Münchhausenschock. Deborah Emrath

Münchhausenschock - Deborah Emrath


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dem restlichen Altglas. Emma machte ein paar Fotos und gab die Flasche zu Andreas heraus, der sie gleich für die KTU verstaute.

      Im Schlafbereich fiel ihr eine angebrochene Packung Schlaftabletten auf. Hm.

      »Habt ihr schon alles durchsucht? Gibt es von den Schlaftabletten hier noch mehr? Etwa leere Packungen im Müll?«

      »Nein«, rief Andreas von draußen. »Die Zeugin fragte auch schon, ob sie sich umgebracht habe, aber mit den paar …«

      Emma nickte. Da hatte er wohl recht, die Menge reichte für einen Suizid einfach nicht aus.

      Sie ließ ihren Blick prüfend über den Schlafbereich wandern und strich über die Bettwäsche. Satin. Frau Merker liebte also ein wenig Luxus. Ein paar Zeitschriften und CDs lagen bei der Tablettenpackung auf der Ablage zwischen den Betten. Sorgfältig blätterte sie die Zeitschriften durch. Vielleicht fand sich ja ein Abschiedsbrief? Fehlanzeige.

      »Sag mal, ist euch irgendein Abschiedsbrief oder so aufgefallen?«, rief sie hinaus.

      »Nein«, rief es von draußen zurück.

      Emma brummte noch einmal »Hm«. Gedankenverloren besah sie sich einen Pokal, der im Küchenbereich am Fenster stand. Neugierig trat Emma näher. Anscheinend hatte Frau Merker an Rollschuhsportwettbewerben teilgenommen, und das mit großem Erfolg. Dann hatte sie doch bestimmt einen Sportarzt?

      Als sie wieder aus dem Wohnmobil kletterte, sah Andreas sie erwartungsvoll an. »Und?«

      Emma runzelte die Stirn und nickte langsam. »Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Es passt nirgendwo zusammen: Wieso sollte eine junge, sportliche Frau ohne Grund einfach so sterben? Wenn es Suizid war, warum finden wir keinen Abschiedsbrief oder leere Blister? Wenn es allerdings ein Tötungsdelikt war …«

      » … ergäbe es zumindest teilweise einen Sinn«, vollendete Andreas den Satz. »Allerdings musst du dann zunächst die Todesursache klären. Damit du überhaupt einen Anhaltspunkt hast und dich nicht in Theorien verhedderst.«

      Jemand klopfte Emma auf die Schulter. »Hört, hört, welch weise Äußerung von deinem Mann!« Zwinkernd gab Daniela Andreas die Hand. »Hallo, Andreas. Schön, dass du wieder auf dem Damm bist! Ich habe erst mal genug gesehen, Emma, du möchtest bestimmt noch mit der Zeugin sprechen, die Frau Merker aufgefunden hat. Ich sehe mich derweil mal in der Umgebung um, okay? Vielleicht ist ja jemandem was aufgefallen.«

      Emma lächelte bestätigend. »Klar, mach das.« Auch Andreas verabschiedete sich, um sich weiter um die Absicherung des Tatorts zu kümmern.

      Frau Lages hielt damit inne, hin- und herzulaufen, und drückte ihre Zigarette aus, als sie Emma auf sich zukommen sah. »Sie hat sich umgebracht, nicht? Das ist alles einfach nur fürchterlich«, sagte sie, ohne eine Begrüßung, und blies den Rest des Zigarettenrauchs in die Luft. »Ich dachte gar nicht, dass sie das immer noch so mitnimmt!«

      »Wie meinen Sie das?«, fragte Emma.

      »Dabei war doch alles schon geklärt. Und dass sie nach diesem Mist, den sie gebaut hat, abgeordnet wird, da muss sie sich doch nicht beschweren!«

      »Wovon reden Sie da?«, fragte Emma noch einmal, diesmal mit mehr Nachdruck. »Ich bin Emma Stanford von der Kriminalpolizei. Bevor ich Sie weiter Sache zur befrage, muss ich Sie darauf hinweisen, dass es Ihnen freisteht, Angaben zu verweigern, durch die Sie sich selbst oder nahestehende Verwandte belasten würden. Wenn Sie sich als Zeuge zur Sache äußern, sind Sie dazu verpflichtet, die Wahrheit zu sagen.«

      Jetzt hatte sie Frau Lages registriert. »Also, sie hat damals, vor fünf Jahren, die Klasse in der Schulküche allein gelassen, als Markus auf Rouven losgegangen ist. Ich denke, das konnte sie sich nicht verzeihen. Rouven ist dabei gestorben, es war schrecklich. Aber sie hat nie den Eindruck erweckt, dass sie sich umbringen will.« Sie lächelte unsicher und strich sich eine ihrer kurzen Strähnen aus dem Gesicht. »Aber das wollten Sie nicht wissen, oder?«

      Emma bemerkte ein leichtes Zittern, das durch den Körper der Frau ging. »Vielleicht setzen Sie sich erst mal.« Langsam führte sie Frau Lages zum Rettungswagen, wo sie sich auf die Stufen zur Versorgungskabine setzten. »Möchten Sie etwas trinken?«

      »Ja, das wäre nett«, sagte Frau Lages. Ein Sanitäter reichte ihr ein Glas Wasser und prüfte auch ihren Blutdruck. Als sie sich wieder gesammelt hatte, berichtete sie: »Carolin, äh, Frau Merker, hätte heute den Förderunterricht halten sollen. Doch die Schüler kamen nach der ersten Stunde zurück in ihre Klassen und sagten, dass Frau Merker nicht gekommen sei. Zuerst dachte ich, dass sie nur geschwänzt hätten, und wollte ihnen schon eine Mahnung aussprechen. Aber als Carolin auch nicht zur Unterrichtsbegleitung von … also, von einer Schülerin mit besonderem Hilfebedarf erschien, dachte ich, dass sie vielleicht krank geworden sei. Doch Julia wusste auch von nichts.«

      Emma sah sie fragend an.

      »Ach, Entschuldigung, ich meine Julia Arneke, unsere Sekretärin. Ich fand das merkwürdig, dass Carolin einfach nicht zum Unterricht erscheint, also bin ich nach Dienstende zu ihr gefahren. Es hat niemand aufgemacht. Und als ich schon fast zu Hause war, habe ich mich daran erinnert, dass sie mal von einem Stellplatz in Rühle geredet hat. Es war eh schon später als sonst, also dachte ich, was soll’s, auf die paar Minuten kommt es jetzt auch nicht mehr an, ich fahre einfach mal vorbei. Tja, und dann …«

      »Woher haben Sie gewusst, dass dies hier Frau Merkers Wohnmobil ist?«

      »Ich habe an der Rezeption nachgefragt.«

      »Und die Tür des Wohnmobils war offen?«

      »Ja, zwar geschlossen, aber nicht zugeschlossen. Ich habe geklopft, und als niemand antwortete, durch die Scheibe gesehen. Ich sah jemanden sitzen, zur Seite gesunken, und dachte, sie schläft. Also habe ich versucht, die Tür zu öffnen. Sie war nicht zugesperrt. Und als ich dann reinging, sah ich sie da, zusammengekauert auf der Sitzbank.«

      »Wann haben Sie gemerkt, dass etwas nicht stimmt? Sie gingen ja davon aus, dass Frau Merker schläft.«

      »Als ich sie berührt habe. Ich wollte sie aufwecken, sie fühlte sich aber so kalt an.« Frau Lages schüttelte sich. »Entschuldigung, das war alles ein bisschen viel. Könnten wir später weiterreden? Ich möchte gerne nach Hause.«

      Emma lächelte mitfühlend. »Natürlich. Sie müssten allerdings später noch einmal nach Hameln kommen, um Ihre Aussage zu unterschreiben. Aber vorerst haben wir keine Fragen mehr. Soll ich jemanden organisieren, der Sie heimfährt?« Besorgt blickte Emma in Frau Lages‘ blasses Gesicht. »Sie sehen nicht aus, als könnten Sie sicher ein Fahrzeug führen, nehmen Sie’s mir nicht übel, wenn ich das so sage.«

      Frau Lages grinste schief. »Ach, Sie haben ja recht. Ich merke jetzt erst, was das für ein Schock war. Aber mein Mann ist arbeiten, der kann mich nicht abholen. Ob Sie wohl ein Taxi rufen könnten?«

      Emma nickte. »Machen wir. Und während Sie warten, kann ich mir kurz Ihre Personalien notieren.«

      Eine Weile später, auf dem Parkplatz des Campingplatzes, sah sie nachdenklich zu, wie das Taxi mit Frau Lages abfuhr.

      Dann streifte sie sich vorsichtig Einmalhandschuhe über und holte das Smartphone von Frau Merker hervor.

      Ein klein wenig herumprobieren und sie hatte das Telefon entsperrt. Zwei Nachrichten interessierten sie besonders, nachdem sie alles durchgesehen hatte. Beide waren von Freitag.

      Eine war von Merker an eine Vera Meyer-Burkhardt, Direktorin der Münchhausenschule, in der sie einen offenen Brief in der lokalen Tageszeitung ankündigte. Sie wolle dort Stellung nehmen zu dem Thema Inklusion und damit einhergehend zu dem Vorfall, der sie in ihre momentane berufliche Situation gebracht hatte, hieß es. Diesen offenen Brief wollte Emma lesen. Es betraf sie nicht nur beruflich, sondern auch privat, denn ihre Tochter Anna ging auf die Grundschule, an der Frau Merker als Sonderschullehrerin arbeitete. Jetzt wohl eher gearbeitet hatte.

      Die andere Nachricht war von einer Sabine Klenkemeyer. Sie betonte darin, dass sie die Entscheidung ihrer Tochter bezüglich des Klassenwechsels ihrer Enkel unterstütze. Sie halte ihr Verhalten von damals immer


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