Glam. Simon Reynolds
Verständlichkeit der Texte, die klar ausgesprochen und im Sinne der Dramatik überdeutlich betont werden. In seiner Betrachtung der Varieté-Tradition des character songs schreibt Simon Frith, dass »der Sänger eine Rolle [spielt]«. Diese umfasst »weder Selbstausdruck […] noch kritischen Kommentar«. Stattdessen ist alles »eine Frage des Schauspiels«.
Auf das Album David Bowie trifft das uneingeschränkt zu. Die Single »Love You Till Tuesday« etwa ist eine vergnügliche Rangelei zwischen übertrieben englischer Aussprache (»hoping for a little romance« wird zum nasalen »romarnnnce« an Stelle des amerikanischen »romaaanse«) und komödiantischer Schauspielkunst – Bowie scheint darauf Kenneth Connor oder Jim Dale aus den Slapstick-Komödien der Carry On-Reihe zu imitieren. »We Are Hungry Men« – eine nur scheinbar ernsthafte, dystopische Warnung vor einer bevorstehenden Überbevölkerungskrise – steckt voller komischer Twists: eine nobel klingende Stimme, ähnlich der des Schauspielers Peter Sellers, liest astronomisch hohe Bevölkerungszahlen bekannter Städte in der Zukunft vor (New York zum Beispiel hat 80 Millionen Einwohner), später schlägt eine deutsche Nazi-Karikatur Massenabtreibungen und legalen Kindsmord vor und droht damit, jeden niederzumetzeln, der »schuldig befunden wird, mehr als die ihm zugewiesene Luft eingeatmet zu haben«.
Gewöhnlich findet Rock ’n’ Roll in erster oder zweiter Person statt: Er spricht als ein »I« oder manchmal als ein »we« und richtet sich an ein »you«. Zwischen 1966 und 1967 jedoch waren im Vereinigten Königreich Vignetten in dritter Person und satirische Darstellungen bestimmter »Typen« in Mode: Mit »Eleanor Rigby« und »Dedicated Follower of Fashion« gaben die Beatles und die Kinks den Weg vor, bald folgten ihnen große Hits wie Cat Stevens’ »Matthew and Son« und Keith Wests »Grocer Jack«. Bowies Debüt-LP lag mit seiner Dominanz an Porträts in dritter Person also voll im Trend. Der erste Track »Uncle Arthur« erzählt von einem emotional zurückgebliebenen, unverheirateten Ladenbesitzer, der bei seiner Mutter wohnt, während »Little Bombardier« von einem verbitterten Kriegsveteran handelt, dessen Freundschaft zu kleinen Kindern unfairerweise von der feindseligen, verständnislosen Welt mit Argwohn betrachtet wird. »Join the Gang« ist eine Satire auf die Swinging Sixties, die deren Standardcharaktere abarbeitet, zum Beispiel den Sitar-spielenden Existentialisten Johnny, das ehemalige Model Molly, oder Arthur, den Sänger einer »heavy« Band, der den Blues krächzt und gierig säuft.
Selbst wenn er in erster Person singt, spielt Bowie auf dem Album eine Rolle, etwa in »Please Mr Gravedigger«, dem letzten Song der Platte. Dieser wird weniger gesungen, sondern vielmehr rezitiert und mit Soundeffekten (Kirchenglocken, entferntem Donner, strömendem Regen und fließendem Wasser, lautem Niesen und, natürlich, dem Buddeln einer Schaufel) ausgeschmückt, sodass er mehr einem kleinen Radiohörspiel ähnelt als einem Song. Der Plot macht nicht wirklich Sinn – der Erzähler ermordet ein kleines Mädchen, beichtet seine Tat dem Totengräber und hebt dann ein Grab für diesen aus, damit keiner von seinem Geheimnis erfährt –, aber mit seiner schrullig-makaberen Atmosphäre ist es das erstaunlichste und originellste Stück auf David Bowie.
Das seinerzeit erfolglose Album und einige bei Deram erschienene Singles und B-Seiten dieser frühen Phase wurden 1973, nachdem Bowie zum Star geworden war, als die Doppel-LP Images 1966–1967 wiederveröffentlicht. (Deram veröffentlichte – ohne Bowies Zustimmung – »The Laughing Gnome« erneut als Single. Diesmal schaffte es der Song zum Entsetzen des Künstlers in die Top 10.) Die Liner Notes beschreiben die Zusammenstellung als »Album von Showtunes, die keiner Show angehören«. Obwohl Characters dem Inhalt des Albums angemessenerer gewesen wäre, ist Images ein vielsagender Titel, der etwas Essentielles an den 1960ern einfängt, die Bowie prägten und ihm später ermöglichen würden, die britischen 1970er zu dominieren.
Wie Bolan war auch Bowie den Mods verfallen, einer Jugendbewegung, die so viel Wert auf ihr Image legte wie keine zuvor. Seine frühen Bands, wie The Lower Third und The Manish Boys, passten alle in die Mod-/Brit-R&B-Sparte. Der Subkulturanalytiker Dick Hebdige hat über eine Mod-spezifische Art zu stehen geschrieben, eine Körperhaltung, die Blicke auf sich lenken sollte (ob die dann beeindruckt oder empört waren, war ziemlich egal). Diese steife Pose – die Hebdige in seinem Essay »Posing … Threats, Striking … Poses: Youth, Surveillance, and Display« als »autoerotisch« bezeichnet – verwandelte »die Tatsache, unter Kontrolle zu stehen in das Vergnügen, beobachtet zu werden […]. Manche Jugendliche streben die Eintönigkeit und Stille von Fotografien an. Nur durch die bewundernden Blicke von Fremden werden sie komplettiert.«
Das verstärkte Gefallen junger Männer am eigenen Erscheinungsbild während der 1960er – bei altmodischen Männern als »weibisch« und »tuntig« verschrien – war zu einem großen Anteil dem Aufstieg von Fotografen zu Stars geschuldet. »Der Pop-Fotograf […] hat diese Eigenschaften, die bis in die 1960er wesentlich als homosexuell galten, gewandelt und sie denjenigen geöffnet, die vormals als ›red-blooded males‹* bekannt waren«, schrieb George Melly in Revolt into Style. Nicht nur zelebrierten Starfotografen wie David Bailey die klassenlose Aristokratie im Swinging England, wo die Hierarchie durch Stil und Aussehen bestimmt war. In gewisser Weise war sie ihre Kreation.
Nachdem das neue Dandytum durch die Mods losgetreten und durch die Modeseiten von Qualitätsmagazinen und Werbeanzeigen von Starfotografen verbreitet worden war, erreichte es auch den Mainstream. Waren Fernsehmoderatoren zuvor seriös, aber ohne jeden Schick gekleidet, gab es nun etwa Simon Dee, der von einem Piratensender ins Fernsehen wechselte, wo er eine Talkshow moderierte. Dee war ganz bewusst »up to date«. 1968 schwärmte er in seinem Simon Dee Book vom damaligen Gesinnungswandel:
»Vor zwanzig Jahren galt es noch als weibisch, sich als Mann für Mode zu interessieren und niemand nahm einen ernst. Stattdessen bestand Ausgehkleidung aus einem formlosen, grauen oder blauen Anzug mit Hosenaufschlag, einem weißen Hemd und einer Krawatte, wie man sie von seiner Tante immer zu Weihnachten bekam. […] Nachdem die Carnaby Street auf der Bildfläche erschienen war, störte sich niemand mehr an lila Gehröcken, pinken Hemden und Stiefeln aus Wildleder. Auf einmal galt es als smart, auf das eigene Erscheinungsbild zu achten. Deine Kumpels hielten dich überhaupt nicht mehr für verweichlicht – sie waren ohnehin zu sehr damit beschäftigt, selbst in den Boutiquen auf Jagd zu gehen. […] Hoch die Revolution – verbannt all die trostlosen Grautöne und Nadelstreifen der Regenschirm-Fraktion! Lasst die Pastellfarben, Voile- und Mohairstoffe der whiz kids die Kontrolle übernehmen!«
Bowie war ebenso Produkt wie Vermittler dieses Wandels. »Ich habe ihm mal Fragen über seine Mod-Phase gestellt«, erinnert sich Michael Watts vom Melody Maker. »Ich fragte: ›Wie warst du so drauf?‹ Und Bowie sagte: ›Nun, ich habe Eyeliner und Cossack-Haarspray getragen, was jeder tat. […] Ich denke, man könnte sagen, ich war camp mit Eiern.‹«
Bowies androgyne Qualitäten waren es auch, die seine verschiedenen Manager und Mentoren während seiner »Ausbildung« zum Star so faszinierten. Noch bevor er den entsprechenden Sound gefunden hatte, hatte er den Look einer potentiellen Ikone.
Marc Bolan glaubte, dass Bowies Interesse an Pantomime durch Anthony Newleys Stop the World – I Want to Get Off geweckt worden war. Doch als Bowie 1968 auf das Werk Lindsay Kemps und seiner kleinen Theatertruppe stieß, entdeckte er eine Art der Pantomime, die deutlich experimenteller und grenzüberschreitender war. Kemp war beeinflusst von Jean Genet und Oscar Wilde sowie japanischer Theaterkunst wie Kabuki.
Es war allerdings Kemp, der zuerst auf Bowie zukam. Dessen Debütalbum war in Kemps Besitz geraten. Die Songs – und ihr Sänger – entzückten ihn so sehr, dass er »When I Live My Dream« (eine von Bowies süßlicheren Nummern im Newley-Stil) in sein aktuelles Programm aufnahm. Dann lud er Bowie ein, sich die Performance in einem winzigen Dachgeschoss in einer Gasse im Herzen von Londons Theaterviertel anzusehen. Kemps Act, der auf die Kunstfigur des Pierrot zurückging, begeisterte Bowie, der nach der Show in Kemps Wohnung in Soho auch mit dessen Freunden in Kontakt kam. Bald darauf nahm er Tanzstunden bei Kemp, außerdem wurde er Teil seiner Truppe und arbeitete mit ihm an dem Stück Pierrot in Turquoise. Und sie wurden ein Liebespaar.
»Alles, was ich für die Bohème hielt, lebte