Sing-Sang der Liebe. Robert Heymann

Sing-Sang der Liebe - Robert Heymann


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haben wir so nebeneinander gelebt, und ich danke Dir für das schöne Glück, das Du mir geschenkt. Aber seit vielen Monaten ist etwas zwischen uns getreten, ein Gespenst, wie Du es nanntest. Du konntest Dir sein Wirken und Wühlen nicht erklären.

      Es kam mit dem Kinde. Das kleine Mädchen brachte die Alltäglichkeit in unser Heim, und unsere so wilde Ehe ist philiströs geworden. Die Geliebte starb durch die Mutter! Und deshalb müssen wir scheiden!

      Ich brauche ja so viel Schönheit, wilde, sündige Schönheit und unbändige Liebe! Die Alltäglichkeit hat sich um meine Seele geschlossen, gleich einer eisernen Kette. Ich sehne mich nach dem Leben, wie der Sträfling nach Licht.

      Es ist herzlos, grausam, was ich Dir sage, aber es ist wahr: Wolltest Du länger mit mir leben mit der Lüge auf der Stirne?

      Sieh, ich muß schaffen! Jede Empfindung, jeden Hauch, den die Seele einatmet, jedes Bild, das ihr Auge spiegelt, will ich formen können in zeugender Lust.

      Aber die Luft, die ich atme, erstickt mich. Die graue Sorge in unserem Stübchen und das blasse Kind haben meine Liebe getötet — soll auch meine Kraft noch sterben? — Richte mich nicht, Ilse! Wenn wir uns in Jahren vielleicht wiedersehen, wirst Du mir’s danken, daß ich in Wahrheit von Dir gegangen!

      Ich will hinaus in das Leben als Zigeuner, wie Du mich getroffen, und ich will genießen. Nur Genuß ist Empfindung, und ohne Genuß kann keine Kunst geboren werden. Als ich meiner Eltern Haus verließ, um die weiche Trägheit mit dem Kampfe der wechselvollen Not zu vertauschen, da sagte ich mir:

      Die Segel gehißt und hinaus, alles aufgeboten, um mit voller Ladung zurückzukehren. Und besser, im großen Ozean draußen zugrundegehen, als mit lächerlichem Wrack in den Hafen zu laufen — schiffbrüchig.

      Und ich stehe vor dem Schiffbruch, Ilse!“

      Er wurde unterbrochen.

      Von dem Tisch her, wo die auffallende Frau mit dem jungen Mädchen saß, schallte lautes Gelächter zu ihm herüber. Jetzt sah er, daß sich um den Tisch ein halbes Dutzend Herren scharte, mehr als zweifelhafte Geisteskinder, mehr als galant gekleidet, die, wie es schien, eine mehr als unfeine Unterhaltung führten.

      Die Frau, deren Haar bereits meliert war, ließ ihre herausfordernden Augen von einem zum andern schweifen, lächelte verständnisinnig, wenn ein anzügliches Wort fiel, und der Schenkel ihres Beines lehnte sich an das Knie des neben ihr sitzenden Kavaliers.

      Die Mehrzahl der Herren beschäftigte sich jedoch mit dem Mädchen.

      Die Wangen des Kindes waren gerötet, vielleicht vor Aufregung, vielleicht auch vor Scham. Ihre Augen hatten noch einen unschuldig klaren Schmelz, die vollen Lippen aber schienen das Küssen schon gelernt zu haben.

      Die Kavaliere standen und saßen, das Monokel eingeklemmt, im Halbkreis umher und spähten nach dem Mädchen wie Hunde nach einem Knochen.

      Die Frau aber lachte — — —

      Schändlich, dachte er, das unschuldige Kind —

      Dann schrieb er weiter:

      „Ich will enden, Ilse. Gib das Kind in eine Anstalt. Sieh dann und wann nach ihm und erzähle ihm auch von seinem Vater. Wir werden uns einmal wieder treffen im Leben, Ilse, und dann wird alles anders sein. Lebe wohl.“

      Er wollte den Brief zusammenfalten, als ein junger Mann mit kollegialem Gruße an seinen Tisch trat.

      Es war ein langjähriger Freund.

      „Darf ich Platz nehmen?“

      „Aber gewiß.“

      Der Freund sah nach der Gruppe vis-à-vis.

      „Komische Gesellschaft, was? So mußte es kommen!“

      „Kennst du sie?“

      „Gewiß. Du nicht? Sie sind doch stadtbekannt. Kannst du dich nicht mehr an den Grafen Montini erinnern, der sich wegen Schulden erschossen hat?“

      „Ja, Dunkel!“

      „Die Ältere da drüben war seine Geliebte, soll sogar aus einer sehr ehrenwerten Familie stammen und hat ihn gerngehabt. Jetzt ist sie die schamloseste Mutter, die ich je kennengelernt.“

      „Ach, das ist ihre Tochter, die Kleine?“

      „Ja.“

      „Aber wie konnte — —“

      „Geld hinterließ er keines, und die Not versteht keinen Spaß. Sie und das Kind mußten leben. Und andere haben schließlich auch keinen schlechten Geschmack. Jetzt wird sie alt, verdorben ist sie auch, nun wird die Tochter verkuppelt.“

      „Schändlich!“

      „Was willst du! Er war der Schuft!“

      Der Sprecher nahm eine Zeitung vor und las.

      Der andere starrte vor sich nieder. Eine große schwere Träne rann ihm langsam über die Wange.

      Dann hatte er überwunden.

      Langsam, sorgfältig zerriß er den Brief.

      „Was zerreißt du da?“ fragte der Freund.

      „Oh, eine alte Abrechnung,“ antwortete er. „A propos, ich heirate Ilse. Willst du mein Trauzeuge sein?“

      Philosophie

      Wir saßen im Filmklub. Da ist Generaldirektor Hempel (sagen wir schon Hempel), Gewaltiger der Abewe-Gesellschaft. Er begann seine Laufbahn im fernen Osten. War dann in Wien Kaffeesieder, handelte schließlich mit Platin und Eisenbahnwagen, die nie existierten, und wurde, nebenberuflich, Filmdirektor. Er ist immer noch stark im Ausführen. Seine Produktion gleicht der Realität der oben besagten Eisenbahnwagen. Er zog mich kürzlich in eine literarische Diskussion.

      „Was halten sie eigentlich von der Tarzanschen Theorie, Mister?“ (Er sagt immer Mister und spricht viel vom Broadway auf Long Island. Sprich Island wie Irrland.)

      Also: Tarzansche Theorie. Ich sage:

      „Sie meinen Darwin?“

      „Darwin? Darwin? ... Der die sozialdemokratischen Bücher geschrieben hat? Der Bolschewikenpapst? ... Ne, ich meine Tarzan. Mensch, gucken Se nicht so intellektualiter, als ob Se mich reinlegen wollten. Die Tarzansche Theorie meine ich ... daß der Affe vom Menschen abstammt ... Glauben Sie daran?“

      „Ob ich daran glaube? Mit wenig Einschränkungen, jawohl. Man nennt das die Entwicklung des synthetischen Menschen, den Nietzsche einmal vergeblich gesucht hat!“

      „Sehen Se! Hätte Ihr Nietzsche noch Tarzan erlebt, dann hätte er seinen sympathischen Zeitgenossen gefunden. Wa?“

      Der Löwe vom Kurfürstendamm

      Wir unterhalten uns manchmal im Café Größenwahn. Machen in Literatur, Politik und so. Und man kommt dann leicht auf die Zoologie.

      „Der Löwe,“ sagte einer, der den neuen „Brehm“ schreiben will, „also der Löwe von heute ... der moderne Löwe ... nein, der ist kein Fleischfresser. Der Löwe vom Kurfürstendamm ist reiner Vegetarier.

      Was er frißt?

      Grünfutter frißt er. Fuderweise. Pflanzen.

      Wo die wachsen?

      Auf dem Asphalt, Mensch. Daher der Name: Asphaltpflanzen.

      Ob es da verschiedene Arten gibt?

      Na, der olle Linné hätte seine Freude an ihnen gehabt! Es gibt ’ne Menge Arten. Kamelien (Damen), Tulpen, Sterne (die nur nachts leuchten), Pflaumen ...

      Was? Pflaumen sind keine Pflanzen?

      Und ob das Pflanzen sind! Haben Sie ’ne Ahnung!

      ... Obst? Ja, das frißt der Löwe vom Kurfürstendamm auch. Fallobst. Manchmal kaum reif ... noch ganz grün ... frisch vom Baum der Erkenntnis weg ... manchmal schon arg faul ... wie’s


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