dafür haben.«
»Halten Sie es für möglich, dass er mit jemandem in Streit geriet, seinen Widersacher erschlug und die Leiche in der Jauchegrube verschwinden ließ?«
PM schaute die beiden Polizisten ungläubig an und schüttelte energisch den Kopf. »Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, nein, völlig unmöglich. Er ist kein Hitzkopf und geht Konflikten generell aus dem Weg. Und falls er doch jemanden erschlagen haben sollte, hätte er die Leiche nie und nimmer in die Jauchegrube geworfen.«
»Warum?«
PM lachte. »Das ist schwer zu erklären, aber er gehört zu einer aussterbenden Sorte von Bauern, die einen echten und tiefen Respekt vor der Jauche haben. Sie ist für ihn so etwas wie eine kostbare Gabe Gottes. Eine Leiche in die Jauchegrube zu werfen, wäre einfach pietätlos.«
Obwohl Wagnhärad nicht sonderlich überzeugt wirkte, wechselte er das Thema.
»Was ist mit Sandström, dem Vorbesitzer? Was halten Sie von ihm?«
»Verschonen Sie mich ...«
»Was heißt das?«
»Dass ich ihn nicht ausstehen konnte. Und ich war weiß Gott nicht der Einzige. Überheblich, geizig und dumm. Damit ist alles über ihn gesagt.«
Wagnhärad lachte. »Die Urteile über Sandström sind in der Tat einhellig.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Es heißt, er habe wiederholt Polen schwarz bei sich arbeiten lassen. Können Sie das bestätigen?«
»Das ist sicher richtig.«
»Der Ordnung halber brauchen wir noch ein paar persönliche Angaben von Ihnen. Sie heißen Patrik Andersson?«
»Ja, so steht’s in meiner Geburtsurkunde. Allgemein bin ich als Patrik der Maler bekannt, meine Freunde nennen mich PM.«
Wagnhärad ließ verstohlen den Blick über die Wände schweifen, an denen die Bilder dicht an dicht hingen.
»Und von Beruf sind Sie Künstler?«
»Ja, und das an der Wand sind alles meine Bilder. Gehen Sie ruhig näher heran, die beißen nicht.«
»Und Ihre Frau heißt Katharina Ekman und arbeitet in der Stadtbibliothek?«
»Stimmt. Haben die Svanbergs Ihnen das alles verraten?«
»Äh, bestätigt, könnte man sagen.«
»Ich wette, die konnten Ihnen viel mehr Informationen geben, als ich dazu in der Lage bin.«
Wagnhärad ging auf diese Bemerkung nicht ein, stand auf und sagte: »So, ich denke, das war’s fürs Erste. Wenn uns noch was einfällt, melden wir uns bei Ihnen.«
»Tun Sie das, und grüßen Sie Roffe von mir.«
»Roffe?«
»Hauptkommissar Rolf Stenberg. Wir sind alte Schulfreunde. Ab und zu spielen wir miteinander ... äh ... musizieren, wollte ich sagen. Wenn auch nicht besonders oft in den letzten Jahren. Er ist ja ein viel beschäftigter Mann.«
Über Wagnhärads Gesicht huschte ein wohlwollendes Lächeln.
»Ach so, Sie kommen aus Christiansholm? Also, das kann man wirklich nicht hören.«
»Ich habe auch hart daran gearbeitet, meinen Dialekt loszuwerden, als ich nach der Schule nach Stockholm ging. Roffe hat zwar auch mehrere Jahre in Stockholm gewohnt, aber er war ein größerer Lokalpatriot als ich und hat sich sein Schonisch bewahrt.«
»Dabei hätte ich wetten können, dass Sie aus Stockholm sind«, sagte Wagnhärad verblüfft.
Nachdem PM die Tür hinter den beiden Polizisten geschlossen hatte, suchte er seine Pfeife. Auf dem Kaminsims lag sie nicht, also versuchte er sein Glück in der Küche. Als er einen Blick aus dem Fenster warf, sah er das Auto davonrollen und fühlte sich erleichtert. Nun konnte er sich endlich seiner Arbeit widmen. Doch als der Wagen die Einfahrt an den Fichten erreicht hatte, hielt er auf einmal an und setzte zurück. Ein weißer Fiat kam ihm entgegen. Der Weg war zu schmal, als dass beide Autos hätten aneinander vorbeifahren können. PM schaute auf die Uhr. Es war erst