Emma schreibt. Armand Amapolas

Emma schreibt - Armand Amapolas


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beugte sich vor und streckte Emma seine Rechte über den Tisch hinweg zu. Sie schlug nach kurzem Zögern ein und gab sich Mühe, Hanischs sehr festen Händedruck angemessen zu erwidern.

      Der Kellner räumte die Teller ab und fragte, ob sie noch etwas wünschten. »Café? Cortado?« Hanisch sah Emma fragend an. Sie nickte. »Cortado wäre gut.« Der Kellner bestätigte: »Dos Cortados.« Er zog sich wieder zurück.

      »Also. Zunächst einmal: ich könnte jetzt sagen, ich will mich an niemandem rächen, ich will niemandem schaden. Ich wolle nur aufschreiben – aufschreiben lassen –, wie es wirklich gewesen ist. Aber wir zwei beide müssen uns nichts vormachen: ich will natürlich, dass meine Sicht der Dinge wahrgenommen wird. Und wenn dabei jemand zu Schaden kommt, dem ich das durchaus gönnen würde, dann hätte ich nichts dagegen. Ich bin auch nur ein Mensch. Zwar getauft, aber aus der Kirche auch wieder ausgetreten, und die Sache mit der linken und der rechten Wange hat mir noch nie so richtig eingeleuchtet. Manche Menschen verdienen einfach ein paar kräftige Watschen.«

      Der Kellner stellte zwei Tässchen mit milchschaumbekröntem Kaffee vor den beiden ab und verschwand erneut. Emma blickte sich um und fühlte sich gut. Ihre Entscheidung, nichts zu unterschreiben, hatte sie ganz spontan gefällt. Und es war richtig gewesen so, ganz offensichtlich. Und hey! Sie saß auf Teneriffa, in edlem Ambiente, zwischen Ozean und Bergen, umweht von einer leichten Brise. Perfekt. Keine fünfzig Meter von ihrem Bühnenplatz entfernt sah sie Menschen in Badekleidung, sich auf Steinen sonnend. Dann und wann stieg jemand Stufen hinunter ins kristallklare Wasser und schwamm ein paar Züge. Auch zwei Schnorchler fielen ihr auf.

      »Wie kann man an einem so schönen Ort an Rache denken?« Emma imitierte die Geste einer Maklerin, die ihrem Kunden Terrasse und Garten einer Prachtvilla präsentiert. »Das klingt vielleicht komisch: aber sollten Sie nicht dankbar sein, jetzt hier zu leben und nicht im gräulichen Ruhrgebiet oder zwischen all den Wichtigtuern in Berlin?«

      »Gute Frage. Aber erstens ist das Ruhrgebiet, wie wir beide wissen, nicht nur grau, und Berlin ist auch ganz nett, jedenfalls wenn man Anlass hat zu glauben, man gehöre zu den Wichtigen dazu. Und Politik ist, das können Sie vielleicht nicht verstehen, weil Sie auf der anderen Seite arbeiten und noch sehr jung sind, aber Politik ist eine Droge. Ein Aphrodisiakum. Im übertragenen und für manche auch im eigentlichen Sinn. Sie glauben ja nicht, wie attraktiv sogar ein Mann meines fortgeschrittenen Alters auf junge ehrgeizige Frauen wirkt. Auf manche. Da stört auch mein Bäuchlein nicht, das ich hier so angenehm mit einem weiten Hemd kaschiere. Macht – oder die Vermutung der Macht – wirkt betörend. Und von mir weiß jetzt leider jeder – und jede: der hat keine Macht mehr. Der ist erledigt. Es ist aus. Und vorbei.«

      Emma fand, dass Hanisch, während er ihr dies erzählte, keineswegs erledigt aussah. Sondern höchst lebenslustig und agil. Und aus Sicht mancher Frauen sicher auch nicht unattraktiv.

      »Sie gucken so zweifelnd. Vielleicht überzeugt es Sie eher – Sie scheinen ja ein sehr westfälisch nüchtern veranlagter Mensch zu sein –, wenn ich sage, dass ich sehr gern Einfluss nehme. Einfluss genommen habe. Mehr ist das ja nicht, was Macht bedeutet. Jedenfalls im demokratischen Rechtsstaat. Ich wollte die Welt verändern, als ich jung war. Verbessern. Gerechter machen. Für weniger Ungleichheit sorgen. Chancen für alle. Mehr Demokratie wagen. Abschaffung der letzten Privilegien. Aufstieg durch Bildung. Darum ging es uns. Auch um die Bewahrung der Umwelt. Kampf der Atomindustrie! Stoppt den Rüstungswettlauf! Und dann hat der Kapitalismus gewonnen, 1989ff. Und was wir jetzt erleben, ist, wie er seinen Triumph voll auskostet. Aber auch das, da bin ich mir sicher, wird vorübergehen. Denn wenn ihn niemand festhält und ihm Regeln aufzwingt, dem Kapitalismus, dann geht er durch wie ein wilder Hengst in der Prärie. Occupy Wall Street und all dies: das sind nur die ersten Zeichen, dass sich wieder was rührt. Und im Übrigen: natürlich agiert der demokratische Staat als ideeller Gesamtkapitalist. Immer. Das muss sogar so sein. Er tut das umso unbelästigter, je direkter der Einfluss des Geldes auf die Auswahl der Politiker ist. Sehen Sie sich die USA an! Entweder Sie haben Millionen oder Sie haben die Unterstützung von Multimillionären und Konzernen, sonst kann aus Ihnen dort nichts werden, in der Politik. Dass wir davon noch ein ganzes Stück entfernt sind – und dass wir dahin nie kommen werden, glauben Sie einem etwas älteren Mann –, das ist kein Zufall. Das ist das Ergebnis von Politik. Von Kampf. Das Kapital wird nur im permanenten Kampf gebändigt. Dafür haben tapfere und kluge Menschen, die vor uns gelebt haben, tapferere und klügere, große Opfer gebracht. Und wir haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, verdammt noch mal, dass diese Opfer wenigstens nicht vergeblich waren.«

      »Wow!« Emma deutete stumm Applaus an. Hanisch hatte sich in Rage geredet. »Schade, dass Politiker heute selten so reden wie Sie gerade. Ich jedenfalls würde Sie wählen, nach dieser Rede.«

      »Danke. Und weil ich es sehr schade finde, dass Sie diese Wahl nicht mehr haben, deshalb sitzen wir beide jetzt hier zusammen. Und Sie werden aufschreiben, was ich Ihnen sonst noch zu erzählen habe. Deal?«

      »Deal.«

       5

      Derartige Hotels kannte Emma sonst nur von außen und aus Filmen. Oder jedenfalls war sie über die Lobbies nicht hinausgekommen.

      Hanisch hatte ein Taxi herbeitelefoniert. Es war dasselbe wie auf dem Weg vom Airport zum Auditorio. »Machen Sie sich um die Bezahlung keine Sorgen. Es ist alles geregelt. Auch Ihr Gepäck steht, hoffentlich, bereits in Ihrem Zimmer.«

      Emma fand, Ihr Patagonia-Rucksack wirkte auf dem Kofferständer leicht deplatziert. Noch kannte sie den Zimmerpreis nicht, aber vermutlich übertraf der pro Nacht bei weitem die Höhe jedes Honorars, das sie für ihre Artikel erhielt. Wer hier eincheckte, tat das vermutlich normalerweise mit einer Batterie Alukoffer oder Louis-Vuitton-Taschen. Und hatte Garderobe. Emma sprach laut vor sich hin und nur zu sich selbst: »Ich habe gar nichts anzuziehen.« Ihre Unterwäsche und ihre paar T-Shirts samt der zweiten Jeans aus dem Rucksack zu nehmen und in dem geräumigen Schrank aus mattem Holz zu verteilen, erschien ihr wie der Beleg, dass sie hier nicht hingehörte. Sie kam sich wie eine Hochstaplerin vor. Felicitas Krull. »Emma, lass das!« ermahnte sie ihr Spiegelbild, nachdem sie mit den spärlichen Inhalten ihres winzigen Necessaires die Ordnung des Badezimmers aufgemischt hatte: »Mach dich nicht runter! Du hast einen Auftrag. Du hast einen Job. Dieses Zimmer steht dir zu.« Vornehmheit, redete sie sich ein, sei keine Frage der Kleidung, sondern der Haltung. Und die würde sie, Emma C. Schneider aus Wanne-Eickel, zu wahren wissen, auch im Victoria.

      Hanisch hatte ihr erzählt, in genau diesem Hotel habe schon der Generalísimo Franco gerne gewohnt. Aber es sei schon vor Franco das Erste Haus am Platz, also in der Hauptstadt, gewesen. »Und heute ist es natürlich durch und durch demokratisiert. Und modernisiert. Ich glaube nicht, dass Sie der Geist des Diktators dort belästigen wird. Und falls doch, dann finden wir eine andere Unterkunft für Sie. Allerdings nichts Besseres.«

      Die Lobby war scheinbar nicht darauf angelegt zu blenden. Anders als in 4- oder 5-Sterne-Luxushotels. Mit Jörg hatte sie mal in so einem einen All-inclusive-Urlaub gemacht, in der DomRep, wie die Dominikanische Republik im Slang der deutschen Urlaubsprofis hieß. Von der Republik hatten sie dort nicht viel gesehen, außer dem Flughafen und bewaffneten Polizisten an jeder Straßenecke. Wieso braucht eine Republik so viele bewaffnete Polizisten? Eine Woche lang – für mehr hatte ihr Geld nicht gereicht, Gott sei Dank! – hatten sie das Hotelgelände nicht verlassen. Morgens, mittags, nachmittags, abends: immer standen überladene Buffets zur Auswahl. Alles sah üppig und nach schierer Verschwendung aus – was es wahrscheinlich auch gewesen ist. Was machten die Leute mit den Resten? Hungrige füttern, jenseits des Stacheldrahts, mit dem das Hotelareal gesichert war? In Wahrheit war alles billig gewesen. Offenbar galt die Regel: viel ist gut, mehr ist noch besser. Auch an den Bars. Emma hatte schon am zweiten Tag genug von diesem All-inclusive-Irrsinn gehabt und wäre am liebsten heimgeflogen. Sie vergrub sich in ihren – zum Glück – mitgebrachten Büchern. Jörg allerdings gefiel das Hotel. Das hatte ihrer Beziehung den ersten ernsten Knacks versetzt.

      Dieses Hotel war offensichtlich anders. Es trumpfte nicht auf. Es war einfach da und simulierte Perfektion in einer unperfekten Welt. Schon der Eingang: fast versteckt lag


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