Fabian Boll - Das Herz von St. Pauli. Hermann economist Schmidt

Fabian Boll - Das Herz von St. Pauli - Hermann economist Schmidt


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des SV Eckelshausen und für einen Sieg des 1. FC Köln.

      Leider hatte ich mir unmittelbar vor der Auswärtsfahrt nach Paderborn auch noch eine Grippe mit einem saumäßigen Husten eingefangen, was die Auswärtsfahrt nicht gerade erträglicher machte. Auf der A2 wurde der Verkehr schließlich immer dichter, trotzdem standen wir um Schlag vier auf dem Parkplatz am Stadion. In der Ferne kam der Mannschaftsbus des FC St. Pauli an. Mir wurde ganz warm ums Herz: unsere Mannschaft! Ob die Spieler auch so aufgeregt waren wie ich? Ob Deniz Naki von Beginn an spielen würde? Ich hatte Fabian Boll kürzlich einmal gefragt, ob er sich nicht ein wenig um diesen kleinen Hitzkopf kümmern könne. Wahrscheinlich dachte Fabian Boll, dass ich ein bisschen „gaga“ bin und mich um Sachen kümmere, die mich einen feuchten Kehricht angingen.

      Henning und ich aßen eine Currywurst, und statt eines ohnehin alkoholfreien Biers pfiff ich mir das Antibiotikum gegen die Grippe ein. Wegen der Idee mit dem Buch beschloss ich, Fabian Boll heute einmal ganz genau unter die Lupe zu nehmen. Und als ob der Mann, der beim FC St. Pauli die 17 trägt, das gewusst hätte: Dieses für den Verlauf des Weltfußballs eher unbedeutende Match in der westfälischen Provinz würde Fabian Boll nämlich zu einem seiner ganz großen Tage machen. Wir würden den besten Fabian Boll aller Zeiten zu sehen bekommen!

      Die Mannschaftsaufstellung der Boys in Brown nahm ich erstaunt, ja ungläubig zur Kenntnis. Wieso ließ André Schubert Deniz Naki erneut auf der Bank? Trotz der schwachen Leistung einiger seiner Mannschaftskameraden im Spiel gegen Dynamo Dresden?! Beim Warmmachen sah ich schon, dass Deniz angefressen war. Wenn der Junge sauer war, spielte er den Clown, obwohl ihm wahrscheinlich eher zum Weinen als zum Lachen zumute war. Im Spiel mit seinen Kameraden gab er zunächst eine erstklassige Breakdance-Einlage. Ich ahnte, dass das den preußischen Fußballpuristen auf der Bank des FC St. Pauli nicht entgangen war und sie es nicht gut finden würden. Naki, der Mann, auf den ich alles gesetzt hatte, kasperte auch noch auf dem Platz herum, als alle anderen Spieler schon längst wieder in der Kabine verschwunden waren, um sich fürs Einlaufen bereit zu machen. Er war so, wie ich wahrscheinlich im Alter von 15 Jahren gewesen war.

      Mir ging es nicht so gut. Ich fror, obwohl es nicht wirklich kalt war. In den ersten 25 Minuten des Aufstiegskampfs gegen den SC Paderborn entpuppten sich die Gastgeber als abgeklärtes Team, das einen kontrollierten Ball spielte, auf Torsicherung bedacht war und geschickt in wenigen unkomplizierten Zügen überfallartig sein Spiel in die gegnerische Hälfte verlagerte. Die Spieler des FC St. Pauli schoben, wie so oft, im Kurzpassspiel den Ball so lange hin und zurück, bis der Gegner ihn ergatterte, dann ging es ratzfatz in Richtung Tschauner. Erst nach einer knappen halben Stunde kamen wir besser ins Spiel. Die Paderborner waren uns bis zu diesem Zeitpunkt absolut überlegen gewesen. So kam zumindest ein wenig Hoffnung in unserer Kurve auf. Aber Dennis Daube und die meisten seiner Kollegen wirkten wie abwesend. Sie gingen nicht konsequent in die Zweikämpfe. Sebastian Schachten schien völlig überfordert, Saglik hatte eine einzige gute Szene in 45 Minuten. In der letzten Minute der ersten Halbzeit drosch Jan-Philipp Kalla den Ball völlig unbedrängt und unkontrolliert von der 16-Meter-Linie halbhoch zu einem Gegenspieler. Der passte im Gegenzug über Kalla hinweg auf den rechten Flügelmann der Paderborner, von dort flog der Ball in den Strafraum und Proschwitz hämmerte den Ball zum 1:0 für den SCP ins Tor. Pünktlich wie die Maurer hatten wir uns einmal mehr in der letzten Minute einer Halbzeit einen einschenken lassen. Solche Abwehrfehler werden in jeder Kreisklasse bestraft.

      Bald nach Beginn der zweiten Halbzeit tauschte Trainer Schubert aus. Er brachte endlich Deniz Naki für Fin Bartels. Daube und Kalla ließ er weiterspielen. Wusste der Trainer nicht, dass Bartels auch Außenverteidiger spielen kann? Später kam Ebbers für den enttäuschenden Saglik, und (endlich wieder einmal) wurde Rouwen Hennings für Schachten eingewechselt. Dass wir trotz der „Ausfälle“ immer noch im Spiel waren, verdankten wir heute den Abwehrspielern Markus Thorandt, Ralle Gunesch und Patrick Funk, die unser Team einigermaßen zusammenhielten und den ambitionierten Paderbornern Widerstand leisteten.

      Über allem aber stand an diesem Tag die heroische Leistung von Fabian Boll. Es sah so aus, als vereinige er die Hälfte aller Ballkontakte der Braun-Weißen ausschließlich auf sich. Die 17 war überall und zeigte Präsenz auf jede erdenkliche fußballerische Weise: klärend, wegspitzelnd, zulangend, drängelnd, schlagend, köpfend, laufend, ackernd, fordernd, absichernd, kämpfend. Fabian Boll, den ich einmal ganz genau beobachten wollte, machte eines seiner ganz, ganz großen Spiele. Unmittelbar, bevor er seine Leistung krönen sollte, sagte ich zu meinem Sohn Henning: „Fabian Boll spielt hier und heute in einer ganz anderen Liga als all unsere anderen Spieler. Er ist überragend.“

      In den letzten fünf Minuten dieses schwachen Spiels unserer Mannschaft in Paderborn riss uns ein Mann ganz allein aus der Misere und bewahrte den Klub vor einer verdienten Niederlage: Fabian Boll, der auch dank der Hilfe und des Einsatzes von Deniz Naki, Ralle Gunesch, Markus Thorandt und Patrick Funk seinen Siegeswillen auf dem Platz umsetzen konnte. Sein Kampf und sein mitreißender Mut ließen in allerletzter Sekunde das „Wunder von Paderborn“ geschehen. Er holte auf den letzten Drücker und mit unbändigem Willen fünf Meter vor der Außenlinie einen Freistoß für uns heraus. Dennis Daube flankte den Ball scharf in den Fünfmeterraum, und Boll köpfte den Ball mit letzter Kraft zum Ausgleich ins Tor. Es war nicht das erste Mal, dass Fabian Boll eine derart unvergleichliche Leistung vollbrachte. Aber sicher war das Match in Paderborn eines der besten Spiele seiner bisherigen Laufbahn. Dieses Spiel, sein Spiel, seinen bedingungslosen Kampf werde ich so schnell nicht vergessen. Die regionalen und überregionalen Zeitungen, die Fußballmagazine und Online-Dienste kommentierten das überragende Spiel von Fabian Boll entsprechend.

      Fabian Boll hatte am 2. Dezember 2011 in Paderborn gezeigt, dass er auf dem Höhepunkt seiner Karriere ist. In den Reihen des FC St. Pauli hatte es seit Jahr und Tag kaum einen vergleichbar vorbildlichen und charakterstarken Spieler gegeben. Der Tabellenplatz nach der Hinrunde der Saison 2011/12 war in weiten Teilen vor allem Ausdruck der Leistung des Spielers Fabian Boll. Seit ich ihn zum ersten Mal im Edmund-Plambeck-Stadion in Norderstedt spielen gesehen hatte, waren nun mehr als zehn Jahre vergangen. Die abgeklärte, souveräne Spielweise hat er in all den Jahren beibehalten und mehr und mehr perfektioniert. Dass er aber allen anderen voran und ganz allein ein Spiel dreht, dass er mit aller Kraft und einem schier unglaublichen Durchsetzungsvermögen alles aus sich herausholt, beim FC St. Pauli, das machte Fabian Boll zum überragenden Fußballer der letzten Jahre.

      Interview

      Fabian Boll über seine Heimat in Norddeutschland

      Fabian, du wurdest in Bad Segeberg, mitten in Holstein geboren. Wie wichtig ist dir deine Heimat?

      Fabian Boll: Selbstverständlich liebe ich meine Heimat. Ich bin zwar in Bad Segeberg geboren worden, aber natürlich fühle ich mich als Bad Bramstedter. Da bin ich aufgewachsen und da ist meine Heimat. Ich habe in Bad Bramstedt meine Kindheit und Jugend verbracht, und wie die meisten meiner Landsleute würde ich mich eher als einen bodenständigen Typen bezeichnen.

      Was unterscheidet die Holsteiner und die Norddeutschen deiner Meinung nach von Menschen in anderen Teilen Deutschlands?

      FABIAN BOLL: Die Holsteiner sind zunächst eher verschlossen. Sie neigen nicht zu schnellen Freundschaften, wie das den Rheinländern oft nachgesagt wird. Aber wenn die Norddeutschen eine Freundschaft schließen, dann ist das für immer. Hier wird nicht viel gesabbelt. Im Winter siehst du manche Nachbarn wochenlang nicht, weil sie nicht aus ihren Häusern kommen. Und sich dann vorm Fernseher verkriechen. Im Frühjahr, bei den ersten Sonnenstrahlen, kommen sie alle heraus aus ihren Höhlen. Die Holsteiner machen nicht viel Gedöns um eine Sache. Das gilt im Fußball und im richtigen Leben. Wir sind eher karg, vor allem wortkarg.

      Gilt das auch auf dem Platz?

      FABIAN BOLL: Auch auf dem Spielfeld wird im Norden eher nicht so viel gesprochen. Ich war früher zurückhaltend auf dem Platz und habe nicht herumgeschrien. Das ist den Norddeutschen und damit auch mir wahrscheinlich angeboren. Heute, nachdem ich ein bisschen rumgekommen bin in Deutschland und im Fußball, hat die Kommunikation der Spieler untereinander eine viel größere Bedeutung als früher. Und ich muss aufgrund meiner Rolle in der Mannschaft mit den Mitspielern reden.

      Fährst


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