Der leiseste Verdacht - Schweden-Krimi. Helena Brink

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wäre, zum Beispiel in einem Nachtclub oder in einem Wirtschaftsunternehmen?«

      PM lachte. »Ein verzauberter Schweinezüchter.«

      Auch Katharina schmunzelte. »Ja, warum nicht.«

      »Ich frage mich, ob du den Kerl mit so viel Skepsis betrachtest, weil er nicht verheiratet ist.«

      »Unsinn, die Welt ist voller Junggesellen, die kein bisschen rätselhaft sind. Es ist etwas anderes ... Außerdem hat man eine Leiche in seiner Jauchegrube gefunden. Gib zu, dass ihn das ein wenig interessant macht.«

      »Einverstanden, aber wenn du findest, dass ihn das verdächtig macht, darf ich dich daran erinnern, dass er selbst es war, der die Leiche gefunden und die Polizei verständigt hat.«

      »Ja, und wenn er den Mann eigenhändig in die Grube geworfen hat, konnte er sich ausrechnen, dass es mindestens ein halbes Jahr dauern würde, bis die Leiche an die Oberfläche käme. Für eine Identifizierung des Toten ist es jetzt bestimmt zu spät, also wird sich auch nichts mehr beweisen lassen. Eine Jauchegrube ist doch der perfekte Ort, um jemanden verschwinden zu lassen. Kein Leichengeruch der Welt kommt gegen diesen Gestank an.«

      PM blickte seine Frau herausfordernd an. »Ihr Scharfsinn ist verblüffend, Miss Marple.«

      Katharina schlug einen sanfteren Ton an. »Solche Spekulationen am Frühstückstisch regen das Gehirn an.«

      »Und die Zähne?«, fragte er.

      »Welche Zähne?«

      »Man kann eine Leiche anhand der Zähne identifizieren. Das scheint dein diabolischer Schweinezüchter nicht bedacht zu haben.«

      Katharina schüttelte sachte den Kopf. »Tut mir Leid, aber eine Identifikation anhand der Zähne ist nur möglich, wenn man den Zahnarzt des Toten findet. Und wie sollte das möglich sein, da man nicht einmal weiß, ob der Mann aus Schweden kam.«

      PM schien eine Weile seinen Gedanken nachzuhängen. Katharina stand auf und deckte den Tisch ab. Er sah ihr dabei zu, und nach einer Weile sagte er: »Weißt du eigentlich, was aus Sandbergs geworden ist?«

      »Wer ist das?«

      »Die Vorbesitzer.«

      »Die hießen Sandström. Nein, ich habe keine Ahnung, wo sie hingezogen sind. Ich hatte ja nur sporadischen Kontakt mit ihnen. Du meinst, bei der Leiche könnte es sich um Sandström handeln?«

      »Das ist ebenso gut möglich wie vieles andere. Es ist doch erst ein gutes halbes Jahr her, seit sie weggezogen sind.«

      »Märta Sandström hätte doch sicher Alarm geschlagen, wenn ihr Mann verschwunden wäre.«

      »Nicht, wenn sie ihn selbst aus dem Weg geräumt hätte.«

      »Ich frage mich, wer von uns hier ein Opfer seiner blühenden Fantasie ist.«

      »Du hast schließlich das Recht auf verwegene Theorien nicht für dich allein gepachtet.«

      Katharina setzte sich wieder hin, stützte das Kinn auf die Hände und sah ihren Mann zustimmend an.

      »Die Idee ist gar nicht mal so schlecht. Wäre ich an Märta Sandströms Stelle, könnte ich der Versuchung kaum widerstehen. Die Frage ist, ob sie ihn erwürgte, bevor sie ihn in die Grube stieß. In diesem Fall wünsche ich ihr, dass sie mit dem Geld, das sie für den Hof bekommen hat, nach Australien durchgebrannt ist, um sich eine Schaffarm und einen attraktiven jungen Liebhaber zuzulegen.«

      PM tat schockiert. »So viel wird der Hof kaum abgeworfen haben. Für eine Schaffarm könnte es vielleicht reichen, aber sie müsste schon ein Vermögen hinblättern, damit sich ein junger, attraktiver Mann mit ihr einlässt.«

      »Du scheinst sie ja nicht besonders anziehend zu finden.«

      »Ich bekam jedes Mal eine Gänsehaut, wenn sie mich angesprochen hat.«

      »Also, ich fand den Alten unausstehlich. Der hat uns doch ständig das Gefühl gegeben, wir dürften nur dank seiner großen Gnade hier wohnen. Er glaubte bestimmt, dass das Haus immer noch zum Hof gehört. Außerdem hat er mich ständig mit seinen Blicken ausgezogen.«

      »Ist das wahr? Dann hoffe ich wirklich, dass er in der Jauchegrube gelandet ist.«

      Katharina schien des Themas plötzlich überdrüssig zu sein, zwinkerte demonstrativ und seufzte unüberhörbar. PM strich mit seinem Zeigefinger über ihren Nasenrücken. Eine Geste, die andeutete, dass er um ihre Gemütslage besorgt war.

      »Wie geht’s dir denn?«, fragte er sanft.

      Als er keine Antwort erhielt, fuhr er fort: »Die Sache scheint dich doch sehr mitgenommen zu haben. War ich zu schroff, als ich darüber geredet habe?«

      Sie zuckte mit den Schultern. »Ach, nein, ich war doch nicht anders. Mir ist die ganze Angelegenheit einfach unheimlich. Dir geht es doch sicher genauso.«

      Er dachte nach. »Eigentlich geht mich die Sache ebenso wenig an, als wäre sie in Lappland passiert. Was mich eher beunruhigt, ist die Tatsache, dass wir im Moment zu einer Art Wallfahrtsort werden. Die Leute kommen von überall her, um sich den Tatort mit eigenen Augen anzusehen.«

      »Heute Nacht habe ich davon geträumt.«

      »Von den Schaulustigen?«

      »Nein. Ich träumte ... Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, aber es ging um den Fund der Leiche. Irgendwie hatten wir damit zu tun. Das hat einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlassen.«

      Das Geräusch eines Automotors drang durch das eintönige Plätschern des Regens. Als sie eine Autotür schlagen hörten, zuckte sie zusammen und starrte aus dem Fenster. PM stand auf.

      »Kein Grund zur Beunruhigung«, sagte er. »Ist nur Kalle Svanberg, der mir bei der Installation des Kaminofens helfen will. Lass den Abwasch einfach stehen, den mache ich später.«

      Als er an ihr vorbeiging, um die Haustür zu öffnen, beugte er sich zu ihr hinunter, hob ihren schweren Zopf an und küsste sie in den Nacken. Sie beantwortete den Kuss mit einer flüchtigen, zärtlichen Geste, schien jedoch ganz in Gedanken versunken.

      Es war noch eine knappe Stunde Zeit, bis sie zu ihrem Arbeitsplatz aufbrechen musste, doch obwohl sie noch jede Menge zu tun hatte, blieb sie unschlüssig sitzen und verfolgte die unberechenbare Spur der Tropfen, die über die Scheibe liefen. Aus der Diele drangen Kalles breites Schonisch und Patriks polterndes Lachen. Nach einer Weile kamen sie in die Küche. Patrik kramte in einer der Schubladen, während Katharina und Kalle sich über den Frühling unterhielten, der sich bisher von seiner besten Seite gezeigt hatte, auch wenn zurzeit wenig von ihm zu spüren war. Katharina war froh, dass er kein Wort über die Leiche in der Jauchegrube verlor. Kalle hatte einen ausgeprägten Sinn für die Erfordernisse des Alltags. Warum sollte er sich also noch mit Geschehnissen von gestern beschäftigen? Seit dem gestrigen Polizeibesuch und dem heutigen Vormittag waren in seiner Welt sicher eine Menge wichtiger Dinge geschehen, und Katharina widerstand der Versuchung, das Thema von sich aus zur Sprache zu bringen. Die beiden Männer verschwanden fröhlich plaudernd in Richtung Atelier, und Katharina wunderte sich, dass sie weiterhin so bedrückt war. Abgesehen von dem schrecklichen Vorfall auf dem Nachbarhof war doch alles wie immer. Er sollte sie nicht länger belasten.

      Eigentlich kannte sie den Grund ihrer Unruhe sehr genau, doch sie scheute sich, Patrik damit zu behelligen. Denn sie hatte nichts Konkretes in der Hand, nur düstere Vorahnungen eines bevorstehenden Unglücks. Sie kam sich albern und überspannt vor. Vermutlich hatte es mit ihrem Traum zu tun, aber nicht nur damit. Die Vorahnungen hatten sie schon gestern Abend beschlichen. Etwas Bedrohliches schien sich anzubahnen.

      Aber das konnte sie Patrik nicht sagen. Der hatte von ihren bösen Ahnungen sicher genug. Nicht dass sie ständig welche hätte, aber das Thema war heikel. Schon einmal hatte sie so ein komisches Gefühl gehabt, und Patrik hatte davon nichts wissen wollen, was an und für sich verständlich gewesen war. Später hatte sie sich davor gehütet, »Ich hab’s doch gewusst!« auszurufen, obwohl ihr die Worte auf der Zunge gelegen hatten. Aber damals hatte es sich um etwas gehandelt, das sie beide im höchsten


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