Frau Dirne. Artur Hermann Landsberger
die seelischen Konflikte,“ erwiderte Mathilde Brückner, in der Frau Ina ganz unerwartet einen leidenschaftlichen Helfer fand, „wird man nirgends besser als gerade dort studieren.“
„Doch aber nur die weiblichen,“ wandte der Professor ein.
„O nein!“ widersprach Mathilde. „Wenn man die Psyche des Mannes nur einigermassen versteht — nirgends wird er sich ungezwungener geben als hier. Und gerade weil er an solchem Ort am wenigsten Verständnis erwartet, wird er, in seiner Überrraschung, es zu finden, wie ein Kind sein.“
Der Professor nickte und sagte:
„Das leuchtet mir ein. Aber was ich noch nicht verstehe: als was dachten die Damen denn in dem ... Institut zu fungieren?“
„Das ist doch klar!“ platzte Frau Mira heraus.
Eine peinliche Pause entstand. Nach einer Weile sagte Frau Ina:
„Ihre Frage ist durchaus berechtigt, Herr Professor. Denn, geben wir wahrheitsgemäss Studium als Grund an, so laufen wir in dieser heuchlerischen Welt Gefahr, falsch verstanden und kritisiert zu werden.“
„Die Befürchtung habe auch ich,“ sagte Frau Olga. „Wie wäre es, wenn man ganz zeitgemäss mit diesem Studium eine soziale Absicht verbände?“
„Selbstredend!“ fing Frau Ina den Gedanken auf und tat, als wenn sie ihn von Anfang an gehabt hätte. — „Wir wollen, was wir sehen und erfahren, praktisch verwerten. Dadurch, dass man von Zeit zu Zeit einen Händler oder Verführer zur Strecke bringt, kommt man dem Übel nicht bei. Man muss sich selbst überwinden und sich den Gefallenen persönlich zuwenden; man muss ihr Vertrauen gewinnen und aus ihrer Seelenverfassung und aus ihrer Lebensgeschichte das lernen, was man wissen muss, um die Bedrängten und Gefährdeten draussen vor dem gleichen Schicksal zu bewahren.“
„Ich glaube,“ stimmte Frau Olga bei, „dass dies ein sehr erspriesslicher Zweck wäre, der uns auch vor übler Nachrede schützt.“
„Und wer weiss,“ meinte Mathilde Brückner, „ob es uns auf die Weise nicht auch gelingt, die Eine oder die Andre wieder dem Leben zuzuführen.“
„Das Programm liesse sich dahin erweitern,“ sagte der Professor, „dass man auch auf die männlichen Besucher einzuwirken sucht. Wenn man es geschickt anstellt, lässt sich auf die Art mancher Ehebruch verhindern.“
„Entsetzlich!“ rief Frau Mira. „Ich hoffte, man bekäme mal etwas freiere Luft zu atmen. Aber unter Ihren Händen wird selbst das Bordell zu einer moralischen Anstalt.“
„Ausgezeichnet!“ sagte Frau Ina. „Sie haben das befreiende Wort gesprochen: Das Bordell als moralische Anstalt. Halten wir an dieser Bezeichnung fest! Der Gedanke, den wir Frau Herzog verdanken, ist so kostbar, dass ich die Gründung auf der Stelle vornehmen möchte.“
„Unter welcher Rubrik?“ fragte der Professor, und Frau Ina erwiderte:
„Natürlich unter der Rubrik: Wohlfahrtsverein.“
„Und wir,“ sagte Wolfgang v. Erdt, „bilden den Ehrenausschuss.“
Das entsprach ganz den Intentionen Frau Inas.
„Fehlt nur noch die Anstalt selbst,“ sagte Frau Olga.
„Natürlich dürfen wir keine neue gründen, sondern müssen eine bestehende übernehmen,“ meinte Irau Ina, „da wir uns sonst mit unseren eigenen Waffen schlagen.“
„Aber das ist doch klar,“ stimmte Mathilde Brückner zu.
„Ich glaube, einen solchen Ehrenausschuss wird sich gern jedes Institut dieser Art gefallen lassen,“ sagte Wolfgang v. Erdt. „Es ist entschieden etwas Neues.“
„Und wird,“ erwiderte die Baronin, „Sie werden sehen, sehr bald Nachahmung finden. Die Wohltätigkeit sucht längst ein neues Feld der Betätigung. Säuglings-, Armen-, Alters- und Genesungsheime haben abgewirtschaftet und ziehen nicht mehr. Die Leute, die ihr Geld für solche Dinge hinauswerfen, wollen auch einmal Abwechslung haben.“
„Wirken wir ausserdem also bahnbrechend,“ sagte Frau Olga, die sich aus Gründen, die selbst Frau Ina nicht verriet, immer mehr für das Projekt erwärmte.
„Und die Auswahl,“ versicherte Frau Ina, „können wir getrost meinem Manne überlassen.“
„Mir?“ fragte der und sah ganz entgeistert seine Frau an.
„Ja, dir!“ wiederholte die nur um so bestimmter.
„Ich bin, so lange ich lebe, nicht ein einziges Mal ...“
„Lass nur!“ fiel sie ihm ins Wort und wandte sich wieder an die Anderen. „Wir können uns auf ihn verlassen. Und ich hoffe, Ihnen sehr bald mitteilen zu können, dass die Voraussetzungen erfüllt sind.
Ihr Mann, der völlig ahnungslos war, wagte nicht mehr, zu widersprechen. Alle sahen ihn an und dachten: das hätten wir ihm garnicht zugetraut. Aber der Blick der Baronin, an die sie sich fragend wandten, sagte: ach! wenn Sie wüssten! er ist noch viel schlimmer.
Jetzt nahm die Baronin wahr, dass Nellys Augen voller Tränen standen.
„Oh!“ sagte sie teilnahmsvoll. „Haben unsere Reden Sie gekränkt? — Nun ja, mein Kind, Sie sind noch zu jung, um den Kern der Sache, der durchaus moralisch ist, zu erfassen. Sie stösst das Äussere ab. Verschönen sie es, in dem Sie es auf ein höheres Niveau heben. Tragen Sie die Kunst hinein, die alles veredelt. Sorgen Sie dafür, dass diese moralische Anstalt zugleich ein Muster des guten Geschmacks wird. Betätigen Sie sich auf diese Weise. Sie werden der Sache damit einen grossen Dienst erweisen. Erlaubt ist, was gefällt. Beweisen Sie, dass der Aufenthalt in einem Bordell unter Umständen stärkere ästhetische Wirkung ausübt als der Aufenthalt in einer Kirche mit schlechtem Messgerät.“
Nelly biss die Lippen aufeinander und erwiderte kein Wort. Frau Olga war aufgestanden und legte den Arm um sie:
„Sie sind vom Leben noch unberührt.“
Das wäre verständlich gewesen, wenn sie statt: vom Leben: gesagt hätte: vom Manne: Denn das meinte sie.
Auch die Anderen erhoben sich.
Frau Olga rief dem Papagei, der in tiefen Gedanken auf einer Truhe sass, einen inartikulierten Laut zu, auf den hin er sich auf den von Max Herzog bereit gehaltenen silbernen Stab setzte und schrill rief:
„Schlagt den Juden tot!“
Wolfgang v. Erdt hatte, was nur Nelly sah, tiefe Falten in der Stirn und steckte sich, ehe er ging, noch eine Zigarre an. Mathilde Brückner seufzte, als sie der Baronin die Hand reichte und sagte:
„Die Ärmsten! selbst wenn wir ihnen helfen können, was besagt es schon. Es wird im besten Falle doch nur ein Tropfen auf einen heissen Stein sein.“
“Jeder muss tun, was in seiner Macht steht,“ erwiderte die Baronin, und Frau Ina setzte eine feierliche Miene auf und sagte:
„Vor allem sollen wir Gutes tun um des Guten willen. Dann trägt es auch Früchte.“
„Wie gut Sie sind!“ sagte Mathilde gerührt und drückte ihr innig die Hand. —
Der Rittmeister begleitete die Gäste hinaus.
Als sie draussen waren, sahen die Baronin und Frau Ina sich an und lachten.
„Hätte ich, um mich zu halten, ein stubenreines Pensionat für alte Jungfern oder junge Mädchen errichtet,“ sagte Frau Ina, „so wäre ich deklassiert und gesellschaftlich erledigt; nun, wo ich ein Bordell eröffne, wird man mich bewundern und sich um mich reissen.“
„Wenn es allen so eingeht, wie ihnen,“ erwiderte die Baronin und wies auf den Flur, in dem noch immer die Gäste standen und sich unterhielten.
„Das lass meine Sorge sein. Worauf es jetzt ankommt, ist, dass es mir gelingt, diesem Katz das Geschäft zu entreissen.
Die Baronin erschrak.
„Du