Fabian Boll - Das Herz von St. Pauli. Hermann economist Schmidt
HSV fast ausschließlich Hamburger Jungs gespielt haben. Große Tradition und hohe Attraktivität für jeden norddeutschen Fußballer haben aber auch immer der FC St. Pauli und Altona 93 gehabt. Andere Talente sind ihren Weg über Holstein Kiel oder den VfB Lübeck gegangen.
Wie beurteilst du die aktuelle Entwicklung im Fußball in Schleswig-Holstein und Hamburg?
FABIAN BOLL: Die Strukturen im Amateurfußball sind von ständigen Veränderungen in den Spielklassen geprägt. In den Vereinen wird heftig debattiert, ob eine stärkere Zusammenarbeit der Fußballverbände von Schleswig-Holstein und Hamburg sinnvoll wäre. Führende Vereine fordern eine Zusammenlegung der Oberligen. Im Vordergrund der Überlegungen stehen immer mehr auch wirtschaftliche Fragen, Zuschauerzahlen, Entfernungen der Spielstätten usw. Manche Traditionsvereine haben sich aufgelöst und sind in neuen Vereinen oder Vereinsfusionen aufgegangen, wie die Beispiele Itzehoe, Elmshorn oder Henstedt-Ulzburg zeigen. Es blutet mir immer ein bisschen das Herz, wenn ich was über den FC Itzehoe lese, denn mein Verein war der Itzehoer SV, und den gibt es nun nicht mehr. Und ähnlich ist es mit dem 1. SC Norderstedt. Der Verein war in Schleswig-Holstein mal so etwas wie eine Marke. Jetzt ist es Eintracht Norderstedt. Zusammenlegungen fördern sicherlich die Leistungsstärke der einzelnen Klubs. Ob das aber dem Breitensport dient, ist eine andere Frage. Ganz sicher gibt es Verbesserungen in den Jugendabteilungen. Da wird an vielen Standorten vorbildlich gearbeitet und gefördert.
Welche Perspektive hat ein Verein wie der FC Sylt?
FABIAN BOLL: Ja, das ist schon eine Entwicklung, die einen verwundert. Ein Verein von der Insel in der Nordsee, der an wechselnden Orten in Schleswig-Holstein trainiert und spielt. Ich glaube nicht, dass in solchen Konzepten die Zukunft des Fußballs liegt. Da steckt einer sein Geld in einen Verein und bringt ihn nach oben. Beispiele zeigen, dass dann, wenn die Erfolge ausbleiben, der Spaß des Mäzens schnell verflogen sein kann. Und dann kann es rasant bergab gehen.
Kapitel 5
VON BAD BRAMSTEDT ÜBER ITZEHOE NACH ST. ELLINGEN UND ZURÜCK
Die erste Freundschaft zu einem Wesen weiblichen Geschlechts verband Fabian mit einem Mädchen mit dem schönen Namen Maiken. Es war eine Freundschaft, nicht mehr, nix mit Küssen und Herzklopfen und Nachts-nicht-einschlafen-Können vor lauter Verliebtsein. Aber die Freundschaft dauerte von der ersten Grundschulklasse bis zu Fabians Konfirmation. Danach verloren sich die beiden aus den Augen. Einen nennenswerten Grund für das „Sich-aus-den-Augen-Verlieren“ zwischen Maiken und Fabian gab es nicht. Viele Jahre später, bei den Aufstiegsfeiern der Jahre 2007 und 2010 auf dem Spielbudenplatz in St. Pauli, sind sich Maiken und Fabian wieder begegnet. Fabian Boll beschreibt die zufälligen Wiedersehen als angenehm und „witzig“, aber auch als Begegnungen, in denen ihm bewusst wurde, wie schnell die Zeit vergangen sei.
Und so wie es mit Maiken ging, so oder so ähnlich ist das auch mit Franziska gelaufen, die gemeinsam mit Fabian das Gymnasium in Bad Bramstedt besuchte: Es war eine Freundschaft, in der man gedanklich vertraut miteinander war, mehr aber nicht.
Nach Franziska verliebte sich Fabian zum ersten Mal so richtig in seinem Leben, mit allem Drum und Dran. Sie hieß Jenny und kam ebenfalls aus Bad Bramstedt. Jenny war 14 und Fabian war 17 Jahre alt, als sie sich trafen. Jenny und Fabian hatten sich auf dem Bad Bramstedter Stadtfest näher kennengelernt. Wie Fabian war Jenny begeisterte Sportlerin und spielte Handball, also besuchte Fabian die Handballspiele des sportlichen Mädchens mit braunen Haaren, und im Gegenzug sah sich Jenny die Spiele ihres Freundes Fabian an. Jenny stand auf Fußball, und wie Fabian ging sie aufs Gymnasium. Die enge Jugendfreundschaft zwischen Jenny und Fabian hielt zwei Jahre. Das Paar ging gemeinsam ins Kino, verbrachte jede freie Minute zusammen, und dennoch war es irgendwann vorbei mit der Liebe zwischen den beiden. „Jenny hat dann ein Studium in Kiel begonnen“, sagt Fabian zurückblickend und ein wenig nachdenklich, aber ohne jeglichen Hauch von Wehmut, und fügt dann hinzu: „Ich weiß nicht einmal, wo Jenny heute lebt.“ Und dann wirkt er für eine winzige Sekunde doch so, als sei er traurig.
Richtigen Liebeskummer mit Herzschmerz und Trauer erlitt Fabian Boll dann aber, als die intensive Zeit mit Gesche auseinander ging. Gesche war das Mädchen, das nach Jenny und vor Alexandra kam. Sie ging aber zu dem Freund zurück, mit dem sie vor der Zeit mit Fabian zusammen gewesen war. Aus jenen Tagen, als er um die 20 war, berichtet Fabian, dass er sich nach dieser für ihn sehr schwierigen Geschichte über mehrere Wochen ganz zurückgezogen habe. Er habe nichts hören und nichts sehen wollen. Er habe sich von der Außenwelt völlig abgekapselt, um die Trennung zu verarbeiten. Irgendwann sei dann aber auch diese Zeit des Leidens überwunden gewesen. „Wir waren beide Spätzünder in der Liebe“, so beschreibt der ältere Bruder Sebastian das Beziehungsgefüge des Boll-Nachwuchses zum weiblichen Geschlecht. „Dabei war Fabian schon damals der Traum aller Schwiegermütter“, sagt Sebastian und lacht. „Fabian“, so sein Bruder, „machte nicht viel Aufhebens um sich. Er drängte sich nicht in den Vordergrund, er war stets höflich, hilfsbereit und bescheiden.“
Was den Sport betraf, so liefen Faustball und Fußball bis zu Fabians 16. Lebensjahr parallel. Als 14-Jähriger hatte er es bereits bis in die Jugend-Nationalmannschaft der Faustballer geschafft. Als er 16 Jahre alt war, spielten die Bad Bramstedter Faustballer in der 2. Bundesliga. Allein aufgrund seines Alters kam Fabian noch nicht zum Einsatz. Der Fußball aber hatte immer Vorrang in seiner sportlichen Entwicklung. In diesem Sinne wurden dann auch Terminprobleme gelöst: Zeitgleich gab es am Wochenende sowohl einen Termin zur Fußball-Kreismeisterschaft des Kreises Segeberg als auch ein Spiel um die Deutsche Meisterschaft im Faustball. Da die Bramstedter Mannschaft im Fußball und im Faustball personell fast identisch war, entschloss sich das Team mehrheitlich für die Teilnahme an der Kreismeisterschaft.
Fabian Boll spielte seit der C-Jugend in der Kreisauswahl Segeberg und in der Landesauswahl Schleswig-Holstein. Ein Mitspieler der Kreisauswahl jener Zeit war Peter Staczek, der später genau wie Fabian beim 1. SC Norderstedt und für den FC St. Pauli spielte. Im Wettbewerb „Fußball macht Freude“, ausgeschrieben vom DFB und dem schleswig-holsteinischen Fußballverband zwecks Förderung der Balltechnik, schafften es fünf Jugendspieler der Bramstedter Turnerschaft, darunter Fabian Boll, als Landesmeister von Schleswig-Holstein bis in die Endrunde. In der Sportschule Duisburg-Wedau wurden die Holsteiner Jungs Vierter.
Gemeinsam mit drei Mitspielern der Bramstedter Turnerschaft wechselte Fabian Boll nun zum Itzehoer SV in die B-Jugend. Für die Fahrten nach Itzehoe und zurück stellte der Verein eigens einen Fahrer für die Bad Bramstedter Spieler zur Verfügung. Fabian wusste in Itzehoe so zu überzeugen, dass er zeitweilig auch in der A-Jugend der Verbandsliga-Mannschaft (zweithöchste Jugendspielklasse) eingesetzt wurde.
Anders als viele Jugendliche ihrer Generation verzichteten Fabian und seine Mitspieler beim Itzehoer SV auf regelmäßige Kneipen- und Disco-Besuche. Im Vordergrund stand für sie der Fußball. Es war sozusagen Gesetz, niemals vor einem Spiel in eine Kneipe zu gehen. Wenn man ausging, dann nach dem Spiel. Allenfalls „Wolters Gasthof“ im nahen Weddelbrook wurde gelegentlich besucht. Der Gasthof, ein Familienbetrieb in einem Nachbarort von Bad Bramstedt, war und ist eine Art Kultgaststätte für Jugendliche. Im großen Saal finden bis heute regelmäßig Disco-Partys mit Moderatoren von Radio Schleswig-Holstein (RSH) statt. Die Jungs tranken aber auch ohne solche Anlässe in Wolters Gasthof eine Apfelschorle, hin und wieder auch mal ein Bier, aber nie eines zu viel, denn bei ihnen zählte nichts mehr als eine gewissenhafte Vorbereitung auf das nächste Spiel.
Im Grunde hatte sich Fabian nach seiner ersten Saison in der B-Jugend des Itzehoer SV bereits entschlossen, dort zu bleiben, als ein Jugendtrainer des Hamburger SV bei seinen Eltern anrief. Ein Scout des HSV hatte ihn als herausragenden Mittelfeldakteur entdeckt. Nun wurde ihm das Angebot unterbreitet, beim ruhmreichen HSV in der A-Jugend-Sonderklasse zu spielen. Dort spielten alle A-Jugendlichen des jüngeren Jahrgangs, sofern sie nicht in der A-Jugend-Regionalliga (höchste deutsche Spielklasse) eingesetzt wurden. Dafür würde Fabian sogar zum ersten Mal in seiner Karriere Geld bekommen, 50 Mark im Monat. Diese Chance wollte er sich natürlich nicht entgehen lassen, obgleich bereits zu dieser Zeit seine uneingeschränkten Sympathien den Braun-Weißen vom Millerntor galten.
Drei Trainingsanzüge gab es bei den Blau-Weißen in roten