Münchhausenschock. Deborah Emrath

Münchhausenschock - Deborah Emrath


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drehte Andreas sich um. »Was ist da auf dem Campingplatz?«

      »Wir haben einen Dauerstellplatz direkt am Wasser. Er dient uns im Prinzip als Parkplatz für unser Wohnmobil.«

      »Direkt am Wasser, sagen Sie? Und wo da?«

      Irritiert schaute Herr Klenkemeyer Andreas an. »Ziemlich weit hinten, nah am Weserradweg, wieso fragen Sie?«

      »Ihre Nachbarin dort heißt nicht zufällig Merker?«

      Ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Doch, ja.«

      Andreas räusperte sich. »Gut, danke für die Information.«

      Tobias Klenkemeyer zögerte und rieb sich den Nacken. »Sie … war Sonntag gegen Abend, nach den Nachrichten, für etwa zwei Stunden beim Wohnmobil. Ich weiß nicht, ob das wichtig ist, aber wenn Sie so nachfragen …«

      Andreas notierte sich das. »Schien sie Ihnen anschließend, nachdem sie auf dem Campingplatz war, verändert? Hatte sie vor etwas Angst oder schien sie verwirrt?«

      Herr Klenkemeyer schüttelte nachdenklich den Kopf. »Nein. Sie hat seelenruhig mit mir noch eine Partie Schach gespielt.«

      Andreas ging Richtung Tür. »Wir werden alle Möglichkeiten prüfen. Ich würde mir nicht allzu viele Sorgen machen. Und wenn sie wieder auftaucht, dann sagen Sie bitte Bescheid.« Herr Klenkemeyer nickte mühsam.

      Andreas hielt noch einmal an. »Würden Sie mir auch das Kennzeichen des Fahrzeugs nennen, mit dem Ihre Frau vermutlich unterwegs ist? Sie sagten, ihr Wagen sei nicht in der Garage?«

      »Stimmt. Einen Moment.« Er ging zu einem Regal, holte sich einen Stift und schrieb eine Zahlen-Buchstaben-Folge auf. Kurz darauf verließ Andreas das Anwesen mit einem Zettel und telefonierte mit Emma. Sie musste wissen, dass die Frau, die damals Frau Merker für den Tod ihres Sohnes verantwortlich machte, nun selbst verschwunden war.

      Als Emma das Büro ihres Chefs verließ, stand Daniela vor der Tür. »Oh, hallo Emma. Alexander, ich wollte kurz mit dir sprechen, ist das okay?«

      »Ein kurzes Gespräch immer«, schmunzelte Weishaupt, der Emma zur Tür gebracht hatte, »eine kurze Hose …«

      Daniela seufzte und Alexander nickte anerkennend beim Blick auf ihre weite, bunte Sommerhose und ihre Tunika.

      Emma feixte. Daniela trug selbst im Sommer keine kurzen Hosen, da sie nicht einsah, warum sie sich die Beine rasieren solle. Schließlich war das Haar ja aus gutem Grund dort am Körper.

      »Ich weiß.« Daniela deutete an sich herunter. »Das äußere Erscheinungsbild bei Bürgerkontakt. Ist das so genehm?«

      »Der Deal steht«, lachte Alexander und sie gingen ins Büro.

      Nach einer hitzigen Diskussion hatten sich die beiden Streithähne auf einen Kompromiss geeinigt: Sie konnte mit ihren Beinen machen, was sie wollte, dafür trug sie während der Arbeitszeit nur lange Hosen.

      Emma machte auf dem Weg nach Hause einen kurzen Abstecher zum Campingplatz. Es würde ihr ohnehin keine Ruhe lassen, also konnte sie genauso gut vor Ort nachfragen, ob es etwas Neues gab. Sie sprach gerade mit ein paar Kollegen vom Erkennungsdienst - nein, sie seien noch am Auswerten -, als sie hörte, dass jemand ihren Namen rief. Sie schaute sich um.

      »Hallo, Barbara, du hast dir einen schlechten Zeitpunkt für eine Fahrradtour ausgesucht«, sagte sie mit Blick auf das Gefährt, das Barbara schob. Barbara war eine gute Freundin von Emma geworden, auch wenn sie recht unterschiedliche Charaktere waren. Barbara stand kurz vor der Rente und hielt sich, nachdem ihre vier Kinder aus dem Haus waren und ihr Mann viel zu früh an Krebs gestorben war, mit Putzjobs und einem Vierhundert-Euro-Job beim örtlichen Supermarkt über Wasser. Sie war gewitzt, hatte Menschenkenntnis und einen Hang dazu, die Dinge ganz praktisch anzugehen, was Emma immer wieder in Bewunderung versetzte.

      »Um Gottes willen, was ist denn bloß passiert, dass du hier bist?«, fragte Barbara. »Ist etwas mit Frau Merker? Das ist doch ihr Wohnmobil?«

      »Kanntest du sie? Kannst du mir etwas über sie erzählen?«, fragte Emma zurück. Barbara kannte so ziemlich jeden hier, da sie seit ihrer Geburt in Bodenwerder lebte. Da ließ sich Emma nicht entgehen, dass Barbara etwas berichten konnte, was ihr half, zu verstehen, was für ein Mensch Frau Merker gewesen war.

      »Kennen ist wohl zu viel gesagt«, schränkte Barbara ein. »Frau Merker hat mal einen Wandertag mit ihrer Klasse organisiert, zusammen mit der Grundschullehrerin. Da muss ja immer eine Mutter oder ein Vater als Betreuer mit. Meine Enkelin hat mich bequatscht, weil sie gerne ihre Oma dabeihaben wollte.« Barbara lächelte, als die Erinnerung wieder lebendig wurde. »Wir haben hier zum Abschluss Würstchen gegrillt und die Kinder durften Limonade trinken.«

      »Und was hattest du für einen Eindruck von ihr?«

      »Sie schien mir engagiert und hatte ein Händchen für die Bedürfnisse der Lernhilfekinder. Sie war auch ziemlich sportlich, das ist mir am Wandertag aufgefallen, und meine Enkelin sagte mir, dass sie eine AG in der Schule anbietet, wo die Kinder sich im Rollkunstlauf ausprobieren können.«

      »Hast du sie denn vor kurzem mal wieder gesehen?«

      »Sie lief mir ab und zu über den Weg, wenn ich die Enkel von der Schule abgeholt habe. Aber ich habe sie nie länger gesprochen.«

      »Erschien sie dir irgendwie verändert in letzter Zeit? Traurig oder verzweifelt?«

      »Du meinst, depressiv? Es ist mir zumindest nicht aufgefallen. Eigentlich muss ihr der Tod des kleinen Rouven ziemlich nahegegangen sein, immerhin ist es ja unter ihrer Aufsicht passiert.«

      »Davon habe ich gehört. Was ist damals denn genau passiert?«

      »Ich weiß auch nur das, was die Schule als offizielle Version herausgegeben hat. Zwei Schüler sind in der Schulküche in Streit geraten, der eine hat mit dem Messer zugestochen. Warum, haben sie nicht geschrieben. Es wurde viel darüber spekuliert. Frau Merker ist in Panik aus der Schulküche gerannt, um Hilfe zu holen. Das war ihr Fehler, sie hätte ein Kind schicken müssen. Sie durfte den Raum nicht verlassen, da sie allein unterrichtet hat.«

      Emma schüttelte den Kopf. »Das ist allerdings fatal. Und es wirft weitere Fragen auf. Warum hat sie den Täter nicht auch aus dem Raum entfernt? Er hätte doch noch einmal zustechen können?«

      »Das weiß ich nicht.« Barbara atmete hörbar aus. Die Geschichte war an ihr nicht spurlos vorbeigegangen. »Der Bub war ja gerade mal dreizehn. Keine Ahnung, ob er überhaupt begriffen hat, was er getan hat.«

      »Dreizehn?« Emma zog die Augenbrauen hoch. »Also schuldunfähig?«

      Barbara sah sie fragend an.

      »Personen, die noch nicht vierzehn Jahre alt sind, können vor dem Strafgericht nicht bestraft werden, weil sie noch nicht strafmündig sind. Sie können allerdings über das Familiengericht mit bestimmten Maßnahmen zur Verantwortung gezogen werden. Und dann ist da noch die Frage der Aufsichtspflichtverletzung.«

      »Ja, das weiß ich, das haben sie auch bei Frau Merker geprüft.«

      »Kannst du dir vorstellen, dass sie sich deswegen das Leben nehmen wollte?«

      »Das kann ich mir nicht vorstellen. Sie schien mir ein ziemlich robuster Typ.« Emmas Telefon klingelte. Schnell umarmte sie Barbara zum Abschied. »Ich muss los. Fahr am besten über die Hauptstraße weiter. Du kommst doch morgen zum Abendessen, wie ausgemacht?« Barbara nickte, deutete auf das Handy und meinte: »Geh schon ran, wir sehen uns!« Dann schwang sie sich auf ihren Drahtesel und radelte den Weg zurück, den sie gekommen war.

      Emma klickte auf Annehmen. »Hallo, Liebes, wie geht es dir denn? Und wie geht es Andreas?«

      »Mama?«, sagte Emma in den Hörer. »Du, ich bin noch auf der Arbeit. Ich habe keine Zeit, zu telefonieren. Ich rufe dich später an, okay? Ich stecke mitten in einer Ermittlung.«

      »Es


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