Der Dynamitkönig Alfred Nobel. Rune Pär Olofsson
seinem Gebiet weit bringen! Gediegene Kenntnisse, die Bereitschaft zu intensiver Arbeit und ein gewinnendes Wesen: Bessere Voraussetzungen kann ein junger Mann wohl nicht mitbringen!
Andriette war glücklich, zwei ihrer Söhne bei sich zu haben, und benutzte sie als Vorwand, um im Laden aufzuhören; einer mußte ja diesen drei unpraktischen und vergeßlichen Männern den Haushalt führen, die mitunter Tag und Nacht arbeiteten, ohne sich eine Essenspause zu gönnen – wenn sie sich nicht darum kümmerte. Ein wenig hatten auch die Söhne sie verleitet, zu Hause zu bleiben und ihre Kräfte zu schonen – noch besaßen sie ja etwas von den 6000 Reichstalern, die sie für Carlsborg bekommen hatten ...
Alfred hatte während des Frühjahrs einen Brief nach dem anderen geschrieben. An das Zinkbergwerk in Åmmeberg. An den Feldspatbruch der Gebrüder Winkler auf den Inseln Stora Rösholmarna in den Stockholmer Schären. An den Bauunternehmer des Südtunnels – er hatte den Auftrag, die Passage für die ›Verbindungsbahn‹ zwischen dem Südbahnhof und dem Hauptbahnhof zu sprengen. An die Brüder in Rußland und Finnland: Sie sollten erfahren, wie weit man in Heleneborg gekommen war – und außerdem gab es für sie ja potentielle Märkte zu bearbeiten.
Hinsichtlich der Verbindungen in östlicher Richtung hatte Alfred noch manche Schwierigkeiten; ihm fiel es schwer, sich bezüglich der Datierung den verschiedenen ›Schreibstilen‹ anzupassen. Stets aufs neue vergaß er, daß die russische Zeit der schwedischen vierzehn Tage voraus war: Es war so verwirrend, einen Brief am 1. März zu datieren – und dann die Antwort vom 22. Februar zu erhalten ...
Alfreds zahlreiche Briefe an Steiger und Sprengmeister zogen viele Reisen und Demonstrationen nach sich. Sowohl Disponent Schwartzmann in Åmmeberg als auch die Gebrüder Winkler waren hinsichtlich des Sprengöls des Lobes voll und versprachen Bestellungen. Der Bauunternehmer des Südtunnels lobte es zwar ebenfalls und schrieb ein paar schöne Zeugnisse über dessen Effektivität – doch Bestellungen stellte er nicht in Aussicht. Noch nicht ...
»Dieser Maulwurf glaubt, ich werde ihm seinen Tunnel völlig gratis sprengen!« brummte Alfred. »Wie viele Demonstrationen haben wir nicht schon in seinem elenden Bohrloch vorgenommen?«
Doch eines war klar: Diese Demonstrationen fanden an einem wirklich zentralen Ort statt und konnten von einer großen Menschenmenge gesehen werden. Das war gute Reklame. Noch besser war das Zeugnis der Gebrüder Winkler: Sie versicherten, das Sprengöl breche pro Salve sechs- bis achtmal soviel Sprengmasse heraus wie das Schwarzpulver.
Alfred fuhr mit seinen Kanistern unverdrossen durch die Gegend, füllte Sprengöl in Bohrlöcher, erhielt viel Lob und große Versprechungen. Doch was half das! Wenn die bescheidene Fabrikation in Heleneborg kaum mehr hergab, als bei den Proben und Demonstrationen verbraucht wurde.
Der Nitrierungsprozeß war nicht effektiv genug, er mußte umkonstruiert und ausgebaut werden. Emil löste die technischen Probleme – doch jetzt fehlte Geld: Die Kasse war gähnend leer ...
Alfred entschloß sich, noch einmal mit der Bettelschale nach Paris zu reisen. Doch dieses Mal hegte er größere Hoffnungen als damals, als er versucht hatte, ›Nobel & Söhne‹ zu retten. Ungeduldig stapfte er vor dem Kontor des Kommerzkollegiums umher und wartete darauf, endlich den Anschlag seines neuen Patents an der Tafel zu erblicken. Er wußte, daß es bereits am 10. Juni bewilligt worden war – warum, zum Teufel, mußte dann mehr als ein Monat vergehen, ehe der Beschluß rechtskräftig wurde!
Na also, schließlich und endlich – da war es! Er riß die beglaubigte Abschrift an sich und rannte beinahe zum Bahnhof, um den Zug nach Paris zu erreichen.
Von seinen früheren Kontakten her wußte er, daß ein Bankhaus, das Crédit Mobilier, sich auf Kredite eben für große Projekte wie Eisenbahnen, Kanäle und Brücken spezialisiert hatte.
Im Zug übersetzte er das Patent ins Französische. Die beglaubigte Reinschrift ließ er in der schwedischen Gesandtschaft anfertigen. Dann suchte er um eine Unterredung bei den Bankiers der Crédit Mobilier nach. Überreichte seine Zeugnisse. Das von Åmmeberg brauchte er nicht zu übersetzen. Glücklicherweise gehörten die Gruben dort einer belgischen Gesellschaft, und die enthusiastischen Lobworte über das Sprengöl waren in einem zierlichen, blumigen Französisch verfaßt.
Die Herren der Crédit Mobilier lasen das Schreiben und dachten nach, nickten und sprachen ihre Zufriedenheit aus. »Sind Sie selbst Franzose, Monsieur Nobel? Sie sprechen unsere Sprache, als wäre sie ihre Muttersprache.«
»Nein, aber ich hatte die Freude und die Ehre, eine längere Zeit hier in Paris weilen zu dürfen – als Schüler von Professor Pelouze. Sonst bin ich in St. Petersburg aufgewachsen. Als ›Sohn‹ der ›Fonderies et Atéliers Mécaniques, Nobel et Fils‹ – bekanntlich eine angesehene Firma, bis der russische Markt nach dem Krimkrieg kollabierte ...«
Er wußte nicht, ob es vermessen war, die Bankiers an diese Tatsache zu erinnern. Aber – sie würden sich höchstwahrscheinlich nach seinem Hintergrund erkundigen, und da war es wohl das beste, wenn er selbst schon darauf eingegangen war. Offensichtlich paßten Schloß und Schlüssel hier zusammen, denn nachdem sie noch ein paarmal bestätigend genickt und Blicke ausgetauscht hatten, kam die Frage: »Wieviel benötigen Sie?«
Alfred überreichte ein Kalkül. Erweiterung der Fabrik, Rohstoffe, Distribution, Patentgesuche in einer Anzahl Länder: Die Ziffer erreichte die 100 000 Franc.
»Hmm ... Wie lange bleiben Sie in Paris?«
»Am liebsten würde ich bei nächster Gelegenheit heimfahren. Der schwedische Markt wartet ungeduldig auf unsere Produkte. Ich muß meine Patentgesuche so schnell wie möglich auf den Weg bringen. Ich ...«
»Monsieur Nobel, dürfen wir Ihnen vorschlagen, die Patent-Angelegenheit mit dem Anwaltsbüro Armengaud hier in Paris zu besprechen. Wir haben die besten Kontakte zu Armengaud, und sie haben einen guten Ruf als Patentanwälte. Wir glauben, sie können ihnen helfen – überbringen Sie Grüße von uns. In der Zwischenzeit, gestatten Sie uns, daß wir Ihr Dossier ein wenig näher studieren ... Können Sie zurück sein, sagen wir, um vier Uhr heute nachmittag?«
Das, meinte Alfred, ließe sich gut einrichten. Er hatte den Bescheid nicht so schnell erwartet! Vielleicht hatte seine Eile der Sache mehr geschadet, statt sie zu beschleunigen ...? Nun, das würde er um vier Uhr sehen!
Er suchte die Straße ›Der fischfangenden Katze‹ auf, um nach dem kleine Café zu sehen, an das er sich aus seinen romantischen und tragischen Tagen als verliebter Siebzehnjähriger erinnerte.
Das Café lag noch immer an seinem Platz!
6
Als er dann bei Kaffee und einem Croissant saß, überlegte er, was er mit den Patentanwälten machen sollte. Nein! Er wollte nicht anfangen, all diese Formalitätskrämer zu mästen, ehe er einen einzigen Reichstaler an seinem Sprengöl verdient hatte. So lange er selbst konnte und die Postverbindung funktionierte, gedachte er seine Patentgesuche eigenhändig aufzusetzen. Vermutlich schrieb er ein ebenso gutes Französisch wie die Herren Armengaud. Und entschieden besser englisch und deutsch.
Es war mehr als dreizehn Jahre her, daß er mit Marie hier im Café gesessen hatte.
Mit dem ganzen Hunger und Appetit eines Siebzehnjährigen war er hier in dieser kulturellen Hauptstadt Europas angekommen. Doch war die Stadt nicht nur ihrer Kultur wegen bekannt! Seine Mutter hatte ihn vor dem ›Sündenpfuhl‹ Paris gewarnt, und das in so verlockenden Tönen, daß er der Versuchung nicht widerstehen konnte, die Sünde zu probieren. Die ersten ungeschickten geschlechtlichen Kontakte zu Hause in Petersburg hatten ihn nicht gerade mit himmlischem Glück erfüllt. Sein Geruchsorgan war empfindlicher als seine übrigen Sinne – und es fiel ihm schwer, die Abneigung der Russinnen gegen Seife zu verstehen! Er redete lieber mit ihnen, als daß er mit ihnen schlief. Die gebildeten Russinnen seiner Umgebung waren in erster Linie Freundinnen. Klug und sich ihres menschlichen Wertes bewußt, sobald sie sich vergewissert hatten, daß er sie nicht als Gegenstand seiner Lust betrachtete: Vielleicht hatte er mit russischen Frauen sogar mehr fruchtbare Gespräche geführt als mit russischen Männern ... Soweit sie in ihrer übertriebenen Emanzipation nicht gänzlich übergeschnappt