Rien ne va plus. Katalin Sturm

Rien ne va plus - Katalin Sturm


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der Bar, die alle noch leer waren. Sascha hatte ich beim Hereinkommen nicht an einem der Spieltische erblicken können. Wahrscheinlich war er gerade in der Pause.

      Über den Sesseln und der Couch, alles in Grün, Türkis und Braun gehalten, hing ein Screen, auf dem die Ergebnisse der einzelnen Tische angezeigt wurden. Permanenzanzeige nennt man das, hatte Sascha mir gesagt. Die Decken waren mit verspiegelten Platten versehen, in denen kleine Halogenstrahler eingelassen sind. An den Wänden befanden sich tiefrote, in sich gemusterten Seidenstoffe. Links von der Bar schien der Raucherraum zu sein; auch hier standen ein Roulette- und ein Pokertisch. Hinter dem Raum, abgetrennt durch große Fenster, befand sich das Restaurant.

      Ich bestellte mir einen Sekt. Niemand beachtete mich. Niemand sprach mich an oder setzte sich zu mir. Alle schienen nur ihr Spiel im Kopf zu haben. Lediglich das Personal streifte mich hin und wieder mit Blicken, und ich fragte mich, was sie dachten.

      Da öffnete sich die Tür gegenüber der Treppe, die zu den Toiletten hinunterführte und eine Gruppe schwarz gekleideter Croupiers betrat den Gang. Sascha war auch dabei, doch er sah mich nicht, weil er gerade in eine Unterhaltung mit dem neben ihm gehenden Kollegen vertieft war. Mein Herz schlug schneller. Der Sekt stieg mir langsam zu Kopf. Der Kontakt meiner Hand mit dem kühlen polierten Stein der Bar beruhigte mich etwas.

      Da ich nicht wusste, ob ich das Glas Sekt mit in den Spielsaal nehmen durfte, trank ich es aus, bevor ich mich erhob und so locker wie möglich den Raum betrat. Sascha saß am Kopfende des Französischen Roulettes. Ich setzte mich auf den Stuhl neben ihn, von dem gerade eine Frau aufgestanden war. Blond mit schwarzem langem Kleid, das ihre Tätowierungen auf der Schulter nicht verbarg. Das Gesicht künstlich gestrafft, die Wangenknochen vermutlich höhergelegt und die Lippen mit Botox aufgespritzt. Das Alter unmöglich zu schätzen, aber die Visage grauenvoll frankensteinmäßig.

      Sascha gegenüber saß der Tischchef auf einem erhöhten Sessel, vor sich einen kleinen Bildschirm, auf den er bei Unstimmigkeiten die Kameraaufzeichnung herholen konnte. Ich wunderte mich, wie viele Jetons manche Leute setzten. Vor allem ein kleiner Japaner hörte gar nicht wieder auf, seine Stücke auf Zahlen und mehrfache Chancen zu setzen. Konnte er sich das alles merken? Ich fing klein an. Der Permanenzanzeige entnahm ich, dass vorher fünf rote Zahlen gekommen waren. Deshalb setzte ich auf Schwarz. Die Kugel rollte, der Croupier am Kessel sagte sein »Nichts geht mehr«, trotzdem platzierten noch einige Spieler ihre Jetons und gaben dem Croupier in ihrer Nähe Aufträge. Ich hatte gedacht, dass man danach wirklich gar nicht mehr setzen durfte. Aber anscheinend wurde das hier nicht so ernst genommen. Schließlich blieb die Kugel liegen. Im Fach mit der 21, und die war rot. Auf der Anzeige sah ich, dass dieselbe Zahl schon wenige Spiele vorher gekommen war. Erstaunlich. Mit Wahrscheinlichkeitsrechnung kam man hier wohl nicht weit. Als Sascha mit seinem Rechen, den man hier »Rateau« nannte, die Chips zusammenkehrte, blickte er mich kurz an und lächelte mit den Augen. Er hatte mich also wahrgenommen.

      Den nächsten Jeton setzte ich wieder auf Schwarz. Irgendwann musste doch die Farbe wechseln! Aber wieder kam Rot. So langsam verlor ich die Lust. Vielleicht sollte ich mal auf eine andere einfache Chance setzen? Entweder »Pair« (Gerade) oder »Impair« (Ungerade), alternativ »Manque« – das waren die Zahlen von 1–18 oder »Passe« – die Zahlen von 19–36.

      Am Fenster neben dem Tisch saß ein weißhaariger Herr, der in ein kleines Buch schrieb. Neben ihm stand ein Glas mit Bier. Im Fensterbrett die Statue einer schlanken Frauengestalt, die Arme vom Körper weggestreckt. Wie eine Tänzerin. Die Fensterscheiben waren mit undurchsichtigen weißen Folien abgeklebt. Über dem Ausgang hing eine Uhr. Immerhin musste man hier nicht die Zeit vergessen.

      Die Zeit verging wie im Flug, schon verschwand Sascha in seine nächste Pause. Die Croupiers, die man auch Dealer nannte, wechselten jede Stunde und hatten dann fünfzehn Minuten Pause.

      Während er weg war, ging ich noch einmal zur Toilette. Als ich mir die Hände wusch, bemerkte ich, dass ich meinen Ring nicht mehr trug. Siedend heiß fiel mir ein, dass ich ihn vor dem letzten Händewaschen abgezogen und neben das Waschbecken gelegt hatte. Dort lag er nun nicht mehr. Das hieß, entweder hatte ihn eine der wenigen Damen eingesteckt oder eine ehrliche Finderin hatte ihn abgegeben.

      Als ich oben am Einlass danach fragte, schüttelte die Frau hinter dem Screen bedauernd den Kopf. Sie wollte aber die Toilettenfrau anrufen. Ich solle beim Verlassen der Spielbank noch einmal nachfragen. Aber ich hatte wenig Hoffnung. Dabei war der Ring ein Geschenk meiner Großmutter zu meiner Konfirmation gewesen. Ich trage ihn nur selten; für jeden Tag ist er mir zu schade, und Anlässe dafür gibt es nicht allzu oft.

       In gedrückter Stimmung stellte ich mich erneut neben Saschas Tisch. Eigentlich hatte ich gar keine Lust mehr zu spielen. Doch meine Clutch war noch voll mit Jetons. Ob ich die auch mit nach Hause nehmen konnte? Für das nächste Mal?

      Nein, ich würde nicht mit der Tasche voll Jetons nach Hause gehen! Ich würde jetzt erst richtig loslegen. Vorher würde ich mir aber noch einen Sekt an der Bar genehmigen. Vielleicht machte mich das ein wenig lockerer.

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       Der Anfang vom Ende

      Als ich sie sah, blieb mir schier das Herz stehen. Fast hätte ich einen Gewinn falsch ausgezahlt. Sie hatte mich nicht vorgewarnt. War einfach gekommen. Als ich von unten aus der Kantine kam und beim Vorbeigehen einen Blick zur Bar warf, saß sie dort. Mit übergeschlagenen Beinen und in einem atemberaubenden Paillettenkleid. Eine wahre Lady. Und sie strahlte das gewisse Etwas aus, das ich schon von Anfang an bei ihr wahrgenommen hatte. Ich kann nicht erklären, was es war, aber diese Aura haben nur wenige Frauen. Dabei spielt das Alter überhaupt keine Rolle. Obwohl ich wusste, dass sie älter war – ich hatte sie noch nicht gefragt, wie viele Jahre, also würde es wohl ein Geheimnis bleiben – fühlte ich mich zu ihr hingezogen. Nicht nur körperlich – wie ich sofort, als ich sie entdeckte, an der Reaktion meines besten Stücks merkte – sondern auch geistig. Ich wollte alles über sie wissen, sie kennenlernen, ohne sagen zu können, wozu das Ganze gut sein sollte.

      Dann kam sie lächelnd auf meinen Tisch zu. Allein ihr Gang war hollywoodreif. Neben mir verließ gerade Barbie, ein Stammgast, ihren Platz, und Claudia setzte sich. Ich musste so tun, als kenne ich sie nicht, denn wenn etwas ganz argwöhnisch vom Saalchef beobachtet wird, so sind es vermeintliche oder tatsächliche Kontakte zwischen uns Croupiers und den Gästen. Nicht umsonst sind auch unsere Jackentaschen zugenäht. Man will verhindern, dass uns von Gästen als Belohnung für eventuelle Absprachen und Bevorzugungen Geld zugesteckt wird.

      Natürlich kennen wir die Stammgäste mittlerweile, sogar mit Namen, und ab und zu ergibt sich auch ein kurzes Gespräch. Am Tisch jedoch darf man keine Namen nennen, die Gäste werden nur mit »die Dame« oder »der Herr« angesprochen, manchmal auch mit »Madame«. Wir Croupiers untereinander nennen uns ebenfalls nicht beim Namen, sondern sagen »Herr Kollege« oder »Frau Kollegin«. Außerdem ist es ein Unterschied, ob man sich mit Männern und alten Omas unterhält, oder mit gutaussehenden Frauen, die noch dazu das erste Mal da sind.

      Doch dieses so tun als ob gab dem Ganzen noch zusätzlich den gewissen Kick. Mir war heiß; die Gegenwart von Claudia, ihr Parfüm und der Oberschenkel, mit dem sie immer wieder – ob absichtlich oder nicht – mein Bein berührte, stellten mich und meine Konzentration auf eine harte Probe.

      Sie hatte anfangs gar kein Glück, obwohl sie vorsichtig setzte. Immer nur auf einfache Chancen. Dann ging sie kurz weg, wahrscheinlich an die Bar, und als sie wiederkam, versuchte sie es mit dem ersten Dutzend. Es kam die 2. Auch bei den folgenden Einsätzen blieb sie bei den niedrigen Chancen, einmal spielte sie erfolgreich eine Kolonne. Insgesamt machte sie ein intelligentes Spiel, und ich war gespannt, ob sie es wagen würde, wie bei der Veranstaltung ihrer Bank, auch auf eine Zahl zu setzen.

      Ich musste nicht lange warten, da legte sie einen Zweier auf die 14. Ich wusste sofort, warum gerade diese Zahl. Am 14. November waren wir uns zum ersten Mal persönlich begegnet. Gespannt


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