Der Dynamitkönig Alfred Nobel. Rune Pär Olofsson
erforschen.
›Nobel & Söhne‹ machte Bankrott, und Immanuel Nobel kehrte nach Schweden zurück. Zumindest Immanuel teilte zu dem Zeitpunkt Pelouzes Ansicht, das Nitroglyzerin sei in der Praxis nicht anwendbar.
Ludwig Nobel hatte ein kleines Kapital zusammengespart. Mit Hilfe seiner Brüder und der von Kreditgebern glückte es ihm, auf der Wyborgseite der Newa eine kleine Maschinenfabrik einzurichten. Ganz in der Nähe hatten Robert und Alfred eine Wohnung bezogen, solange Robert noch in Petersburg verblieben war. In der Küche hatte Alfred sein Laboratorium. Jede freie Stunde verbrachte er dort, nachdem Ludwigs Firma sich erst etabliert hatte. Und jetzt, viele Jahre später, womit befaßte er sich wohl – mit dem Nitroglyzerin. Tag und Nacht.
Daß Alfred jetzt wußte, was er da eigentlich tat, wäre zuviel gesagt. Doch hatte er zumindest eine Reihe einfacherer und billigerer Methoden zur Herstellung des Nitroglyzerins entwickelt. Sobreros Methode war entsetzlich teuer und ergab nur eine kleine Menge fertiges Nitroglyzerin. Die ›Frostmischung‹, die erforderlich war, damit das Nitroglyzerin nicht von der freien Salpetersäure angegriffen wurde, war ebenfalls furchtbar schwer zu fertigen und dann in diesem Zustand zu halten. Er hätte die halbe Newa in einer Eiskammer haben müssen, um sich das ganze Jahr über selbst versorgen zu können! Also versuchte Alfred einen anderen Weg: Er sättigte die Salpetersäure sofort mit Glyzerin; so konnte die Temperatur auf 20 Grad steigen, ohne sich schädlich auf das Produkt auszuwirken. Ließ er jedoch der gesättigten Mischung dann kontinuierlich Schwefelsäure zuführen, wie Sobrero es getan hatte, stieg die Temperatur dennoch so rasch, daß sie bald bei achtzig Grad angelangt war – und dort irgendwo zerfiel das Nitroglyzerin. Also zog er es vor, kleine Mengen nach und nach zuzusetzen und die Mischung dann stets aufs neue zu kühlen. Zugießen, kühlen, zugießen, kühlen – bis der ganze Prozeß beendet war.
Bestenfalls erhielt er bei dieser ›kalten‹ Methode etwa ein Skålpundb Nitroglyzerin aus cirka drei Skålpund Schwefelsäure und anderthalb Skålpund Salpetersäure; vom Glyzerin wurden etwa 60 Ortc verbraucht. Der Prozeß war zeitraubend – und wie er auch rechnete, es blieb ein weiter Weg vom Laboratorium zur Fabrikation! Doch gewiß konnte man Maschinen konstruieren ...
Wenn die Zeit drängte und er keine Rücksicht auf die partielle Zersetzung des Nitroglyzerins zu nehmen gedachte, setzte er zuweilen die ganze Salpetersäure und alles Glyzerin auf einmal unter schnellem Umrühren zu; dann goß er das Ganze sofort in kaltes Wasser. So ging natürlich ein Teil verloren – jedoch war es nicht sehr viel. Für normale Proben verwendete er diese schnellere, ›warme‹ Methode, auch wenn sie kostspieliger war.
Doch – immer blieb es ein Problem, das Nitroglyzerin unter kontrollierten Bedingungen zur Detonation zu bringen ... Bereits zu einem früheren Zeitpunkt hatte er Schwarzpulver mit Nitroglyzerin vermischt. Das hatte keine nennenswerte Wirkung gehabt. Das poröse Schwarzpulver sog das Nitroglyzerin auf, und nach ein paar Stunden wurde es inaktiver und brannte langsamer, statt umgekehrt.
7
Hier stand er nun, er Alfred Nobel, am Ufer der Newa. Mit einer gediegenen Ausbildung hinter sich. Belesen. Weitgereist. Bereit zu großen Aufgaben – Immanuel hatte es vorausschauend so geregelt, daß alle seine Söhne die Firma in – und auswendig kannten. Leider war Alfred nicht so vorausschauend gewesen, ein eigenes Kapital zu besitzen, als die Katastrophe eintraf. Und jetzt war auch das wenige, das er hatte zusammenkratzen können, aufgebraucht – auf der Jagd nach einem Rätsel, das sich nicht lösen lassen wollte.
Er mußte wohl in den sauren Apfel beißen und Ludwig um Arbeit bitten. Bei der Umrüstung der Vorderlader zu Hinterladern. Auch eine Arbeit in Friedenszeiten!
Während er so dastand und in die Newa hinabstarrte, sah er eines von Vaters Aquarellen vor sich. Ein ganzer Wald von Fontänen schoß aus dem Wasser. Die Unterwasserminen waren also vom Land aus gezündet worden – nicht, weil ein Schiff sie rammte! Robert hatte die 600 Minen ausgesetzt, die den Finnischen Meerbusen im Krimkrieg abriegelten; er hatte gesagt, die Pulverladung sei so gut gegen Nässe geschützt, daß eine Mine mehrere Jahre im Wasser liegen könne, ohne ihre Wirkung zu verlieren ...
Er machte auf dem Absatz kehrt und stürzte nach Hause. Der Gehrock schlug ihm um die Waden und bremste seinen raschen Lauf, also streifte er ihn ab, während er noch lief.
Beinahe hätte er in der Tür Robert umgerannt – ausgerechnet ihn.
»Du – hier?!«
»Ja, sicher. Heute wollten wir uns doch bei Ludwig treffen!«
Ach so, war das heute, daß ... Dann würde Ludwig also morgen Petersburg verlassen und in die Sommerfrische fahren.
»Komm einen Augenblick mit rauf«, bat Alfred. »Mir ist eine Idee gekommen!«
»Eine Idee – wozu?«
»Zum Nitroglyzerin.«
Robert hob resigniert die Arme und seufzte. Seine Fülligkeit begann ihn bereits in einen vierschrötigen Kerl von Vaters Maßen zu verwandeln.
»Alfred, ich bitte dich: Hör mit diesem verdammten Sprengstoff auf! Du hast so große Talente, daß es eine Sünde ist, sie Jahr für Jahr an dieses totgeborene Produkt zu verschwenden.«
»Wenn ich recht habe, können wir heute vielleicht die Geburt eines neuen Produkts erleben! – Doch zuerst muß ich dich etwas fragen: Hattest du einen Teddybären, der in Knaperstad verbrannt ist?«
Robert runzelte die Stirn und blickte seinen Bruder scharf an: »Sicher hatte ich einen! Doch – wie kannst du das wissen?«
»Da ich frage, weiß ich es offenbar nicht, oder?«
»Nein, aber ...« Robert strich sich verlegen den Kinnbart. »Das Merkwürdige ist, daß ich diesen Bären niemandem gegenüber erwähnt habe, obwohl ich sein Schicksal tief betrauerte. Ich hatte mir nämlich eingebildet, der Teddy sei unartig gewesen, und zur Strafe hatte ich ihn gerade in jener Nacht im Schrank eingeschlossen. Hätte ich das nicht getan, wäre er vermutlich mit aus dem Haus gekommen. Aber ...?«
»Ja, ich verstehe, daß du meine Frage merkwürdig findest! Noch merkwürdiger ist, daß ich heute nacht von diesem Bären geträumt habe und im Traum versuchte, in das brennende Haus zu laufen, um ihn zu retten.«
Robert schüttelte den Kopf. »Du warst ja noch nicht einmal geboren! Alfred, du siehst krank aus – und ungepflegt. Du schuftest dich zu Tode mit deinen Versuchen. Denk, wenn Mutter ...«
»Sei jetzt still, und laß mich dir meine Idee erklären!«
Alfred eilte vor dem Bruder die Treppe hinauf. Robert folgte ihm langsam. Schon hatte Alfred Papier und Bleistift zur Hand und skizzierte, wie er sich die Konstruktion gedacht hatte: »Das hier ist ein Glasröhrchen mit ein wenig Nitroglyzerin. Das stöpsle ich zu – so. Das hier soll ein anderes Rohr darstellen, sagen wir aus Zinn; das fülle ich mit Pulver, und in das Pulver presse ich das Glasröhrchen mit dem Sprengstoff hinein. Dann verkorke ich das äußere Rohr an beiden Enden, doch zuerst führe ich eine Zündschnur in das Pulver hinein. Kannst du folgen?«
Während Alfred seine Idee demonstrierte, hatte Robert sich über den Zeichentisch gebeugt: »Mein Gott, Alfred, wie einfach – das kann funktionieren ...! Ich meine, ich hatte einmal einen ähnlichen Gedanken, doch habe ich ihn nie weiterverfolgt.«
Alfred war schon in der Abstellecke und wühlte darin herum. Ein Weilchen später fand er, was er brauchte. Die Brüder bauten die Bombe gemeinsam fertig. Das dafür notwendige Nitroglyzerin hatte Alfred bereits in eine Flasche gefüllt. Er goß einen kleinen Schluck in ein Glasröhrchen.
»Vorsichtig jetzt«, mahnte Robert, »laß es nicht fallen!«
»Wenn ich nicht vorsichtig gewesen wäre, hättest du seit langem einen Bruder weniger.«
»Jaja, du mußt das Pulver aber fester stopfen – es darf kein Zwischenraum bleiben ...«
»Wir brauchen eine längere Zündschnur«, entschied Alfred.
»Wir müssen uns bei Ludwig drüben umsehen, wahrscheinlich