Frau Dirne. Artur Hermann Landsberger
nicht,“ sagte sie, „wie eine geistvolle Unterhaltung, gleichviel ob sie aus Eigenem schöpft oder aus Fremdem, Sie ärgern kann. Schliesslich bleibt es doch interessanter, zu erfahren, wie ein grosser Mann über die Liebe dachte, als mit welchen hohen und höchsten Herrschaften Sie in gesellschaftlichem Verkehr stehen.“
Und Wolfgang v. Erdt, der wie alle wahren Künstler im Grunde seines Herzens materiell war — nur grosse Kinder sind es nicht! — setzte hinzu:
„Der Ärger, gnädige Frau, dürfte durch den Chartreuse und die Petitfour, die Ihr Liebling geschluckt hat, ausgeglichen sein.“ — Und da Max Herzog daraufhin ein Fruchttortelette, das er eben in den Mund schieben wollte, auf den Teller zurücklegte, so wies Wolfgang v. Erdt mit seiner Riesentatze auf den Papagei und sagte: „Ich meinte natürlich den andern Liebling.“
Alles lachte, nur der blaugelbe Papagei, der spürte, dass er im Mittelpunkte stand, setzte sich zur Wehr und kreischte:
„Schlagt den Juden tot!“
„Kann er denn gar nichts anderes?“ fragte die Baronin und glaubte damit Frau Herzog zu reizen.
Die aber hatte schon lange auf dies Stichwort gewartet.
„Reden Sie nur mit ihm!“ trieb sie sie an.
„Na, Dummchen,“ wandte sich die Baronin an den Papagei, „was sagst denn Du zu alledem?“
Der Papagei machte einen schiefen Kopf und beaugte misstrauisch die Baronin.
„Nicht wahr,“ fuhr die fort, „die Theosophie erschliesst der Menschheit neue Wege?“
Frau Olga machte mit der Schulter eine kurze Bewegung, die niemand sah, und der Papagei kreischte der Baronin ins Gesicht:
„Quatsch nicht!“
Damit war sein Repertoire erschöpft. Doch dem tiefsinnigen Beobachter wurde klar, dass dieser Sprachschatz für die Unterhaltung in einem sogenannten besseren Salon durchaus genügte.
Der Diener kam und reichte Frau Ina eine Karte.
„Haben Sie nicht gesagt, dass Besuch da ist?“
„Wenn gnädige Frau wenden wollen.“
Frau Ina wandte die Karte und las:
„Ich habe unbedingt und unaufschiebbar mit Ihnen zu sprechen.“
„Geh!“ trieb ihre Mutter, die über ihren Nachbar hinweg schneller als sie Name und Text der Karte entziffert hatte, sie an.
Ina stand auf, entschuldigte sich und ging. Als der Graf ihr lässig die Hand reichte, wurde sie rot und zitterte in den Knien; den fragenden Blick ihres Mannes liess sie unbeantwortet, zerknitterte die Karte und ging hinaus.
Der Diener hatte den alten Katz in den vorderen Salon geführt, der von dem erlesenen Geschmack Frau Inas und ihrer Mutter zeugte und auf Generationen alten Reichtum schliessen liess.
Katz zog den abgeschabten roten Glacéhandschuh von der rechten Hand, fuhr sich mit den ungepflegten Fingern durch das ergraute Haar, kaute an seinem Zigarrenstummel, musterte mit ein paar Blicken den Salon, ging auf ein kleines Schränkchen zu, in dem allerhand alter Schmuck aufgebaut war, schloss es auf, nahm einen breiten Platinring mit glitzernden Steinen heraus und steckte ihn sich in die Tasche. Dann zog er den abgeschabten roten Handschuh wieder auf.
Ungeduldig sah er zur Tür. Nebenan hörte man Schritte. Gleich darauf betrat Frau Ina den Salon.
Katz sagte ohne sich zu verbeugen:
„Guten Tag!“
Frau Ina bewegte leicht den Kopf, wies mit ihrer weissen schlanken Hand auf einen Stuhl und sagte:
„Bitte!“
Katz setzte sich, griff in die Tasche, legte ihr ein Papier vor und sagte:
„Unterschreiben Sie!“
Dabei schob er den abgekauten Zigarrenstummel, der nicht mehr brannte, in den anderen Mundwinkel, wobei die Asche auf den Tisch, dicht neben das Papier fiel.
Frau Ina, deren Gedanken noch bei dem Grafen und Miras schönen Beinen waren, überflog das Papier, verstand es nicht und sah Stanislaus Katz, der schmutzig und aus Lodz war, fragend an.
„Worauf warten Sie?“ fragte der und hielt ihr die Füllfeder hin.
„Auf das Geld“, erwiderte sie.
„Es sind die Zinsen für das schuldige Kapital.“
Er legte seine Füllfeder neben das Papier.
Frau Ina rührte sie nicht an. Sie stand auf, nahm das Papier, ging damit zum Schreibtisch, nahm ihren Halter und unterschrieb.
Katz zerbiss wütend seinen Stummel und steckte seine Füllfeder wieder ein.
„Es klebt kein Dreck dran“, sagte er.
Frau Ina erwiderte:
„Aber Sünde.“
„Mein Beruf und Frömmigkeit vertragen sich nicht miteinander.“
„Um so mehr Grund hätten Sie, zur Beichte zu gehen.“
Katz wehrte ab.
Mein Beruf fordert Diskretion. Oder wäre es Ihnen lieb, wenn ich dem Probst Weidner von Ihren Beziehungen zu dem Grafen ...“
Frau Ina wurde kreidebleich, richtete sich auf und fuhr ihn an:
„Schweigen Sie!“
„Wenn ich im Beichtstuhl sässe und er die Geldgeschäfte machte — vielleicht, dass Sie dann freundlicher zu mir wären.“
„Schweigen Sie!“ wiederholte Frau Ina, und ihre Stimme überschlug sich. „Sie mischen irdische und weltliche Dinge — Sie versündigen sich!“
„Wir sind allein, und ich konstatiere Tatsachen.“
„Das sind Dinge, die mit unseren Geschäften nichts zu tun haben. Wenn ich im Guten auf Sie einzuwirken versuche, so brauchen Sie nicht ausfallend zu werden.“
„Ich bin ein Mensch, der mit beiden Füssen fest auf der Erde steht und kein Ohr für das Paradiesgeklimper hat.“
„Schlimm für Sie!“
„Jedenfalls ist die Hilfe, die ich Ihnen hier auf Erden leiste, zuverlässiger als die Versprechungen, die er Ihnen auf das Jenseits macht.“
„Sie tun es nicht aus Liebe!“
„Und er nicht aus Religiosität.“
Katz war aufgestanden und lehnte sich an den Schreibtisch, der dicht neben dem Sessel stand, auf dem Frau Ina sass. Sie hielt noch immer den Halter in der Hand.
„Zerreissen Sie den Wisch“, sagte er und beugte sich zu ihr.
Sie warf den Halter hin und schob ihm das Blatt zu.
„Zerreissen Sie’s!“ wiederholte er mit belegter Stimme und griff nach ihrer Hand.
„Was fordern Sie?“ fragte sie leise.
„Nicht mehr als das letzte Mal.“
Sie beugte sich in den Sessel zurück und schloss die Augen. Katz nahm den Stummel aus dem Mund, schob sich zwischen Sessel und Schreibtisch, stemmte die Arme auf die Lehne und drückte seine Lippen auf Frau Inas Mund. — Zwei Sekunden lang — dann schob sie ihn zur Seite und sagte:
„Genug! Mein Mann ist da.“
Katz, der ausser Atem war, lächelte und meinte spöttisch:
„Der kommt — doch nicht — ohne dass — Sie ihn rufen.“
Dann trat er zur Seite, atmete auf, nahm das Papier, zerriss es, warf es in den Papierkorb und sagte:
„Man ist bescheiden“, und lachte laut auf. Dann fügte er leise hinzu: „und doch nicht dumm.“
Das klang