Münchhausenschock. Deborah Emrath

Münchhausenschock - Deborah Emrath


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Vielen Dank.«

      »Wovon gehen Sie denn jetzt aus? Hat jemand sie getötet? Wir können einfach nicht glauben, dass sie sich selbst umgebracht hat.«

      »Wir ermitteln in alle Richtungen«, antwortete Emma diplomatisch. Dann verabschiedete sie sich und verließ die Wohnung.

      Auf dem Weg zurück nach Bodenwerder bat sie Daniela über die Freisprecheinrichtung ihres Telefons, die Akten zum Fall des getöteten Jungen in der Münchhausenschule zu besorgen. Auch ihr war nicht klar, wie es zu einem solch tragischen Vorfall hatte kommen können. »Ach, und - könntest du zur Wohnung von Frau Merker kommen? Ich will mich mal ein wenig umsehen.«

      Die Wohnung von Frau Merker war eine Eigentumswohnung - darauf hatten die Eltern bestanden. Nicht gemietet, sondern gekauft, ihre Tochter wusste mit Geld umzugehen. Sie lag im Neubaugebiet von Bodenwerder. Emma hatte den Verwalter informiert, sich Handschuhe übergezogen und mit Hilfe des Schlüsselbundes, den sie in der Handtasche von Frau Merker gefunden hatte, aufgeschlossen. Die Dachgeschosswohnung hatte einen Kamin. Küchenraum und Essbereich waren durch einen Rundbogen verbunden. Durch die Fenster konnte Emma das Wesertal überblicken. Wunderschön - nur eben ohne Garten, vermutlich hatte sie deshalb den Stellplatz für ihr Wohnmobil direkt an der Weser gemietet. An der Wand im Wohnzimmer war eine Vitrine angebracht, Frau Merker hatte allerlei Pokale darin ausgestellt. Alle drehten sich um den Rollschuhsport. Anscheinend war sie für einen Verein in Aerzen angetreten.

      Es klopfte. Daniela. »Hey, Emma, wow, so eine Wohnung hätte ich auch gerne - bitte an der Binnenalster«, meinte sie anerkennend, als sie sich umsah. »Okay, ich nehme mir Küche und Schlafzimmer vor, wenn es recht ist.«

      Emma nickte. Und wo sollte sie am besten anfangen? Emma stöberte etwas ziellos in den Schränken und Schubladen im Wohnzimmer, ließ alles auf sich wirken. Hatte sie irgendwo Fotos aufbewahrt, die etwas über ihr Leben verrieten?

      »Hier ist etwas«, rief Daniela aus dem Schlafzimmer. »Schau mal, die waren unter dem Bettzeug versteckt. Die gehören ihr doch nicht?« Emma ging zu ihr. Sie hatte ein paar Rollen für Rollschuhe in der Hand. »Die waren hier drin.« Sie hielt ein sorgfältig und liebevoll genähtes Säckchen hoch. Emma begutachtete den Fund: Auf der Vorderseite standen die Initialen H. T., die Buchstaben bestanden aus Spitze, wunderschöne Handarbeit. Das waren bestimmt nicht Carolin Merkers Rollen. Seltsam.

      Emma nahm sich nun den PC der Sonderschullehrerin vor. Sie würde ihn zwar noch sicherstellen und der IT-Abteilung übergeben, aber sie musste einen Überblick gewinnen. Wonach hatte sie zuletzt im Internet gesucht? Konnte sie dort Hinweise darauf finden, dass sie aus dem Leben scheiden wollte?

      Die letzten Suchanfragen im Browser ließen darauf schließen, dass sie ein Waschbärenproblem hatte, zumindest suchte sie nach Möglichkeiten, einen Waschbären zu fangen. Sie hatte nach Fallen gesucht, sich informiert, was Waschbären gerne fressen. … Das war aber auch alles. Es gab keinerlei Hinweise auf eine Selbsttötungsabsicht.

      Seltsam. Der Verwalter hatte am Telefon nichts von einem Waschbären erzählt, als sie ihn fragte, ob es irgendwelche Probleme gegeben habe. Er hatte nur angemerkt, dass er sich gewundert hat, dass sie bei so vielen guten Interessenten den Zuschlag für den Kauf der Wohnung bekommen habe.

      Vielleicht bestand das Problem am Wohnwagen? Sie wandte sich mit dem Drehsitz des Schreibtischstuhls um. »Daniela? Hast du mit dem Besitzer des Campingplatzes gesprochen?«

      »Ja, als du im Caravan warst. Warum?«

      »Hat er da etwas über einen Waschbären auf dem Platz gesagt? Oder andere Probleme bezüglich Frau Merker und ihrem Stellplatz?«

      »Nein, sie hat pünktlich gezahlt und alle Vorgaben eingehalten. Wie er es bei allen gerne hätte. Ist dir etwas aufgefallen?«

      »Nur etwas, was merkwürdig ist. Merker hat sich über Waschbären informiert, ich frage mich, was der Grund dafür ist.« Achselzuckend drehte sie sich wieder zum PC.

      Emma stöberte in einem Ordner »ETW«. Ah! Das war ja merkwürdig. Hier gab es eine Liste mit Baumängeln und einen Brief an eine Maklerin, Sabine Klenkemeyer, in der sie anbot, diese zu beseitigen, wenn sie die Wohnung bekäme. Über den Preis würde man sich sicher einig. Sie nannte darin auch die potentiellen Interessenten, denen sie andernfalls diese Baumängel bekannt machen müsse - schließlich sollten sie nicht ins offene Messer rennen.

      Wie großzügig! Frau Merker schien zu wissen, wie sie etwas bekommt, das sie haben möchte.

      Sie nahm sich die Liste vor und schaute sich dementsprechend die Wohnung noch einmal genauer an. »Daniela? Kommst du mal? Das hier ist seltsam. Du hast dich doch auch ein wenig mit Häusern beschäftigt. Findest du diese Mängel hier in der Wohnung?« Emma hatte sich zusammen mit Andreas gerade selbst ein Haus gekauft, war also mit der Materie vertraut.

      Auch Daniela sah sich stirnrunzelnd um. »Bist du sicher, dass diese Wohnung gemeint ist?« Sie durchsuchte den Ordner im Schrank, in dem Frau Merker Unterlagen zu ihrer Wohnung aufbewahrte und der sorgfältig beschriftet war. »Es gibt auch keine Rechnungen dazu.«

      »Also denkst du wie ich.« Die beiden Frauen sahen sich im Zeichen stummen Einverständnisses an. Das konnte doch nicht sein!

      »Was für ein gerissener Schachzug«, murmelte Emma halb bewundernd halb abgestoßen. »Bevor die Maklerin die Vorwürfe klären kann, sind die Interessenten schon abgesprungen und ihr Ruf ist ruiniert.«

      Im nächsten Ordner auf dem PC war eine Datei, bei deren Inhalt Emma einen lauten Pfiff ausstieß. Säuberlich nacheinander waren hier eine Reihe von Frauennamen aufgelistet und Daten eingetragen, aus der eindeutig hervorging, dass ein gewisser Robert mehrere Liebschaften gleichzeitig unterhielt. Aus einem langen Brief, der in einer separaten Datei abgespeichert war, ging hervor, dass Robert, mit Nachnamen Heüveldop, Merkers Ex-Freund und die Liste für seine neue Flamme gedacht war. »Rache ist süß«, griente sie. Frau Merker war nicht zimperlich, was ihre Interessen anging.

      Sie zeigte ihre Entdeckung Daniela. »Es scheint, als habe sich Frau Merker nicht nur Freunde gemacht«, meinte sie, als sich Daniela alles ansah.

      In einem der anderen Ordner fand Emma auch den offenen Brief, den Merker angekündigt hatte. Sie warf nur einen kurzen Blick darauf, sie hatte ihn heute Morgen in der Zeitung bereits gelesen. Emma hatte sie während des Frühstücks gleich durchgesehen, da der offene Brief ja in der Nachricht von Merker erwähnt worden war.

      »Die eigentlichen Probleme, zu viele Schüler, zu wenig Lehrer und oft marode Räumlichkeiten, sind nicht gelöst. Ich bin der Sündenbock und darf faktisch meinem Beruf nicht mehr nachgehen.«

      Es war nicht Merkers Sache, Fehler offen zuzugeben, denn wenn sie den Raum verlassen hatte, hatte sie damit eindeutig die Aufsichtspflicht verletzt. Emma fuhr den PC herunter. Die IT-Ermittler würden sich die sichergestellte Festplatte des PCs gründlich vornehmen. Sie verließen die Wohnung.

      Draußen meinte sie zu Daniela: »Dieser Robert, würde mich interessieren, was der heute so macht. Kannst du da was rausfinden?«

      »Klar«, nickte Daniela. »Ich fahre am besten gleich zurück. Und die Festplatte gebe ich in der IT-Abteilung ab.«

      neunzehnter Juni

      Vor der Grundschule hatte sich eine Traube Menschen gebildet, alle kannten nur ein Gesprächsthema. Barbara sah viele bekannte Gesichter darunter. Sie wollte mit ihren Enkeln einen Ausflug in den Wildpark machen und sie daher direkt von der Schule abholen.

      »Hallo, Barbara«, rief eine der Mütter, die auch ihre Kinder abholen wollten. »Ganz schön warm, was? Sag mal, hast du schon gehört, dass Frau Merker gestorben ist?«

      Barbara nickte. »Ich war gestern in Rühle und bin sozusagen mitten in die Ermittlungsarbeiten geraten.«

      Die Augen der Mutter weiteten sich. »Sag bloß! Hat die Polizei denn irgendwas gesagt?«

      »Nein. Dürfen sie ja nicht.« Barbaras Blick schweifte über die plaudernden Menschen und deren besorgte Gesichter. So


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