Frau Dirne. Artur Hermann Landsberger
begann. Auch Nelly lächelte; aber teils aus gêne, teils um als freundlich zu gelten und zu gefallen. Mutter und Tochter übersät mit Ketten, Münzen, Troddeln und Schleifen. Links von Nelly die hohe Gestalt Wolfgang Erdts. Ein feiner Kopf mit hoher Stirn, starker Nase, gewölbten Lippen und ein Paar Augen, mit denen man nicht recht etwas anzufangen wusste. Frau Mathilde schienen sie tief und verträumt; den Kollegen, die seinen Aufstieg fürchteten, bös und verbittert, den Frauen, die er unbeachtet liess, herausfordernd und brutal, Nelly, die an ihn glaubte, durchgeistigt und genial, dem Unbeteiligten nichtssagend und dunkelbraun.
„Grade sprachen wir von Ihnen,“ sagte Baronin Waltner.
„Schlechtes natürlich,“ erwiderte Nelly.
„Das wird in unserem Hause niemand wagen,“ beteuerte Frau Ina. „Wir unterhielten uns von dem eigenen Geschmack Ihrer Toiletten“ — dabei nahm sie eine lila Kette, die Nelly um den Hals trug und die ihr bis auf die Knie herabhing, auf und sagte: „Wie apart. Diese Münze scheint die Imitation einer Reliquienkapsel aus dem fünfzehnten Jahrhundert, nur passt sie nicht recht an diese undefinierbare Kette.“
„Wenn Sie sie Ihrer Sammlung einverleiben wollen,“ sagte Nelly, die den Spott nicht spürte.
„Was denkst du!“ widersprach v. Erdt, Frau Mertens stellt sich doch keine Imitationen in die Schränke!“
„Mir wäre das gleich,“ erwiderte Nelly, „ich würde nur an hübschen Sachen Gefallen haben.“
„Jeder lebt seiner Kunst!“ meinte Baronin von Waltner. „Sie dem Gesang, der Professor seinem Horaz, meine Tochter dem Sammeln alten Schmucks...“
„... und der Graf den Pferden,“ ergänzte Frau Mira, die das Erscheinen Erdt-Brückners dazu benutzt hatte, ihren Platz mit einem neben dem Grafen zu vertauschen.
„Richtig!“ nutzte Frau Ina die Gelegenheit und wandte sich an den Grafen, der gelangweilt zwischen den beiden Frauen sass und ein eisgekühltes Glas 1911 er Menkow in den schmalen Händen hielt — „mein Mann hat morgen früh Dienst; wenn Sie also seinen Schimmel reiten wollen — bewegt werden muss er — ihm erweisen Sie damit einen Gefallen.“
Der Graf vermied es, den Rittmeister anzusehen, dessen Gesicht er von ähnlichen Fällen her kannte. Dagegen dachte Frau Ina, als sie den verdutzt verlegenen Ausdruck ihres Mannes sah: wie peinlich den Anderen gegenüber, er sollte sich an derartige Fälle doch nachgrade gewöhnt haben.
Frau Mira, die Knie an Knie mit dem Grafen Scheeler sass und der im übrigen Bein Bein war, gleichgültig, ob es einem Grafen oder einem Chauffeur gehörte, hatte denn auch eine bissige Bemerkung auf der Zunge. Aber die Baronin las sie ihr von den Lippen und kam ihr zuvor, in dem sie sich laut an Professor Reger wandte und fragte:
„Nun Marquis, wie steht’s mit der Theosophie? Werden wir Sie bald als den Unsern begrüssen können?“
„Ich bin ein Feind alles Halben,“ erwiderte der Professor. „Man kann nicht Diener der Wissenschaft sein und sich gleichzeitig in diesem Lustgarten der Halbgebildeten ergehen.“
Die Baronin war gekränkt. Aber sie verstellte sich, stöhnte und sagte:
„Ja! ja! Ihr Protestanten!“
„Da hat Mama recht,“ sprang ihr Frau Ina bei. „Die protestantischen Länder besitzen nicht die zum Glück eines wohlerzogenen Menschen unentbehrlichen Elemente: Galanterie und Frömmigkeit.“
„Dazu muss man an Gott glauben,“ sagte die Baronin.
Der Professor, der alles das herbeigeholt und nicht logisch fand, stutzte. Aber als Frau Ina ihrer Mutter mit einer Geste, die beinahe feierlich war, erwiderte:
„Selbst wenn es keinen Gott gäbe, wäre die Religion doch heilig und göttlich,“ da wusste er, dass man, wie so oft in diesem Hause, wieder einmal mit Bildung bluffte. Er kniff die Augen zusammen, zog die Zigarre in den rechten Mundwinkel, setzte sein sarkastisch-verbindliches Lächeln auf, sah die Baronin und Frau Ina scharf an und sagte:
„Gewiss! Gott ist das einzige Wesen, das zum Herrschen nicht einmal der Existenz bedarf.“
„Aber Sie werden doch zugeben,“ erwiderte Frau Ina und senkte den Blick — „dass das Höchste im Leben, die Liebe, ohne den Glauben profan ist.“
„Was ist überhaupt Liebe?“ stiess Frau Olga wie einen Seufzer hervor, und Frau Mira erwiderte prompt:
„Das Bedürfnis ...“
„... aus sich herausgehen,“ beendigte unnötigerweise Frau Ina den Satz.
Der Rittmeister sah strahlend zu seiner Frau auf, und die Baronin sagte zu ihrer Tochter:
„Du meinst, um sich mit ihrem Opfer zu vereinigen.“
„Gewiss!“ bestätigte die, „gewiss! Aber wie der Sieger mit dem Besiegten. Unter Wahrung der Vorrechte des Eroberers.“
„Siehst Du!“ rief Frau Olga so unmotiviert wie möglich ihrem Manne zu, und der Papagei, der auf ihrer Schulter sass und nach dem vierten Petitfour und einem Gläschen Chartreuse fest eingeschlummert war, fuhr auf und schrie:
„Schlagt den Juden tot!“
Max Herzog sah verständnislos erst den Papagei, dann seine Frau an und sagte:
„Ich bin mir gar nicht bewusst ...“
„Und doch,“ fuhr die Baronin, ohne auf Frau Olgas Bluff zu achten, fort, „als langweilig in der Liebe habe ich immer empfunden, dass sie ein Verbrechen ist, bei dem man einen Mitschuldigen nicht entbehren kann.“
„Glänzend!“ rief Frau Mira mit roten Wangen, und die Liebe, über deren Wesen und Betätigung sie Tage und oft auch die Nächte lang nicht nur nachsann, schien als Verbrechen ihr nun noch sonderbarer.
„Und wie stellt sich die Kirche zu dieser Liebe?“ fragte Frau Ina, worauf die Baronin zur Antwort gab:
„Da sie nicht die Möglichkeit sah, sie zu unterdrücken, so hat sie sie wenigstens desinfizieren wollen und die Ehe geschaffen.“
„Ausgezeichnet!“ rief Frau Mira. „Die Ehe als Desinfektionsanstalt. Sagen Sie,“ wandte sie sich an ihren Nachbarn, den Grafen, der gelangweilt da sass, „haben Sie sie je als etwas anderes betrachtet?“
„Und doch,“ beteuerte Ina und schlug die Augen zu dem Grafen auf, der indes keinerlei Notiz davon nahm, „ist die Liebe das Göttliche im Menschen.“
Der Rittmeister sah strahlend zu seiner Frau auf.
Die Baronin widersprach.
„Dadurch, dass man sie Gott entzieht und auf die Menschen überträgt, entheiligt man sie. Darum sollte man in dem Menschen, zu dem es einen hinzieht, immer nur Gott lieben.“
„Das kommt praktisch ja wohl auf dasselbe hinaus,“ sagte Nelly Brückner und sah verklärt Wolfgang v. Erdt an, der so gar nichts Göttliches hatte.
„Ein weites Feld, die Liebe,“ meinte Mathilde Brückner, und der Professor, dem die Zeit gekommen schien, sagte breit:
„Sehr richtig! Jedenfalls ist sie mit dem Studium Baudelaires nicht erschöpft.“
Frau Ina wurde um einen Atom blasser und, um ihre Verlegenheit zu verbergen, nahm sie die schwere silberne Kanne auf und goss dem Grafen Tee ein, obgleich seine Tasse noch beinahe voll war.
Die Baronin hingegen hielt den Blick des Professors aus:
„Sie haben sich demnach auch viel mit Baudelaire beschäftigt?“ fragte sie und tat unbefangen.
„Leider nicht mit dem gleichen Erfolge wie Sie,“ erwiderte der. „Aber man hört ihn doch immer wieder gern.“
Frau Olga sah mit triumphierendem Lächeln Frau Ina an und sagte:
„Ach so! — Bei uns in Berlin bringt man sich jetzt seine Butterbrote mit, wenn man eingeladen ist. Man kann, scheint’s, aber auch geistige Nahrungsmittel hamstern. Man steckt