Der Dynamitkönig Alfred Nobel. Rune Pär Olofsson

Der Dynamitkönig Alfred Nobel - Rune Pär Olofsson


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nicht mehr aus dem Kopf. Wie die große Glocke von St.Katarina bei den ewigen Begräbnissen. War Alfred etwa dort in Petersburg in irgendeinen Rechtsstreit verwickelt? Hatte er vielleicht nichts gesagt, weil er sie nicht beunruhigen wollte? Und murmelten Emil und er deshalb so gedämpft von diesem Prozeß?

      Die Unruhe brachte sie so durcheinander, daß sie weit überhöhte Preise nannte. Ein Glück, daß der Kunde reagiert und gefragt hatte, weshalb plötzlich alles doppelt so teuer sei! Unter tausend beschämten Entschuldigungen gab sie das Geld zurück und dachte zugleich: Noch einmal will ich nicht ein unwissendes Frauenzimmer bleiben, während die Männer brummeln und zischeln, so als gingen ihre Prozesse mich nichts an! Und noch hatte sie es nicht erlebt, daß einer ihrer Angehörigen einen einzigen dieser verdammten Prozesse gewonnen hätte ...

      Sobald sie konnte, eilte sie zu Alfred und Emil hinein. Holte tief Luft und sagte so bestimmt, wie sie vermochte: »Jetzt müßt ihr mir erzählen, worum es bei diesem Prozeß geht!«

      Sie schauten erst sie, dann einander verständnislos an, bis Andriette die Gesprächsfetzen, die sie aufgeschnappt hatte, zusammenfügte. Das Lachen, das hätte befreiend sein müssen, gab ihr das Gefühl, einfältig und dumm zu sein.

      »Ach so, ›der Nitrierungsprozeß‹! Mutter, damit meinen wir einfach die Methode für die Herstellung von Nitroglyzerin. Wir geben Glyzerin zu einer Mischung von Schwefelsäure und Salpetersäure, aber es gibt viele Probleme mit ...«

      Da war Andriette bereits zurück in den Laden geflohen.

      Das Lachen war verstummt, doch dauerte es ein Weilchen, bis die Brüder wieder zum Thema ihres ernsten Gespräches zurückfanden.

      Emil legte seine Hand auf Alfreds Hand. »Selbstverständlich sollst du an Vater schreiben und ihn wissen lassen, was du denkst. Ich bin überzeugt, er wird dir recht geben und seine unüberlegten Worte bedauern. Ich glaube, ich kann ganz gut mit ihm umgehen – und er ist ja nicht dumm, was man auch sonst über ihn sagen mag! Erreichen wir, daß wir hier in Stockholm zusammenarbeiten können, ist er ja auch nicht nur eine Last: Du weißt besser als ich, was für eine konstruktive Phantasie er besitzt. Wenn er nur gute Mitarbeiter hat. Doch ich muß, Gott sei’s geklagt, zugeben, daß ich nicht gerade Zeit hatte, mich mit seinen Projekten zu beschäftigen – und auch nicht immer das Geniale daran erfaßt habe ...

      3

      Wir verabschiedeten uns von Mutter und begaben uns hinaus in das widerwärtige Stockholm; Emil mit seinem Mohrrübensack auf dem Rücken, ich mit meinem bescheidenen Gepäck.

      Vergebens hatte ich mich Mutters Fingern widersetzt, als sie einen Schein in meine Rocktasche knüllte. Sie benötigte ihre paar Öre wahrhaftig selbst! Und von Emil hatte ich erfahren, daß Vaters vielgerühmte sechstausend Reichstaler vorläufig nur eine fromme Hoffnung waren, an einen flüchtigen Vorschlag gebunden von einer Demonstration der Segnungen des mit Nitroglyzerin vermischten Pulvers ...

      Ich kehrte wieder nach Petersburg zurück. Schrieb einen scharfen doch respektvollen Brief an Vater und teilte ihm mit, daß ich mich derartigen Beschuldigungen wie bei meinem letzten Besuch nicht aufs neue auszusetzen gedachte, ›die weder dem einen zu äußern noch dem anderen anzuhören geziemten‹.

      Augenscheinlich war es Vater gut bekommen, in seiner Einsamkeit nachzudenken, und er hatte dabei wohl auch die Hilfe Emils gehabt. Denn er antwortete rasch, er verstehe, daß er sich vergessen habe, und er sehe jetzt auch, daß er andere Richtlinien verfolgt habe als die, für die ich mich entschieden hätte. Er habe also seinerseits nichts dagegen, daß ich für meine Methode der Pulverzubereitung ganz im eigenen Namen ein Patent anmelde.

      Während unsere Briefe die Ostsee kreuzten, hatte General Müller eine Unmenge unruhiger Petersburger auf den Hals bekommen, die sich wegen des lauten Krachens und der ›unvorsichtigen‹ Sprengschüsse beunruhigten. Auch die Arbeiter in Ludwigs kleiner Werkstatt äußerten ihre Bedenken. Daß ich also mein ›Laboratorium‹ auf Ludwigs Domäne verlegen konnte, war ausgeschlossen. Eine Alternative stand mir nicht zu Gebote. Müller würde mich auf die Straße setzen, wenn ich mit meinen Versuchen in der Wohnung fortfuhr.

      Nach reiflicher Überlegung beschloß ich daher, mich dem Gesetz der Not zu beugen und Vaters und Mutters Angebot anzunehmen und zu ihnen nach Heleneborg zu ziehen. Der Fachwerkbau auf dem Hof, von dem Emil geredet hatte, war bereits zugesichert und würde ein geräumiges Laboratorium für mich abgeben. Meine Besorgnisse vor einer Zusammenarbeit mit Vater mußten weichen: Mehr denn je hatte ich Grund, mit meinen Versuchen fortzufahren, da sie nun endlich ein vielversprechendes Resultat gezeigt hatten!

      Ein wenig hatte wohl auch Mutters Eifer zu meinem Entschluß beigetragen. Mir war klar, daß sie keine ruhige Stunde mehr haben würde, bis sie mich wieder unter ihre Fittiche nehmen und achtgeben konnte, daß ich ordentlich aß ... Zudem glaubte ich in meiner Einfalt, daß ich ihr bald ein wenig von ihrer ökonomischen Bürde würde abnehmen können. Daß Vater eine Last für sie sein könnte, durfte ich nicht einmal durchblicken lassen!

      Ohne größeres Bedauern sagte ich vale zu dem jetzt sommerheißen Petersburg, trug meine magere Habe zum Schiff und verließ Rußland. Zu aufreibenden Abschieden war ich nicht gezwungen; meine Verwandten weilten am Finnischen Meerbusen, und die wenigen Freunde, die ich besaß, waren wegen der Saison in alle Winde verstreut. Am schwersten fielen mir Nikolajews Tränen. Er sei jetzt aller Mittel beraubt, weinte er. Ich riet ihm, mit meinem Bruder zu sprechen. Das habe er bereits getan, sagte er, wiewohl mit wenig Erfolg. Ich hatte erwartet, daß er mir wenigstens danken würde, weil ich ihm so lange Zeit Lohn gezahlt hatte ohne die geringste Gegenleistung zu fordern. Doch als ich das andeutete, wurde er unverschämt, und ich mußte ihn bitten, sich zum Teufel zu scheren.

      So lohnen die Menschen Güte! »Pack«, pflegte Vater zu sagen; ich hatte gut Lust, ihm in dem Augenblick beizustimmen.

      Ich hatte gerade den Fuß auf schwedischen Boden setzen können, als sich die Enttäuschungen aufs neue am Horizont türmten. Das in Aussicht gestellte Laboratoriumsgebäude sollte nicht vor Neujahr 1864 frei werden. Ich mußte mich folglich mit Vaters erbärmlichem Schuppen zufriedengeben, in dem man nichts fabrizieren konnte. Außerdem ergab sich, daß Emil im Frühjahrssemester Student in Uppsala werden sollte! Dazu konnte man ihn gewiß nur beglückwünschen, doch schrumpften unsere Möglichkeiten zur gemeinsamen Arbeit auf die Sommermonate zusammen; von den Wochenenden blieb uns nichts – ganz zu schweigen von den Nächten ...

      Als ich dann mein Patentgesuch beim Commerce – Collegium der Königlichen Majestät und des Reiches einzureichen gedachte, schwand mir merkwürdigerweise der Mut. Ich meldete nur ein Patent an ›betreffend ein von mir erfundenes Verfahren der Herstellung von Pulver, sowohl für Sprengungen als auch für Schießzwecke‹. Kein Wort erwähnte ich von meiner Methode, Pulver und Nitroglyzerin zur Explosion zu bringen, indem ich beides getrennt plazierte und mittels eines ›Zünders‹ zur Detonation brachte. Ich beschrieb lediglich die Mischung von Pulver und Nitroglyzerin, bei der das Pulver das Nitroglyzerin in seine Poren absorbierte und somit das ansonsten detonationsunwillige Nitroglyzerin zusammen mit dem Pulver zur Explosion gebracht werden konnte. – Kurz gesagt, die Methode, von der Vater behauptete, ich hätte sie ihm gestohlen!

      Vater versicherte, seine Mischung habe eine bis zu zwanzigmal stärkere Sprengwirkung als normales Schwarzpulver. Das entsprach allerdings nicht den Tatsachen, ich aber begnügte mich in der Patentbeschreibung zu erklären, daß das Pulver ›bedeutend‹ an Sprengkraft gewänne – ohne näher darauf einzugehen. Doch war der springende Punkt bei meinem Patent, daß ›die Verbrennungsgeschwindigkeit ein wenig geringer als bei gewöhnlichem Pulver‹ war. Natürlich hätte dastehen müssen, das Nitroglyzerin (das ich als eines von vielen Beispielen aufführte) könne durch meine Methode jetzt als Sprengmittel Verwendung finden, obwohl es im übrigen mit allzu großer Kraft explodierte, um für konventionelle Waffen einsetzbar zu sein.

      Ich sollte bald die bittere Erfahrung machen, was es hieß, daß ›die Verbrennungsgeschwindigkeit ein wenig geringer war als bei gewöhnlichem Pulver‹! Doch darauf komme ich noch zurück. Ich erhielt mein Patent kurz vor meinem dreißigsten Geburtstag, und es erweckte großes Aufsehen in militärischen Kreisen. Wenn irgendein verständiger Artillerist oder Feuerwerker


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