Glam. Simon Reynolds
Energie der pseudo-amerikanischen Flapsigkeit der Sprüche der DJs in nichts nachstand.
Später würde Bowie mit Stolz zurückblicken auf sein kurzes Engagement in der Werbung, einer Industrie, die, so Bowie, das 20. Jahrhundert so geprägt habe wie die Rockmusik. In den 1960ern selbst jedoch war dieses Verhältnis eher gespalten. Das Authentizitätsstreben der damaligen Bohème ging auch an ihm nicht spurlos vorbei, die Suche nach dem wahren Ich führte ihn und seine Zeitgenossen zu Black Music (Blues, Soul, Jazz), zu den Schriftstellern der Beat-Generation, zum Ruhm Bob Dylans als Poet wie Prophet und zur Spiritualität des Orients. Aber er war ebenso konsequent anpassungsfähig und unglaublich ehrgeizig, etwa wenn er die Marke Bowie den neuesten Entwicklungen der Modewelt anpasste. Letzten Endes wurden alle Ausverkaufsvorwürfe seitens der Beatniks durch Bowies eisernen Willen, zu verkaufen und verkauft zu werden, in den Schatten gestellt.
Bowies 1960er waren einerseits eine Zeit der Selbstfindung und spirituellen Suche. Andererseits probierte er sich in dieser Zeit aber auch darin aus, sich selbst zu konstruieren und zu vermarkten, durch Interviews, Aufnahmen, Auftritte und Imagewechsel ein Produkt nach dem nächsten einzuführen. Die drei Alben und 13 Singles, die Bowie zwischen 1964 und 1970 veröffentlichte, waren weniger »Werbung für mich selbst« als Versuche, ein Ich zu erschaffen, das die Öffentlichkeit würde kaufen wollen.
Es war eine Art magische Motivation, die Bowie durch diese sieben Jahre voller Flops, Fehlstarts und Unschlüssigkeit brachte. Wie auch bei Bolan brannte unter der Oberfläche eines Chamäleons pure Willenskraft.
David Bowie wurde am 8. Januar 1947 geboren. Seine frühe Kindheit verbrachte er in Brixton, einem Südlondoner Stadtteil, in dem Theater und Showbiz traditionell stark vertreten sind. Mit dem Erfolg seines Vaters in seinem Job für Barnado’s zog die Familie schließlich weiter Richtung Süden in den Vorort Bromley.
Im Lauf seiner Karriere machte Bowie unterschiedliche Angaben über seine soziale Herkunft. Mal bezog er sich auf die Mittelschicht, ein anderes Mal auf die Arbeiterklasse. Das hatte er gemein mit anderen zentralen Figuren der britischen Popgeschichte von Pete Townshend bis Paul Weller. Sie alle kamen aus einer schwer greifbaren Schicht innerhalb der britischen Gesellschaft, die die gebildete Arbeiterklasse ebenso umfasste wie das sozial unsicher gestellte Bürgertum und das, was man die nicht wohlhabende Mittelschicht nennen könnte, also Fach- oder Bürokräfte, deren Einkommen sich nicht mit ihren Ambitionen deckte.
Bowies Eltern verbanden sozialen Aufstieg und Fall. Sein im Norden aufgewachsener Vater Haywood verlor sein Erbe von der Schuhfirma seiner Familie durch Showbiz-Spekulationen nahezu vollständig. Seine Mutter Peggy war vormals Kellnerin und hatte einen außerehelich geborenen Sohn, der viel älter war als sein Halbbruder David. Sie war eine Ex-Arbeiterklassen-Tory, deren verbitterte Lebenseinstellung von den Entbehrungen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt war, wie auch von einer sich durch ihre Familie ziehenden Geschichte psychischer Erkrankungen.
»In meiner Familie gibt es eine große Menge an emotionaler Erniedrigung«, beschrieb Bowie seine Erziehung. Zwar verehrte er seinen Vater, doch die Beziehung zur Mutter war kühl. Die Spannungen in seinem häuslichen Umfeld dürften genauso zu seinem Gefühl, »außerhalb von allem« aufzuwachsen, beigetragen haben wie die unsichere soziale Situation seiner Familie und Bromleys Randlage im Vergleich zu Greater London. In seiner Kindheit war er meistens der klassische Träumer – ein Einzelgänger, der sich »in mein Zimmer zurückzog«.
Wie bei so vielen britischen Kids Mitte der 1950er kam Bowies erster Vorstoß in musikalische Gefilde während des Skiffle-Booms. Skiffle war die britische Neuinterpretation eines rauen Blues-Folk-Sounds, der ursprünglich im Amerika der 1920er populär war. Hits wie »Rock Island Line« von Lonnie Donegan führten zu einer Do-It-Yourself-Welle tausender Jugendlicher, die zu einfachen Instrumenten (einer Akustikgitarre oder, in Bowies Fall, einer Ukulele) und Haushaltswaren (dem im Rhythmus geschlagenen Waschbrett) griffen. Ergänzt wurde das um notdürftig zusammengebaute Ersatzinstrumente, etwa einen Kontrabass aus einem Besenstil, einer Schnur und einer als Resonator fungierenden Teekiste. Aus diesen Skiffle-Combos wurden schnell Rock-’n’-Roll-Bands, als Elvis Presley, Little Richard, Buddy Holly und andere im Vereinigten Königreich weite Kreise zogen. Bowie allerdings trat erst im Sommer 1962 seiner ersten Band The Kon-Rads bei. Zu diesem Zeitpunkt spielte er bereits Saxophon.
Gegen Ende desselben Jahres brach die Beatlemania los. Als Resultat löste die Beat-Band den Solokünstler plus Backing-Band (Vince Taylor and the Playboys, Johnny Kidd and the Pirates usw.) als dominierende Strömung im britischen Pop ab. Backing-Bands standen für gesichtslose Professionalität, Flexibilität und taten, was man von ihnen verlangte. Beat-Bands hingegen waren »organischer«, was bedeutet, dass sie Entwicklungsspielraum hatten. Meistens entstanden sie durch Freundschaften und Zufälle. Das brachte mit sich, dass die Mitglieder nicht alle gleich gut an ihren Instrumenten waren und auch ihre Einflüsse und Vorlieben sich unterschieden. Aus dem recht kleinen Feld, in dem sich all das überschnitt, entstand dann der charakteristische Sound, von dem aus eine Band sich weiterentwickeln würde.
Von außen wirkte so eine Gruppe fast wie eine Gang, im Inneren funktionierte sie quasi wie eine Familie. Die Band als explosive, kreative Maschine, die sich auf ein musikalisches Abenteuer begibt: Darauf basieren die Erfolgsgeschichten der britischen Rock-Szene der 1960er. Fast all die Größen, die neue Richtungen vorgaben – The Beatles, The Rolling Stones, The Kinks, The Who, The Yardbirds, Pink Floyd – hatten feste, dennoch flexible Bandstrukturen, die ihnen Kollaborationen (mit Produzenten, Gastmusikern) genauso ermöglichten wie den Austausch wichtiger Mitglieder, wenn diese ein psychisches oder ein Drogenproblem entwickelten (wie im Fall von Brian Jones und Syd Barrett). Ihr Kern, ihre musikalische Chemie und ihre Loyalität untereinander blieb dabei intakt.
Eine lange Zeit spielte David Bowie in den 1960ern ebenfalls in Bands, dennoch hatte er kaum etwas mit der britischen Beat-Revolution zu tun. Stattdessen ging er wie ein Solokünstler vor, ließ Bandmitglieder hinter sich, wann immer seine Karriere Gefahr lief, stillzustehen, und erschuf sich ein neues Umfeld. Von 1963 bis 1968 war er flüchtiges Mitglied einiger Bands: The Kon-Rads, The Hooker Brothers (die sich dann mit The King Bees zusammentaten), The Manish Boys, The Lower Third, The Buzz, The Riot Squad, Feathers. Als Solokünstler schließlich versammelte er immer wieder wechselnde Line-ups von Begleitbands und Kollaborateuren um sich.
Es gibt kaum andere große Künstler, deren Karrieren in den 1960ern – ja, sogar in den 1970ern – von solch einer Mobilität und dieser geradezu chronischen Verweigerung, bei einem Stil oder einem künstlerischen Umfeld zu bleiben, gekennzeichnet war. Klar, andere wichtige Künstler der Ära passten sich neuen Trends an: Steve Winwood etwa wandte sich, als er von der Spencer Davis Group zu Traffic wechselte, vom R&B der Mod-Ära ab und der Psychedelia zu, später spielte er folkig-jazzig angehauchten Progressive Rock. Bowie jedoch verwarf seinen Stil abrupt und vollständig. Es wurde zu seinem Markenzeichen, etwas, für das er später gelobt und bewundert werden sollte. In den 1960ern wirkte er damit allerdings noch wie ein Wannabe von vielen, der von einem Fehlversuch in den nächsten tappte. Ebenso tappte er von Vorbild zu Vorbild: Keith Relf von den Yardbirds, Bob Dylan, Anthony Newley und einige mehr.
Von den Genannten hatte Anthony Newley, den man nahezu als das Fundament von Bowies frühem Stil bezeichnen könnte, den größten Einfluss. »Ich war der schlechteste Imitator der Welt … ein Jahr lang war ich Anthony Newley«, erinnerte sich Bowie 1973 dem NME gegenüber, als er darüber sprach, wie junge Künstler ihre Eindrücke notwendigerweise zuerst durch das Imitieren der Künstler, die sie beeindruckten, verarbeiteten. »[Newley] war einer der talentiertesten Künstler, die England je hervorgebracht hat«, schwärmte Bowie, immer noch ganz Fan. Newley mag inzwischen größtenteils vergessen sein, in den späten 1950ern und 1960ern jedoch war er eine der bekanntesten und beliebtesten Figuren im Showbiz. Bowie wurde wohl teils von dessen großer künstlerischen Vielseitigkeit angezogen: Newley war Sänger und Recording Artist, Songwriter für andere Interpreten, Schauspieler in Theater, Film und Fernsehen, und komponierte Musicals. Bowie fand darin Vorbild und Ideal.
Bowies Biografen, Kritiker und Fans beschäftigen sich meist kaum damit, wie viel er Newley verdankt, sei es aus Verwirrung oder