Der leiseste Verdacht - Schweden-Krimi. Helena Brink
Die beiden Kriminalbeamten kamen ihr rasch entgegen, Wagnhärad hatte bereits lächelnd seinen Dienstausweis gezückt.
PM runzelte die Brauen und fluchte leise vor sich hin. Jetzt würden sie wieder hereinkommen und alles noch einmal erzählen. Vermutlich würde es Abend werden, bis er endlich zum Arbeiten kam. Und tatsächlich sah er, wie Katharina die beiden Männer mit einer einladenden Geste ins Haus bat. Doch der höfliche Kommissar blickte auf die Uhr und schüttelte den Kopf. Eine eindeutige Ablehnung. Offenbar meinte er, dass sich die offenen Fragen am Gartentor klären ließen.
Er trat näher ans Fenster und beobachtete gespannt das Gesicht seiner Frau. Wagnhärad erzählte ihr offenbar gerade vom Fund der Leiche. Auch gut, dann konnte er sich das sparen. Ihre Augen weiteten sich ein wenig, ihre Lippen erstarrten. Für einen Moment sah sie verwirrt aus, doch schon im nächsten hatte ihr Gesicht seine Lebendigkeit wiedergewonnen. Sie begann zu sprechen.
Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Seine selbstbewusste Ehefrau schien die beiden Polizisten einem Verhör zu unterziehen. Bereitwillig beantworteten sie jede ihrer Fragen, zumindest so lange, bis sie sich daran erinnerten, wer hier eigentlich die Fragen stellen sollte.
Bergh zückte plötzlich seinen Notizblock, während Wagnhärad eine ernste Miene aufsetzte. PM hoffte schadenfroh, dass ihre Bemühungen vergeblich waren. Er war sicher, dass Katharina auch ihr eigenes Verhör dominieren würde.
Er liebte diese hartnäckige Frau, die ständig eine so unverbesserlich Effizienz an den Tag legte. Manchmal war er nahe daran, sie für naiv zu halten, doch bewunderte er ihre souveräne Selbstsicherheit und ihre Fähigkeit, auch in den kompliziertesten Situationen die Ruhe zu bewahren. Sie ging immer vom guten Kern eines jeden Menschen aus, und auf merkwürdige Weise gelang es ihr in der Regel auch, diesen sichtbar zu machen. Sein eigenes Selbstbewusstsein war labilerer Natur und kam mitunter nicht ohne eine gewisse Überheblichkeit aus.
Nun fielen sie einander ins Wort. Offenbar gab es vieles, das Katharina unbedingt loswerden wollte, und der bedächtige Bergh hatte alle Mühe mitzuschreiben.
PM trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Fensterbank. Worüber redeten sie nur die ganze Zeit? Was zum Teufel erzählte sie ihnen alles? Ihrer überschwänglichen Gestik nach zu urteilen, musste es sich um etwas äußerst Interessantes handeln. Er schaute sie fasziniert an. In seinen Augen war sie schon immer eine rätselhafte Mischung aus südländischem Temperament und schwedischem Pragmatismus gewesen.
Eine Kombination, die ihn verwirrte und anzog.
Unter ihren Vorfahren war einst ein italienischer Immigrant gewesen, dessen Gene, wenn auch quasi in abgeschwächter Form, sowohl ihr Aussehen als auch ihren Charakter vorteilhaft beeinflussten. Ihm hatte sie die aristokratische Krümmung ihrer vielleicht eine Spur zu großen Nase zu verdanken, ebenso ihre dunklen, bernsteinfarbenen Augen sowie ihr dichtes, schwarzes Haar, das sie in einem langen, geflochtenen Zopf auf dem Rücken trug. Der feine olivfarbene Teint ihrer Haut vervollständigte den Eindruck, dass ihre Wurzeln am Mittelmeer lagen. Ihre Schönheit hatte einen zutiefst individuellen Charakter, und er wurde niemals müde, sie zu zeichnen. Er war davon überzeugt, dass sich alle Männer von ihr angezogen fühlten, und hätte ihre schwedische Nüchternheit in der Ehe nicht die Oberhand gewonnen, wäre er vor Eifersucht noch verrückt geworden.
Endlich löste sich die Gruppe an der Hofeinfahrt auf. Katharina ging dem Haus entgegen, während die Polizisten in ihr Auto stiegen. PM entdeckte seine Pfeife, die er vorhin auf den Herd gelegt haben musste, um den beiden Beamten die Tür zu öffnen. Er ließ sie liegen und eilte in die Diele, um seine Frau zu begrüßen.
2
Dagens Nyheter, Donnerstag, 20. April
Rätselhafter Leichenfund in Jauchegrube
Auf einem unweit von Christiansholm gelegenen Bauernhof machte ein Landwirt gestern eine grausige Entdeckung, als er beim Abpumpen der Gülle auf eine stark verweste und zersetzte männliche Leiche stieß. Die Polizei hält es für unwahrscheinlich, dass es sich um ein Unglück handelt, und geht bis auf weiteres von einem Verbrechen aus. Wie lange der Körper, der bislang nicht identifiziert werden konnte, in der ätzenden Flüssigkeit gelegen hat, ist schwer zu beurteilen. Die Polizei bittet die Bevölkerung um ihre Mithilfe und ist besonders an Hinweisen über Personen interessiert, die seit vier bis acht Monaten als vermisst gelten.
3
Donnerstag, 20. April
Katharina legte die Zeitung beiseite und sah ihren Mann nachdenklich an, während sie ihren heißen Kaffee schlürfte. Er war tief in seine Morgenlektüre versunken, eine Gebrauchsanweisung für einen Kaminofen, der mittelfristig dazu beitragen sollte, ihre Heizkosten zu senken. Er kaute abwesend an seinem Butterbrot mit gekochtem Ei und Kaviarcreme und war sich der Aufmerksamkeit seiner Frau nicht bewusst.
»Weißt du, was ich glaube?«, fragte sie.
Er war weiter in seine Broschüre vertieft. »Mmm?«
»Ich glaube, sie haben seinen Geliebten aus der Grube gefischt.«
PM schaute auf. »Wessen Geliebten?«
»Na, den des so genannten Bauern.«
»Wovon redest du?«
Katharina reichte ihm die Zeitung und deutete auf eine Notiz. »Ich rede von dem schrecklichen Gewaltverbrechen, das unsere beschauliche Provinz erschüttert.«
Er überflog die Zeilen. »Was hast du von einem Geliebten gesagt?«
»Ich habe den Gedanken geäußert, dass es der Geliebte des angeblichen Bauern gewesen sein könnte, den sie aus der Jauchegrube gefischt haben.«
»Geht jetzt deine Fantasie mit dir durch?«
»Was ist dagegen einzuwenden, wir sind doch unter uns.«
»Wieso nimmst du an, dass er schwul ist?«
»Ach, ich habe keine Ahnung von seinen Neigungen. War doch nur so eine Idee. Gibt’s noch Kaffee?«
Er schenkte ihnen beiden nach. »Warum sagst du ›angeblicher‹ Bauer?«
»Auch nur so eine Idee.«
Er legte die Broschüre weg, lehnte sich zurück und faltete die Hände hinter dem Nacken.
»Du machst mich neugierig«, sagte er. »Erzähl!«
Katharina rührte in ihrer Tasse und sah aus dem Fenster. Draußen hatte es begonnen zu schütten. Es sah aus wie ein grauer Vorhang.
»Oh je, ich hoffe, es hört auf, bis ich fahre«, sagte sie. »Wir haben zwar Regen gebraucht, aber jetzt reicht es langsam.« Sie gähnte und zog ihren Bademantel enger um sich. »Ich habe doch schon früher gesagt, dass er als Bauer keine überzeugende Figur abgibt.«
»Hast du irgendwas Bestimmtes gegen ihn?«
»Nein, eigentlich nicht ...« Sie dachte einen Augenblick nach. »Ich würde ihm vielleicht nicht gerade meine Topfpflanzen anvertrauen, aber einen Gebrauchtwagen würde ich ihm glatt abkaufen. Es ist schwer zu erklären, doch immer wenn ich ihn sehe, habe ich das Gefühl, dass er sich verkleidet hat. Dass er nur vorgibt, ein Bauer zu sein. Manche Menschen machen den Eindruck, als spielten sie eine Rolle. Findest du nicht?«
»Doch, ich weiß, was du meinst. Aber ich habe nie gefunden, dass Bauern alle vom gleichen Schlag sind. Lässt man die letzten Jahre Revue passieren, dann haben wir auf dem Hof doch die unterschiedlichsten Typen erlebt. Und da passt Nygren eigentlich ganz gut rein.«
»So meine ich das auch nicht. Rein äußerlich mag er ja als waschechter Schweinezüchter durchgehen. Er hat nie etwas gesagt oder getan, was unser Misstrauen hätte erregen können. Aber immer wenn ich ihn in dem schmutzigen Overall und mit seiner Schirmmütze sehe, habe ich so merkwürdige Assoziationen.«
»Wirklich?«
»Ja, ich finde, ein Smoking oder ein Nadelstreifenanzug würde ihm viel besser