Seewölfe Paket 34. Fred McMason
„Man kommt eben ein bißchen in der Welt herum und lernt überall etwas dazu“, sagte Hasard. „Was unsere Hilfe betrifft, so erwarte ich dafür keinerlei Entschädigung. Für uns war das völlig selbstverständlich. Sie haben sich bedankt, und damit ist die Sache erledigt. Sollte ich einmal mit meinen Leuten in Bedrängnis geraten und Sie sehen eine Möglichkeit, uns zu helfen, dann nehme ich Ihre Hilfe ebenso dankbar an.“
„Das ist eine sehr lobenswerte Einstellung, Senhor.“ Man sah de Pereira an, daß er seiner schmeichelhaften Bemerkung am liebsten einen Kratzfuß hinzugefügt hätte. Natürlich nur, um seine Person in ein angenehmes Licht zu rücken.
Der Seewolf winkte ab. „Lassen wir das. Ich mag kein Lob für Selbstverständlichkeiten. Reden wir lieber über Ihre Zukunft, Senhor de Pereira. Wie ich bereits erwähnte, sind wir ebenfalls Kauffahrer und befinden uns auf der Reise nach Bombay. Ich schlage deshalb vor, daß Sie und Senhor Cegos uns bis dorthin als Gäste begleiten. In Bombay dürfte es kein Problem für Sie sein, auf einem portugiesischen Schiff weitere Hilfe zu erhalten.“
„Das ist ein sehr guter Vorschlag, Senhor. Ich stimme ihm gern zu. Vielleicht kann ich sogar mit Hilfe meiner Landsleute die ‚Madre de Deus‘ finden und die Meuterer ihrer gerechneten Strafe zuführen, noch bevor diese Bande das ehrbare Handelsschiff zu einem Piratenschiff umfunktioniert. Glauben Sie mir, Senhor, mir bricht es fast das Herz, wenn ich nur an so etwas denke.“
Miguel de Pereira bekräftigte seine Worte mit einem scheinheiligen Augenaufschlag, und Rafael Cegos deutete mit einem eifrigen Nicken an, daß er der gleichen ehrenhaften Meinung sei. Über die einträglichen „Nebengeschäfte“, denen die „Madre de Deus“ bereits seit einiger Zeit unter ihrer Führung nachgegangen war, verloren die beiden Ehrenmänner natürlich kein Wort.
Hasard schickte sich an, die Krankenkammer zu verlassen. Am Schott angelangt, drehte er sich noch einmal um.
„Ich hoffe, Sie sind bis zum Backen und Banken wieder einigermaßen bei Kräften. Eine warme Mahlzeit wird Ihnen guttun.“
Die Portugiesen bedankten sich überschwenglich.
Als Hasard kurz danach auf das Achterdeck zurückkehrte, sah ihn Ben Brighton lächelnd an.
„Na, haben die Senhores ihre Herzen ausgeschüttet?“
„Das kann man wohl sagen“, entgegnete Hasard und berichtete in knappen Sätzen von den Vorgängen auf der „Madre de Deus“. „Die Geschichte, die die beiden erzählt haben“, fügte er noch hinzu, „mag in groben Zügen stimmen. Nur die ehrenwerten Senhores selber sind mir – zumindest im Hinblick auf die Art, in der sie auftreten – um einige Grade zu schmierig.“
5.
Die Sonne überzog die Decks der Schebecke mit einem flirrenden Hitzeschleier. Die meisten Arwenacks hatten längst ihre Hemden abgelegt und sich mit nackten Oberkörpern da niedergelassen, wo gerade Platz war – auf Taurollen, umgestülpten Pützen oder einfach auf den Planken.
Immer, wenn es die Witterungsverhältnisse erlaubten, zogen die Mannen das Backen und Banken unter freiem Himmel dem Aufenthalt im Mannschaftslogis vor.
Der verführerische Duft von Geräuchertem, der in der Nähe der Kombüse besonders intensiv war, ließ so manchen schon im voraus das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er trug dazu bei, die allgemeine Stimmung zu heben und die Intrigen des Francis Ruthland etwas in den Hintergrund zu drängen.
Sogar Old Donegals Miene hatte sich wieder etwas aufgehellt.
„Eines möchte ich ja gern wissen“, sagte er, während er sich mit der noch leeren Kumme etwas Wind zufächelte.
„Und das wäre?“ Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
Old Donegal räusperte sich, wohl wissend, daß wieder mal zahlreiche Augenpaare auf ihn gerichtet waren. Dann aber vollführte er eine belanglose Geste. „Nun ja, eigentlich ist es nichts Besonderes …“
„Warum möchtest du es denn gerne wissen?“ fragte Ferris.
Old Donegal gab sich aufgrund des allgemeinen Interesses gnädig.
„Na schön“, sagte er gedehnt. „Als denkender Mensch grübelt man eben über dieses und jenes so nach, nicht wahr?“
„Das sollte man von einem denkenden Menschen wohl annehmen, ja“, knurrte Ferris. „Falls du es vor dem Backen und Banken noch loswerden möchtest, rate ich dir zur Eile, denn wenn erst die Kummen gefüllt sind, hört dir keiner mehr zu. Das Kauen verschließt bekanntlich die Ohren. Du redest dann nur noch in den Wind, mein lieber Donegal.“
„Wirklich? Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Da muß ich direkt mal drauf achten“, sagte Old Donegal verblüfft. Da offensichtlich Eile geboten war, weil Mac Pellew jederzeit mit randvollen Schüsseln und Töpfen auftauchen konnte, fügte er hinzu: „Ich habe mir nämlich überlegt, warum die Meuterer auf der portugiesischen Galeone ihren Kapitän ausgerechnet auf eine Gräting gebunden haben. Zumeist ist es doch so, daß Kapitäne ihre Schiffe verteidigen und dabei im Kampf fallen. Oder …“
„Oder sie werden von den Meuterern an der Rah hochgezogen. Das wolltest du doch sagen, nicht wahr?“ Ferris Tucker bedachte Old Donegal mit einem Grinsen.
„So ist es in der Regel“, bekräftigte dieser.
Ferris nickte. „Sofern man überhaupt von einer Regel reden kann, magst du recht haben. Meistens läuft die Sache darauf hinaus. Aber vielleicht waren die Kerle besonders rachsüchtig. Das Hängen geht gewöhnlich schnell. Aber stell dir vor, du treibst tagelang hilflos auf eine Gräting gefesselt im Wasser und hast nicht das Glück, daß dir ein Schiff begegnet.“
„Was Schlimmeres kann’s kaum geben“, warf der hagere Jack Finnegan ein. „Ich kann eine solche Situation gut nachempfinden. Wenn ich nur daran denke, wie Paddy und ich damals im Mittelmeer von Haien umlagert auf der Plattform eines Marses hockten. Hättet ihr uns nicht aus dem Wasser gefischt, wäre es uns übel ergangen. Lange hätten wir das nicht mehr durchgehalten. Stimmt’s, Paddy?“
Der im Denken etwas langsame Paddy zog ein ernstes Gesicht. „Und ob das stimmt. Das war schlimmer als Zahnweh oder eine Schramme am Hintern.“
Old Donegal bedachte ihn wegen der Schramme mit einem tadelnden Blick, schluckte aber eine passende Bemerkung, die ihm bereits auf der Zunge lag, hinunter, weil sich der Seewolf in das Gespräch einmischte.
„Vielleicht hatte die von den Meuterern gewählte Art, ihren Kapitän zu beseitigen, etwas mit früheren Gepflogenheiten an Bord zu tun“, meinte er. „Es ist immerhin möglich, daß der Senhor gern die allgemein verbreitete Sitte oder Unsitte anwandte, seine Männer zum Auspeitschen an eine Gräting zu binden. Womöglich waren es gerade diejenigen, die sich auf eine ähnliche Weise an ihm rächen wollten.“
Auch dieses Motiv war einleuchtend und nicht von der Hand zu weisen. Zumindest hatten die aufgezeigten Möglichkeiten die Frage, die Old Donegal beschäftigt hatte, weitgehend beantwortet.
Hasard hockte inmitten seiner Mannen auf einer umgedrehten Pütz und fuhr sich mit der Hand durch das Haar, als Mac Pellew mit Hilfe von Philip und Hasard junior die kräftige Erbsensuppe mit Räucherspeck heranschleppte. Dazu gab es frische, selbstgebackene Brotfladen nach der Art, wie sie in orientalischen Ländern üblich war.
Dem Füllen der Kummen stand nichts mehr im Wege. Die Arwenacks hieben ordentlich rein.
Nur die Senhores aus Portugal fehlten noch.
„Vielleicht fühlen sie sich noch zu schlapp“, meinte Hasard. „Notfalls bringen wir ihnen das Essen in die Krankenkammer.“
Laut dem Kutscher, der jetzt auftauchte und das kurzfristige Erscheinen der Portugiesen ankündigte, war dies jedoch nicht notwendig.
„Sie bestanden lediglich darauf, ihre eigene, inzwischen fast trockene Kleidung anzuziehen“,