Fabian Boll - Das Herz von St. Pauli. Hermann economist Schmidt

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Jahre im schleswig-holsteinischen Fußball sind rasch aufgezählt: Neben Holstein Kiel, dem Heider SV, Phönix Lübeck, VfB Lübeck, Itzehoer SV und VfR Neumünster dominierten vor allem die großen Hamburger Klubs HSV, FC St. Pauli, Altona 93 und Bergedorf 85 das Geschehen im norddeutschen Oberliga-Fußball.

      In Schleswig-Holstein, dem bevorzugten Ferienland der deutschen Urlauber jener Jahre, regierte nicht zu allen Jahreszeiten König Fußball. Für viele Sportbegeisterte stand und steht der Handball gleichberechtigt in seiner Bedeutung neben dem Fußball. Auch die Fußballer der Bramstedter Turnerschaft von 1861 (Bramstedter TS) führten ein vergleichsweise beschauliches Vereinsleben in der Kleinstadt am Ochsenweg, und in manchen Jahren standen sie sogar im Schatten der leistungsstarken Handballer. In diesem Verein aber, in der Fußball-Jugendabteilung der Bramstedter TS, begann ab Mitte der achtziger Jahre ein Junge mit dem Fußballspielen, der noch von sich und seiner Stadt reden machen würde. Wer dann – Jahre später – in der Saison 2001/02 die Spiele des 1. SC Norderstedt (seit 2003 Eintracht Norderstedt) verfolgte, dem konnte ein hoch aufgeschossener Mittelfeldspieler in der Plambeck-Elf nicht entgehen. Die Nummer 10 des Klubs war die spielbestimmende Figur der Elf aus der südholsteinischen Hamburger Vor- und Schlafstadt Norderstedt, die in den siebziger Jahren aus mehreren Großgemeinden und Dörfern gebildet worden war. Damals eilte der SC Norderstedt von Sieg zu Sieg. Gegner wie der VfL Pinneberg, Altenholz, Husum oder auch die führenden Hamburger Amateurmannschaften in der Oberliga Nord mussten manche Packung im Edmund-Plambeck-Stadion quittieren. Die Nummer 10, „der Lange“ in den Reihen der Norderstedter, beherrschte das gesamte Spielfeld. Er blockte den Spielaufbau der Gegner, erstickte Angriffe der Gästemannschaften im Keim, baute das eigene Spiel auf, schoss aus allen Lagen und Entfernungen und traf mit seinen hammerartigen Granaten immer wieder einmal ins gegnerische Gehäuse.

      Dieser Spieler des 1. SC Norderstedt hieß Fabian Boll.

      Die wenigen Zuschauer, die die Heimspiele des 1. SC Norderstedt besuchten, kannten meist auch den Namen des groß gewachsenen Regisseurs. Viel mehr wusste man über den Zehner allerdings nicht, es sei denn, man war Insider oder Mitglied beim SC Norderstedt. Seine bescheidene Art und sein fairer Auftritt machten ihn jedoch sympathisch. Spektakulär wirkte aber vor allem seine sportliche Leistung, die Art und Weise, in der er das Spiel immer wieder dynamisch nach vorne trieb, wie er seine Mitspieler motivierte und in entscheidenden Situationen die Übersicht behielt. Ganz klar: Der Junge war auch strategisch begabt. Es war nicht zu übersehen, dass ihm als Fußballer noch wunderbare Jahre bevorstanden. Dass dieser Mann einmal einer der besten Fußballspieler in Hamburg sein würde, dass er zum Taktgeber und Herzstück einer Bundesligaelf avancieren könnte und dass er nach und nach die Herzen nicht nur der norddeutschen Fußballfans im Sturm erobern würde, ahnten die meisten Zuschauer dennoch nicht. Fabian Boll bekennt heute lächelnd, dass auch er selbst zu jener Zeit nie einen Gedanken daran verschwendet habe, einmal als Fußballer über die norddeutsche Region hinaus bekannt zu werden. Kein Zweifel, er war ein Denker und Lenker auf dem Rasen, ein Mann, der die eigenen Reihen ordnete und immer hellwach und kampfbereit war. Was aber darüber hinaus noch in diesem jungen Mann steckte, und was er durch nicht nachlassenden Willen aus sich herausholen würde, das sollten die norddeutschen Fans und viele Liebhaber des Fußballs in ganz Deutschland erst im Laufe der kommenden Jahre miterleben dürfen.

      Interview

      Fabian Boll über die Kindheit

      Wir haben über deine norddeutsche Heimat gesprochen. Das, was Heimat einem Menschen im späteren Leben bedeutet, wird in der Kindheit geprägt. Deshalb komme ich noch einmal auf deine Kindheit zurück. Du sagst, dass es eine sehr schöne, fast konfliktfreie Zeit gewesen sei.

      FABIAN BOLL: Mein Bruder Sebastian und ich sind auf der Sonnenseite des Lebens groß geworden. Es gab kaum Konflikte in unserer Umgebung, weder in der Familie noch in der näheren oder weiteren Verwandtschaft und eigentlich auch nicht in Bad Bramstedt. Zumindest haben wir nicht viel davon mitbekommen, wenn etwas war. Meine Eltern haben sich nie gestritten. Soweit ich mich erinnern kann, ist mein Vater ein einziges Mal etwas lauter geworden. Unmittelbar danach hat er sich mit einem riesengroßen Blumenstrauß bei meiner Mutter entschuldigt. So etwas prägt …

      Wie spielte sich der Alltag für dich und deinen Bruder ab?

      FABIAN BOLL: Na, so wie überall. Nichts Besonderes. Nicht jeden Tag ein Highlight. Nachdem ich eingeschult war: Schule, Mittagessen, Hausaufgaben, ein bisschen gemeinsames Fernsehen und bei Sebastian und mir in jeder freien Minute Fußball oder irgendwas anderes mit Bällen. Die üblichen großen Feste im Jahreslauf – Ostern, Weihnachten, Geburtstage, Hochzeiten oder Konfirmationen – wurden gemeinsam in der Familie begangen. Das waren dann die Höhepunkte. Ansonsten spielten Sebastian und ich immer im gleichen, engen Freundeskreis. Wir wohnten alle in einem Umkreis von rund 300 Metern und sahen uns fast jeden Tag.

      Hast du dich gut mit deinem älteren Bruder verstanden oder gab es auch mal Streit?

      FABIAN BOLL: Streit selten. Ich habe in den frühen Jahren der Kindheit natürlich vor allem mit meinem zwei Jahre älteren Bruder Sebastian gespielt. Sein Spitzname „Seele“ kommt nicht von ungefähr. Er ist nämlich eine Seele von Mensch. Auf mich hat er immer Rücksicht genommen und mich, als ich noch klein war, überall mit hingeschleppt. Wir haben oft mit Playmobil und Lego gespielt, vor allem ich. Wir hatten da so einen Miniatur-Western-Saloon. Da fanden dann immer Schießereien statt, und ich war der Sheriff. Es gab Banküberfälle und Prügeleien im Saloon. Ich nahm die Leute dann fest.

      Und wie war das mit dem Fußball?

      FABIAN BOLL: Wir waren fast immer auf dem Bolzplatz, bei Wind und Wetter. Fast genauso häufig spielten wir mit Tipp-Kick ganze Turniere aus. Manchmal ließ „Seele“ mich gewinnen. Ich verlor nicht gern. Da konnten auch schon mal beim „Mensch ärgere dich nicht“ sämtliche Spielfiguren samt Brett vom Tisch fliegen. Im Fernsehen haben wir uns vor allem Sportsendungen angeguckt. Die „Sportschau“, die Fußball-Bundesliga und Europacup-Spiele waren Pflicht. Wir hockten dann alle zusammen vor der Glotze. Mein Bruder mochte die Bayern am liebsten, mein Vater Borussia Mönchengladbach. Ich tendierte zunächst auch zu den Bayern, war dann kurzfristig HSV-Fan, fand aber schon als kleiner Junge immer auch den FC St. Pauli interessant.

      Wann fing deine außerordentliche Leidenschaft für den Fußball an?

      FABIAN BOLL: Ich habe schon als Kleinkind gegen alles getreten, was sich bewegt. Jeder Ball war mein Ball, ob Tennisball, Handball, Faustball, Fußball. Ich war verrückt nach Fußball, von Anfang an. Schon bevor ich später in die Schule kam, sind wir nach dem Frühstück zu einem unserer beiden Bolzplätze gegangen. Wir holten die anderen Jungs ab. Am Bolzplatz war immer was los, wenn es nicht gerade aus Eimern schüttete. Wenn die Mannschaften durch „Piss-Pott“ zusammengestellt wurden, war ich immer einer der ersten, die ausgewählt wurden, obwohl die meisten Jungen älter als ich waren. Ich konnte von Beginn an mit links und rechts schießen, wobei mein rechter Fuß etwas stärker war. Ich habe als Junge nie wirklich selbst systematisch trainiert, sondern eher spielerisch gelernt. Wenn ich mal Langeweile hatte, hab ich mir einen Ball geschnappt und bin auf den Garagenplatz gegangen. Sehr zum Leidwesen des Nachbarn habe ich dann immer wieder gegen das blecherne Tor geschossen. Mit rechts und links. Das war ganz schön laut. Manchmal musste auch der Gartenzaun vom Nachbargrundstück herhalten. Leider hatte dieser Zaun einen Stacheldraht am oberen Ende der Latten, und so hab ich dann mehrmals einen Ball zerschossen.

      War dein Bruder Sebastian damals genauso talentiert wie du?

      FABIAN BOLL: Auch „Seele“ hatte Talent. Allerdings vor allem im Tor. Als erwachsener Spieler hat er dann auch in der Verbandsliga als Torhüter gespielt. Vielleicht war er nicht ganz so ehrgeizig wie ich. Als Kinder spielten wir auf dem Bolzplatz meistens acht gegen acht oder zehn gegen zehn. Die beiden Mannschaften mussten immer die gleiche Anzahl an Spielern haben. Einmal kam ich zu spät zum Spiel. Da ist Sebastian für mich rausgegangen, damit ich mitspielen konnte. So war der Sebastian eben.

      Eine Kindheit in Holstein

      Im Jahr 1979 veröffentlicht die australische Band AC/DC das Album „Highway


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