Fabian Boll - Das Herz von St. Pauli. Hermann economist Schmidt

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worden, und dann wurde hier drauflos „gebollert“.

      Die Eltern konnten infolge des Hauskaufs keine großen Sprünge machen, denn Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes in Deutschland gehören bekanntermaßen eher nicht zu den Großverdienern im Lande. Gerlind und Thomas Boll führten mit ihren Kindern ein bescheidenes und sorgenfreies Leben. Für ihre Kinder taten sie alles, und Jahr für Jahr fuhren sie nach Dänemark in den Urlaub. Die weiteste gemeinsame Reise ging allerdings in das Seen-, Moor- und Waldgebiet der Provinz Småland in Südschweden.

      Interview

      Fabian Boll über seine Anfänge als Fußballer

      Wurde dir das fußballerische Talent in die Wiege gelegt?

      FABIAN BOLL: Sicher wird Fußballtalent auch vererbt. Aber wer weiß das schon so ganz genau … Mein Vater war ein sehr guter Torwart, aber wahrscheinlich kein so überragender Feldspieler. Mein Bruder Sebastian ist in seine Fußstapfen getreten und wurde ebenfalls Torhüter. Für mich war das nichts, im Tor zu stehen.

      Weshalb nicht?

      FABIAN BOLL: Es hätte mich schon gestört, dass die Torleute ganz oft die Schuld in die Schuhe geschoben bekommen, wenn ein Spiel verloren geht. Außerdem wäre ich nicht auf die Idee gekommen, mich ins Tor zu stellen, weil das ja die Position meines Bruders Sebastian war. Mein Ding war ganz einfach der Ball.

      Was denkst du, wenn du einen Ball siehst?

      FABIAN BOLL: Dann denke ich nicht. Früher konnte ich einen Ball nicht ruhig liegen sehen. Wo ein Ball war, da musste ich hin und ihn mit dem Fuß aufnehmen. Mit zunehmendem Alter ist man auch mal ganz froh, wenn man die Kugel drei Wochen lang nicht sieht. Aber dann kribbelt es auch schon wieder.

      Viele deiner Fans meinen, du seist von jeher Abwehrspieler gewesen?

      FABIAN BOLL: Das mag an der Rolle liegen, die ich in den letzten Jahren beim FC St. Pauli gespielt habe. Die meisten Menschen erinnern sich am ehesten an das, was gerade war. In allen Mannschaften, in denen ich jemals gespielt habe, war ich immer einer derjenigen, die am besten mit dem Ball umgehen konnten. Und bis ich zum Sechser in der Zentrale wurde, war ich in fast allen Teams, in denen ich gespielt habe, der Spielmacher, also ein Zehner.

      Du hast das Fußballspielen also eigentlich auf dem Bolzplatz gelernt…

      FABIAN BOLL: Die meisten Kinder lernen das Fußballspielen auf der Straße und auf Bolzplätzen. Das gilt auch für mich. Leider gibt es heutzutage immer weniger Bolzplätze. Außerdem gab es in meiner Kindheit nicht so viel Ablenkung. Fußball macht Spaß, wenn es ein Spiel ist. Niemand wird ein guter Fußballer, nur weil er Tag und Nacht trainiert. Die Faszination des Fußballs liegt darin, dass in jedem Spiel alles möglich ist. Und der Fußball lebt dort, wo er glanzvoll zelebriert wird, von der Kreativität, den Tricks und Finten der begnadeten Individualisten am Ball. Man muss aber auch klar sehen, dass viele ganz außergewöhnliche Fußballer mit exzellenten Fähigkeiten am Ball oft genug relativ wenig zum Erfolg ihrer Mannschaft beigetragen haben. Erfolg im Fußball ist aber ohne bedingungslosen Einsatz und Selbstdisziplin nicht möglich. Entscheidend ist, was dich und dein Team weiterbringt, um zu gewinnen.

      DIE CLIQUE VOM BOLZPLATZ

      Im Alltag der Familie Boll hatte der Sport zwar immer eine besondere Bedeutung, aber es stand völlig außer Frage, dass der Beruf und damit der Broterwerb absoluten Vorrang hatte. Fabians Berufswunsch war ohnehin klar: Er wollte zur Polizei, so wie viele Männer der Familie Boll seit Generationen. Vater Thomas imponierte dem kleinen Fabian, wenn er mit dem Dienstwagen nach Hause kam und in seiner Uniform aus dem Auto stieg. Dann durften sich die Jungs schon einmal ins Auto setzen und das Blaulicht anmachen. Denn Vater Boll war ein gütiger und freundlicher Mensch, kein strafender Hüter von Gesetz und Ordnung. Und auch Mutter Gerlind, schlank, attraktiv und fröhlich wie ihre beiden Söhne, sah lächelnd über die kleinen Freiheiten hinweg, die ihre Jungen sich gelegentlich nahmen. Die Schulen durchliefen die beiden Boll-Söhne mehr oder weniger problemlos, sieht man einmal von der „Ehrenrunde“ Fabians im Gymnasium ab. Selbst da gab es keinen Stress in der Familie, doch dazu später mehr.

      Schon bald sollte Fabian Boll auch über die Bad Bramstedter Bolzplätze und den Fußballplatz am Schäferberg hinaus als ein überragender Akteur am Ball bekannt werden. Nicht, dass er auf dem mit spärlichem Rasen gespickten Trainingsgelände (der heute ein Kinderspielplatz ist) und anderswo das Kommando geführt hätte. Fabian wirkte im Kreis der meist älteren Spiel- und Fußballkameraden eher zurückhaltend, ja schüchtern. Die Bedeutung und Wertschätzung seitens der Bramstedter Kameraden und Fußballfreunde beruhte allein auf seinem schon damals erkennbaren außerordentlichen fußballerischen Talent. Wenn er den Ball führte, gab er den Takt an, mit dem Fuß, mit seiner Übersicht, weniger mit dem Mund. Den sportbegeisterten Eltern wurde rasch klar, dass Fabian einmal ein guter Fußballer werden könnte. Doch trotz aller Affinität zum Sport und zum Fußball erzogen die Bolls ihre Kinder nicht in übersteigertem Ehrgeiz oder gar mit dem Ziel, das Talent – insbesondere das von Fabian – so gezielt zu fördern, dass daraus einmal ein Beruf werden könnte. Fördern statt fordern, so ließe sich die Haltung der Eltern von Fabian Boll am besten beschreiben.

      Die beiden Boll-Söhne begannen bereits in der F-Jugend der Bramstedter TS mit dem Fußballspielen, Sebastian ganz wie der Vater als Torhüter, Fabian zwei Jahre später im Mittelfeld und von Beginn an als Regisseur seiner Teams. Fabian erwies sich zudem als so stark, dass er ein Jahr früher, als dass normalerweise der Fall ist, von der E- in die D-Jugend wechselte. Auch in die C- und B-Jugend-Mannschaften wechselte Fabian Boll immer vorzeitig. Und so spielte er stets mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Sebastian in einer Mannschaft.

      Zum allerersten Punktspiel seiner Laufbahn mit der Bramstedter TS in Hartenholm aber hatte Fabian gar nicht antreten wollen. Er spielte zwar liebend gern Fußball, und Fußball war ihm wichtiger als alles andere, sogar wichtiger als Faustball. Aber er bewegte sich am allerliebsten in einer Welt, die ihm vertraut war. Aber Hartenholm? Wo lag Hartenholm? Wieso sollte er in einem ihm wildfremden Ort namens Hartenholm gegen völlig fremde Spieler antreten? Gegen Spieler, die er nicht kannte, wollte er lieber nicht antreten. Als es losgehen sollte und Thomas und Gerlind Boll mit den Jungs zum Spiel fahren wollten, hatte sich Fabian auf dem heimischen Sofa in Bramstedt zusammengekauert. Er saß dort, verbarg sein Gesicht hinter verschränkten Armen und heulte Rotz und Wasser. Fabian wollte lieber nicht in einer „richtigen“ Mannschaft spielen. Fußball auf dem Bolzplatz ja. Fußball mit Freunden und Kumpels: okay. Fußball auf dem Bolzplatz und in Bramstedt: wunderbar. Alles andere war ihm fremd, und was ihm fremd war, das scheute der schüchterne Junge.

      Der Spielbeginn rückte nun immer näher. Bruder Sebastian stand bereits gestiefelt und gespornt in Torhüter-Montur im Flur, während Mutter und Vater Fabian mit gutem Zureden versuchten, ihn zunächst einmal zum Einsteigen ins Auto zu bewegen. Je länger sie auf ihn einredeten, umso hemmungsloser weinte der Junge. Schließlich wussten sie sich nicht mehr zu helfen, bis der Vater seinem jüngeren Sohn versprach, er dürfe sich nach dem Spiel in einem „Dit und dat“-Laden in Bramstedt etwas aussuchen und die Mama würde am Abend Schokoladenpudding, seinen Lieblingsnachtisch, kochen. Erst jetzt machte Fabian Anstalten, ins Auto zu steigen. Und ab ging die Post zum Spiel nach Hartenholm.

      In Hartenholm am Platz angekommen, setzten sich die Schwierigkeiten fort. Fabian wollte nicht aus dem Auto herauskommen. Er wollte einfach nicht gegen fremde Jungen Fußball spielen. Da wurde es Vater Boll zu bunt. Er schnappte sich den Jungen, trug ihn in die Kabine, zog ihm das Trikot an, und von dieser Sekunde an machte Fabian keinen Mucks mehr. Es war das erste und letzte Mal, dass sein Vater eine solche Maßnahme ergriff. Aber es war – wie wir heute wissen – das Beste, was er für den norddeutschen Fußball im Allgemeinen und den des FC St. Pauli im Besonderen tun konnte. Hätte sich Fabian damals durchgesetzt, dann wäre dem FC St. Pauli wahrscheinlich einer seiner größten und besten Spieler aller Zeiten vorenthalten worden.

      Fabian Boll erzählt im Rückblick auf dieses denkwürdige Spiel, dass er bis zum Zeitpunkt des Spiels in Hartenholm nur die Bolzplatzregeln gekannt hätte. Wenn in Hartenholm


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