Seewölfe Paket 34. Fred McMason
aufgebahrt wurde. Der Totenzeremonie stand nichts mehr im Wege; der Kampf zwischen Ahura Mazda, dem Fürsten des Lichts, und Ahriman, dem Fürsten der Finsternis, konnte stattfinden.
Während die Frauen laut klagten, legte Yasna die Trauerkleidung an.
„Holt den vieräugigen Hund“, bat er. „Wenn Ahriman, der Herr des Bösen, den Leichendämon Nasu in Gestalt einer Aasfliege entsendet, soll ihn der Bann des Lichtes treffen.“
Der Hund wurde in die Aufbahrungskammer geführt. Sein drittes und viertes „Auge“ wurde von zwei weißen Stirnflecken symbolisiert.
Ein solcher Hund gilt als teufelsaustreibend, er vermag durch seine Blicke den Zauber der Dämonen zu bannen.
„Der Priester kommt“, meldete nun Meso, der bereits vor dem Hauseingang Ausschau gehalten hatte.
Das Weinen der Frauen verstummte.
Wenig später betrat der in ein weißes Gewand gekleidete Mann das Haus des Verstorbenen. Er trug in einer Schale das heilige Feuer bei sich, um damit den Aufbahrungsraum symbolisch zu reinigen.
Nach diesem Ritual begannen zwei Männer aus dem Dorf an der Leiche Wache zu halten, und der Priester sprach die Totengebete des Avesta.
Als die Zeit für die letzte Reise des verunglückten alten Mannes gekommen war, wurde er von zwei weißgekleideten Totenträgern übernommen. Es begann eine einsame Reise zu einem einsamen Ort – zu jenem merkwürdigen Rundturm nämlich, der außerhalb des Dorfes stand.
Den massiv erbauten Turm umgab eine Aura des Unheimlichen, obwohl er keineswegs durch eine imposante Höhe beeindruckte. Trotz seines beträchtlichen Durchmessers war er nur fünfzehn bis zwanzig Fuß hoch und hatte weder Fensteröffnungen noch Schießscharten. Beides wurde von seinen stillen Bewohnern auch nicht gebraucht, denn das seltsam anmutende Bauwerk war nicht für die Lebenden, sondern für die Toten bestimmt.
Es handelte sich um einen „Turm des Schweigens“ – ein Bauwerk, dessen Stille nur vom Geschrei der über ihm kreisenden Geier unterbrochen wurde. Und das insbesondere dann, wenn den Vögeln auf der Plattform des Turmes der Körper eines Verstorbenen zum Fraß vorgelegt wurde.
Da den Parsen ein Leichnam als „unrein“ gilt, soll er durch diese Bestattungsart der Berührung mit den Elementen entzogen werden.
Yasna hielt seine Gefühle unter Kontrolle. Er stand mit den anderen Männern des Dorfes vor dem Haus seines Vaters und sah den Totenträgern nach, die mit ihrer traurigen Last dem „Turm des Schweigens“ zustrebten.
Meso, der Nachbar, legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Dein Vater war ein guter Mann“, sagte er, „Ahriman und seine Dämonen werden ihm nichts mehr anhaben können. Für uns aber wird das Leben weitergehen, und zu diesem Leben gehört die Arbeit. Was wirst du tun, Yasna? Soll die Reise nach Bombay zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden? Falls du dich dazu entschließen solltest, schlage ich vor, daß wir die Boote wieder entladen, damit vor allem das Getreide nicht zu lange den Witterungseinflüssen ausgesetzt ist.“
Yasna schüttelte den Kopf. „Wir werden nach Bombay segeln, Meso, und zwar so, wie wir das vorgesehen hatten. Die Fahrt ist wichtig für unser ganzes Dorf, und sie war auch in Sinne meines Vaters. Um das Erbe, das er hinterlassen hat, kann ich mich auch noch nach unserer Rückkehr kümmern.“
Nachdem Yasna hoch kurze Zeit im Kreis seiner Familie verbracht hatte, setzte er zusammen mit Meso die Arbeit fort. Die vier Einmaster sollten wie geplant im ersten Morgengrauen des nächsten Tages auslaufen.
Doch die nächste Schreckensbotschaft ließ nicht lange auf sich warten.
„Ein fremdes Schiff!“ rief ein junger Bursche und deutete mit ausgestrecktem Arm hinaus auf die See.
In der Tat – ein riesiges Schiff näherte sich der Bucht. Die drohend aus der Bordwand blickenden Kanonenrohre sorgten dafür, daß die Dorfbewohner in helle Aufregung gerieten.
3.
Die Schebecke der Seewölfe segelte über Backbordbug liegend auf Südkurs. Ihr Ziel war Bombay, die Hauptstadt von Maharashtra.
Als besonders gut konnte man die Stimmung an Bord nicht gerade bezeichnen. Der ganze Ärger über die gescheiterte Surat-Mission steckte den Arwenacks noch zu sehr in den Knochen, und gar mancher von ihnen wünschte sich im Augenblick nichts sehnlicher, als sich einen gewissen Francis Ruthland persönlich vorknöpfen zu können.
Edwin Carberry, der Profos der Seewölfe, rieb sich allein schon bei dem Gedanken an eine solche Begegnung die mächtigen Pranken.
„Vor allem würde ich diesem lausigen Hundesohn gern die hellen Fischaugen etwas dunkler einfärben“, verkündete er Batuti, dem Mann aus Gambia. „Zuerst veilchenblau, dann grün und zum Schluß gelb. Selbst seine eigene Großmutter würde den Kerl nicht mehr erkennen.“
Batutis Augen waren auf die kabbelige Wasserfläche gerichtet.
„In Gambia“, so erklärte er, „verfährt man anders mit solchen Leuten. Der Stamm der Mandingos würde Ruthland ausstoßen und ihn mit einer Ziegenhaut voll Wasser und etwas Nahrung aus dem Dorf vertreiben. Und kein anderes Dorf der Mandingos würde ihn jemals aufnehmen. Er müßte sein weiteres Leben allein im Busch verbringen. Das ist schlimm, Ed, sehr schlimm.“
Diese Meinung teilte Edwin Carberry ganz und gar nicht.
„Das ist viel zu mild für einen tückischen Ziegenbock“, entschied er. „Mit dem entsprechenden Proviant könnte sich der Kerl ja unter jedem schattigen Baum gemütlich niederlassen. Nichts da – ich würde ihn zu Fuß die Wüste Sahara durchqueren lassen, aber ohne eine Ziegenhaut voll Wasser, sondern mit einer Pütz voll eingesalzener Heringe.“
Mac Pellew, der die Kombüse verlassen hatte, um Gemüseabfälle über das Schanzkleid zu kippen, hatte die letzten Worte Carberrys noch mitgekriegt und stieß ein meckerndes Lachen aus.
„Du hast wohl heute deinen rachsüchtigen Tag, wie?“
Der Profos bedachte den sonst meist recht griesgrämig dreinblickenden Koch mit einem finsteren Blick.
„Fang du nicht auch noch an, mit meinen Nervenfäden Zupfgeige zu spielen, du Trauerkloß. Verhol lieber in die Kombüse und rühr fleißig die Suppe um.“
Immerhin, da hatte ihnen die alte Lissy eine ganz schön dicke Suppe eingebrockt, als sie den Seewolf beauftragte, zum Wohle Englands nach Indien zu segeln, um dort den Boden für Handelsbeziehungen vorzubereiten. Zunächst war dieser königliche Auftrag den Arwenacks noch ziemlich reizvoll erschienen.
Nur hatten sie die Rechnung ohne den besagten Francis Ruthland gemacht – einen Kauffahrer und skrupellosen Geschäftsmann, der den vermeintlichen „großen Kuchen“ in Indien für sich allein haben wollte.
Er war den Seewölfen heimlich gefolgt und bereitete ihnen seitdem Schwierigkeiten, wo immer sich eine Möglichkeit dazu bot. Dabei war es sein erklärtes Ziel, die vermeintlichen Konkurrenten auszuschalten. Sie sollten auf keinen Fall nach England zurückkehren.
Mac Pellew hatte inzwischen wieder sein gewohnt essigsaures Gesicht aufgesetzt und strebte der Kombüse zu.
„Mir bleibt ohnehin nichts anderes übrig, als die Suppe umzurühren“, nörgelte er. „Ich habe die ganze Kocherei mal wieder allein am Hals.“
„Und was treibt der Kutscher?“ wollte der Profos wissen. „Haben wir nicht zwei Kombüsenhengste an Bord, was, wie?“
Mac winkte ab. „Der betätigt sich mal wieder als Knochenflicker. Dieser Holzkasten hier ist ja kein Schiff mehr, sondern ein schwimmendes Hospital. Bald haben wir nur noch Kranke an Bord. Beim Backen und Banken merkt man allerdings nichts davon, da hauen selbst die Todkranken rein wie die Scheunendrescher.“
Mac Pellew verschwand murmelnd und brummelnd in der Kombüse, und gleich darauf war ein lauter Fluch zu hören, weil er sich womöglich