Frau Dirne. Artur Hermann Landsberger

Frau Dirne - Artur Hermann Landsberger


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auf ... die ... Art ... meinst ... du ...?“

      „Ja, Mama!“ lautete die bestimmte Antwort. „Auf die Art; wenn in der Form auch etwas anders.“

      „Und ... du ... glaubst ...?“

      „Ich hoffe!“

      Der Rittmeister kam wieder ins Zimmer.

      „Ein sympathischer Mensch, dieser Katz“, sagte er. „Und auf dich, Ina, hält er grosse Stücke.“

      Aus einem Nebenzimmer ertönte hell die Stimme Mathilde Brückners.

      „Allmächtiger!“ rief Ina. „Wir haben ja Gäste!“

      Sie trat an den Spiegel, legte Puder auf, befahl ihrem Manne, der Baronin den Arm zu reichen, und ging mit ihnen in den Salon zurück, der auf der andern Seite des Flurs lag.

      Mathilde Brückner hatte ihr Lied gerade beendet, als die Drei den Salon wieder betraten.

      „Ich habe versucht, Sie zu ersetzen,“ wandte sich Mathilde an die Baronin.

      „Solchen Ersatz werden sich unsere Gäste gern gefallen lassen,“ erwiderte die, dankte Mathilde lebhaft und drückte ihr die Hand.

      „Hoffentlich war die Abhaltung keine unangenehme,“ fragte Wolfgang v. Erdt.

      „Ja und nein,“ erwiderte Frau Ina. „Es kommt, wie bei allem, darauf an, wie man es nimmt. Einer findet es katastrophal, der Andere sieht darin eine Wohltat.“

      „Sehr richtig!“ stimmte der Professor zu. „Das gilt ganz allgemein und uneingeschränkt; nur merken es die Menschen in den seltensten Fällen. Alles ist letzten Endes auf Zerstörung gerichtet.“

      „Jeder Aufbau trägt in sich schon den Keim späterer Vernichtung.“

      „Dass wir ihn nicht erkennen,“ erwiderte Frau Ina, um dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, „liegt daran, dass man uns schon als Kinder eine Brille auf die Nase stülpt, durch die wir dann zeitlebens alles wie durch einen Schleier sehen. Zu einer eigenen Wertung über Gut und Böse kommen wir dadurch überhaupt nicht. Das hat man uns schon vorweggenommen.“

      „Und man sollte nicht imstande sein, sich diese Brille herunterzureissen und mit eigenen Augen zu sehen?“ fragte v. Erdt.

      „Das Resultat wäre ein Mensch ohne Vorurteile,“ erwiderte der Professor. „Ich glaube nicht, dass es so etwas in unseren Kreisen gibt.“

      „Und gäbe es das, was gewiss schon viel wäre,“ fuhr Frau Ina fort, „wem wäre damit gedient? Dieser Ausnahmemensch würde sich ja doch nur immer in seinen Kreisen bewegen. Das Leben da, wo es unverfälscht ist, würde er doch nicht kennen lernen.“

      „Und wo, meinen Sie, lernt man das unverfälschte Leben am besten und am gründlichsten kennen?“ fragte Frau Mira.

      „Unten im Volke natürlich,“ erwiderte der Professor, „wo die Instinkte frei und ohne gesellschaftliche Rücksichten zum Durchbruch kommen.“

      Frau Olga führte ihr Spitzentuch vor den Mund und sagte:

      „Danke ergebenst! Alle diese Menschen haben einen Odeur an sich, der mich umwirft.“

      „Vor allem,“ meinte Frau Ina, „ist an dieser Art Menschen nichts zu studieren. Sie sind durch die Tretmühle des täglichen Lebens so abgestumpft, dass sie kaum noch Leidenschaften haben.“

      „Aber man liest doch soviel in Romanen uud sieht soviel auf der Bühne ...“ brachte Frau Mira etwas zaghaft mit einem Blick auf Wolfgang v. Erdt vor.

      „Das ist doch alles Phantasie,“ meinte die Baronin, worauf sie ein vernichtender Blick Nelly Brückners traf. „Oder irre ich mich da?“ fragte sie höflich.

      „Aber sehr!“ erklärte Nelly überlegen und bestimmt, sah ängstlich zu ihrem Stiefvater auf, streichelte ihn mit einem zärtlichen Blick und sagte:

      „Intuition ist es! Göttliche Intuition!“

      „Jedenfalls, und darauf allein kommt es an,“ erwiderte Frau Ina, „weit ab von jeder Wirklichkeit. — Um die Wirklichkeit kennen zu lernen,“ fuhr sie mit Pathos fort, „dazu bedarf es schon einer gewissen Grösse, die von uns, die wir bis da hinauf in gesellschaftlichen Vorurteilen stecken, kaum einer aufbringt.“

      „Ich schon!“ widersprach Frau Mira. „Wenn Sie mir nur zusichern, dass dies Studium mehr Abwechslung bietet und weniger formal ist als unser gesellschaftliches Leben, das mit der Präzision eines tausend Meter Films abrollt, ohne — genau wie der — je eine Überraschung zu bringen, dann stürze ich mich in dies Studium, selbst auf die Gefahr hin, mich und meinen Mann zu kompromittieren.“

      „Es ist ja klar,“ sagte Frau Ina, „dass man den nackten Menschen — ich spreche natürlich bildlich — nur kennen lernen kann, wenn man ihn da aufsucht, wo seine Leidenschaften ungehemmt, zügellos, nackt — und jetzt meine ich es wörtlich — zum Ausdruck kommen.“

      „Gibt es so einen Ort?“ fragte Frau Mira voll Interesse.

      „Den gibt es!“ erwiderte Frau Ina.

      „Nämlich?“ fragte Mathilde Brückner, und die gleiche Frage stand auf allen Gesichtern.

      „Ich will es Ihnen sagen.“ — Sie wandte sich an ihren Mann: „Bitte, Heinz, giesse uns erst einmal allen von dem Chartreuse ein.“ — Frau Olga hielt ihre mit Brillanten besäte unschöne Hand über ihr Glas — „auch Ihnen, Frau Herzog — und zwar bis an den Rand.“

      „Sie lenken ab,“ sagte Nelly, die vor Erregung leichenblass war und ihre Neugier nicht meistern konnte.

      „O nein!“ erwiderte Frau Ina. „Ich beuge vor. — Also,“ fuhr sie fort und überzeugte sich, dass alle Gläser gefüllt waren, „der einzige Ort, an dem wir das nackte Leben, das heisst, die Menschen so, wie sie sind, kennen lernen können, ist“ — sie sah alle der Reihe nach an — „das Bordell!“

      „Ina!“ rief die Baronin entsetzt und war in diesem Augenblicke seltsamer Weise die Einzige, die sich verstellte.

      „Nein!“ schluchzte Nelly laut und griff wie zum Schutze nach der Hand ihrer Mutter.

      „Sie scherzen natürlich,“ sagte lächelnd v. Erdt, worauf hin Inas Mann, wie immer, wenn jemand einen Witz erzählte, auch wenn er ihn nicht verstand oder längst kannte, anfing, laut zu lachen.

      Nelly sah sich furchtsam nach ihm um, Frau Ina fuhr ihn grob an und sagte:

      „Lass das!“

      Mathilde Brückner machte ein nachdenkliches Gesicht, kniff die Lippen zusammen, nickte mit dem Kopf und sagte, ohne dass sie jemanden ansah:

      „Gewiss! — ich begreife. — Man muss die Menschen aufsuchen, wo sie sich gehen lassen und unbeherrscht sind — und ich kann mir denken, dass sie sich da ihrem Naturzustande am weitesten nähern. — Denn schliesslich ist Moral, der zu Liebe sich der Mensch seit Jahrtausenden verstellt und der wir unsere sogenannte Kultur verdanken, ja letzten Endes nichts anderes als eine Vergewaltigung unserer Leidenschaften und somit ein menschlicher Eingriff in die Natur.“ — Sie nickte wieder mit dem Kopf und wandte sich dann an Frau Ina. „Ich glaube, Sie haben recht — da liesse sich vieles herausholen — meinst du nicht auch, Wolfgang, dass es sich lohnte, da einmal Studien zu machen.“

      Nelly fuhr auf.

      „Papa braucht das nicht!“ rief sie gekränkt. „Papa schafft von Innen.“

      Wolfgang v. Erdt zog die Stirn in Falten und meinte:

      „Darum kann man sich doch befruchten lassen.“

      „Aber,“ wandte der Professor ein, „ist die Art der Betätigung in derartigen ... Instituten nicht ziemlich ungeistig und gleichartig?“

      „O nein!“ widersprach Frau Mira, die mit leuchtenden Augen dasass und aufmerksam jedem Worte folgte: „Haben Sie denn nie etwas von dem Marquis de Sade und Retif de la Brétonne gehört?“


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