Seewölfe Paket 34. Fred McMason
davon, um den Profos hochzupurren.
Unten, auf der Kuhl, spitzte sich die Situation inzwischen weiter zu. Die beiden Kontrahenten standen sich lauernd gegenüber – sprungbereit wie zwei Raubkatzen.
„Zum letzten Mal: Nimm die Beschuldigung zurück!“ Vascos Stimme klang jetzt gefährlich leise.
Pico kniff die Augen zusammen. „Ich denke nicht daran, mich von dir bescheißen zu lassen und dann auch noch den winselnden Köter zu spielen. Und, zum Teufel, ich sag’s noch einmal: Du bist ein Falschspieler und ein geldgieriger Beutelschneider!“
„Dafür wirst du bezahlen, du Ratte!“ Vascos Körper zuckte vor, die Klinge seines Messers blitzte auf und schoß auf den hageren Pico zu.
Dieser wich dem Stoß jedoch geschickt aus, indem er blitzschnell zur Seite glitt.
In diesem Augenblick tauchte Rafael Cegos mit dem Profos auf. Lorenzo, ein mittelgroßer, bulliger Mann, dessen gerötetes Gesicht vom vielen Rotwein aufgedunsen war, stapfte schwerfällig auf die Kampfhähne zu.
„Aufhören!“ brüllte er. „Steckt sofort die Messer weg. Wenn ihr euch gegenseitig aufpolieren wollt, dann tut das gefälligst mit den Fäusten.“
Früher hatte man auf die Stimme des Profos gehört. Jetzt aber sah es nicht danach aus. Der Suff schien seine Autorität als Zuchtmeister nicht gerade gefestigt zu haben.
Vasco und Pico schenkten seinem Gebrüll jedenfalls nicht die geringste Aufmerksamkeit. Jeder von ihnen war voll auf seinen Gegner fixiert.
Während Vasco mit gebeugter Körperhaltung und haßverzerrtem Gesicht auf den günstigsten Augenblick für die nächste Messerattacke lauerte, versuchte Pico, den Gegner durch tänzelnde Bewegungen zu irritieren.
„Seid ihr taub? Ich hab gesagt, ihr sollt aufhören! Wenn ihr nicht sofort die Messer verschwinden laßt, wird euch der Teufel holen, ihr verdammten Hitzköpfe!“
Das Gebrüll Lorenzos ließ deutlich erkennen, daß seine Zunge vom Wein schwer wie Blei geworden war.
Da sich auch jetzt niemand von seinem Befehl beeindrucken ließ, trat der vierschrötige Profos mehr torkelnd als gehend zwischen Vasco und Pico.
Damit beging er einen verhängnisvollen Fehler.
„Lorenzo – paß auf!“ warnte die schrille Stimme Rafael Cegos’, doch sein Zuruf erfolgte zu spät.
Der bullige Mann schob seinen Körper genau in dem Augenblick in das Kampffeld, in dem Vasco ein zweites Mal zustieß.
Der Messer traf den Profos voll in die Brust.
In den Reihen der Mannschaft setzte erregtes Stimmengewirr ein. Der Profos starrte mit weit aufgerissenen Augen auf Vasco, dann knickten ihm die Beine weg, und sein schwerer Körper prallte hart auf die Planken.
Miguel de Pereira hatte vom Achterdeck aus die Vorgänge beobachtet. Und er hatte fälschlicherweise darauf vertraut, daß Lorenzo die Sache in den Griff kriegen würde. Jetzt aber begriff er, daß er sich getäuscht hatte.
Und nicht nur das – es hatte sich einiges an Bord verändert. Befehle schienen plötzlich niemanden mehr zu beeindrucken. Genau das konnte er jedoch als Kapitän nicht hinnehmen – jetzt, da Lorenzo ein Opfer dieser Befehlsmißachtung geworden war, schon gar nicht.
Noch während die Decksleute, einschließlich Pico und Vasco, wie gebannt auf den sterbenden Profos starrten, zog de Pereira seine mit Silber verzierte Steinschloßpistole aus dem Gürtel, spannte den Hahn und eilte den Steuerbordniedergang zur Kuhl hinunter.
„Senhor Cegos, lassen Sie die beiden Männer bis zum Zusammentreten des Bordgerichts in Eisen legen!“ befahl er, bebend vor Zorn.
Der dürre Offizier blickte sich hilflos um. Normalerweise hätte er diesen Befehl an den Profos weitergegeben. Der aber war tot – seine Augen starrten blicklos ins Leere.
Außerdem spitzte sich die Lage erneut zu. Vasco wirbelte herum und hielt schützend das Messer vor sich.
„Niemand wird hier in Eisen gelegt“, stieß er keuchend hervor. „Lorenzo ist selber schuld, er ist mir ins Messer gelaufen. Das haben alle gesehen.“
Beifälliges Gemurmel ertönte.
De Pereiras Gesicht wirkte jetzt wie eine steinerne Maske.
„Senhor Cegos, ich erwarte, daß mein Befehl augenblicklich befolgt wird.“
Bevor der Offizier etwas darauf erwidern konnte, drehte sich Vasco etwas nach rechts, so daß die Klinge seines Messers direkt auf de Pereira zeigte.
„Ich rate keinem, mich anzurühren!“ Seine dunklen Augen waren wild entschlossen auf den Kapitän gerichtet.
Miguel de Pereira hob die Pistole. „Laß das Messer fallen, Decksmann!“
„Ich denke nicht daran.“
Das waren Vascos letzte Worte.
Der Kapitän der „Madre de Deus“ krümmte den Zeigefinger. Ein Schuß krachte, und Vasco wurde wie von einer unsichtbaren Faust zurückgeschmettert. Seine Hand löste sich vom Griff des Messers, Sekunden später lag auch sein Körper zusammengekrümmt auf den Planken.
Für einen Augenblick herrschte Totenstille. Der Schuß des Kapitäns auf Vasco wirkte zunächst lähmend wie ein Schock, dann aber war plötzlich die Hölle los. Im Handumdrehen geriet die Mannschaft der „Madre de Deus“ in Bewegung.
Von irgendwoher ertönten Rufe wie: „Das lassen wir uns nicht gefallen!“ Und: „Jetzt ist es soweit!“
Das Stimmengewirr steigerte sich, die Männer griffen nach den Waffen, die der Stückmeister – ohne den Befehl dazu zu haben – heranschaffen ließ. Ja, die Schnelligkeit, mit der das geschah, ließ sogar darauf schließen, daß man bereits auf eine „passende Gelegenheit“ gewartet hatte.
Das Gesicht Miguel de Pereiras glich einer überreifen Tomate.
„Ruhe!“ brüllte er. „Ich verlange absolute Ruhe. Dieser Mann“, er deutete auf die Leiche Vascos, „hat sich nicht nur meinen Befehlen widersetzt, sondern mich mit seinem Messer bedroht. Das war Meuterei!“ Der Kapitän schob die Pistole eilig in den Gürtel zurück und zog seinen Degen. „Auf Meuterei aber, steht der Tod. Stückmeister, sammeln Sie sofort die Waffen wieder ein, sonst lasse ich Sie vor das Bordgericht stellen!“
Die Antwort bestand aus üblen Flüchen und höhnischem Gelächter. Bevor de Pereira und der kreidebleich gewordene Rafael Cegos etwas dagegen tun konnten, wurden sie von einer Anzahl finster dreinblickender Männer umringt, die mit Messern, Säbeln und Pistolen bewaffnet waren. Auf dem Vorschiff bahnte sich inzwischen ein wilder Kampf zwischen Meuterern und den wenigen Männern an, die sich aus Angst vor der Todesstrafe, die Meuterern grundsätzlich drohte, auf die Seite des Kapitäns geschlagen hatten.
„Zum letzten Mal! Legt die Waffen nieder!“ Die Stimme de Pereiras überschlug sich fast.
Doch der Kreis um ihn und seinen Offizier wurde immer enger. Sein Degen nutzte ihm ebensowenig wie Cegos die Pistole, deren Hahn er in der Aufregung nicht mal gespannt hatte. Die Übermacht war zu groß, und die Männer schienen zu allem entschlossen zu sein.
„Man wird euch wegen Meuterei hängen, wenn ihr nicht Vernunft annehmt!“ Zum ersten Male verriet de Pereiras Stimme, daß er Angst hatte.
Bei Cegos hingegen war sie offenkundig. Seine Augen waren weit aufgerissen, die Hand, die die Pistole hielt, zitterte wie Espenlaub.
Jorge Alameda, der hochgewachsene, kräftige Schiffszimmermann, verzog das bärtige Gesicht zu einem spöttischen Grinsen.
„Seht nur!“ rief er. „Die Senhores haben die Hosen voll. Laßt euch bloß nicht von ihren Drohungen einschüchtern!“
De Pereira war längst klar geworden, was seit Tagen in der Luft gelegen hatte. Und er fand einige seiner stillen Vermutungen bestätigt. Langsam und fast unmerklich hatte sich da – offenbar mit dem Zutun