Münchhausenschock. Deborah Emrath

Münchhausenschock - Deborah Emrath


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sah sie sich die Notizen in ihrer Organisationsapp durch: Merker hatte sich Sonntag einen Vermerk für Montag eingetragen: Sophie wegen H. anrufen.

      Kurze Zeit später setzten sich Emma und Daniela gegenseitig auf den neuesten Stand.

      »Und, hast du was herausgefunden? Eine Spur, der wir nachgehen können? Hat jemand der Nachbarn was gesehen?«

      »Leider nicht«, war Danielas kurze Antwort. »Momentan ist niemand da. Wir brauchen erst von der Rezeption eine Liste, wer am Wochenende die Nachbarstellplätze gemietet hat. Ist denn der Erkennungsdienst gar nicht da?«

      Emma schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Ich habe übrigens Geraldine gebeten, uns mit einer Kollegin aus der Rechtsmedizin zu unterstützen.«

      »Geraldine Stein, die Staatsanwältin? Ach ja, sie muss die Obduktion anordnen!«

      Emma bat einen Kollegen aus dem Team, zu Frau Merkers Wohnung zu fahren und diese zu versiegeln, bis sie Zeit hatte, sie sich anzusehen.

      Zeitgleich mit dem Erkennungsdienst kam die Rechtsmedizinerin aus Hannover. Sie hieß Helen Becker und Emma begleitete sie zu der Fahrtrage, auf der Frau Merker lag.

      »Sie wollen wissen, ob es sich hier um Suizid oder Fremdeinwirkung handelt?«

      Emma nickte. »Sofern Sie das so schnell beurteilen können. Ansonsten wäre noch die Frage wichtig, ob es sich hier um den Tatort oder den Fundort der Leiche handelt.«

      Die Ärztin zog sich Gummihandschuhe über. »Dann schauen wir mal.« Sie besah sich gründlich den gesamten Körper, auch die Körperöffnungen. »Tja, ich sehe keine Anzeichen dafür, dass die Leiche nach ihrem Tod noch bewegt wurde. Die anderen Spuren stammen vom Abtransport aus dem Wohnwagen hierher, um sie untersuchen zu können. Daher gehe ich davon aus, dass dies hier auch der Tatort ist.« Sie träufelte Augentropfen in Merkers Augen. »Keine Reaktion mehr. Also länger als zwölf Stunden tot. Dann brauche ich das Reizstromgerät nicht mehr. Die Gesichtsmuskeln reagieren nur bis sechs Stunden nach dem Tod auf Strom. Somit bleibt uns noch eines.« Sie holte ein elektronisches Thermometer hervor. Zunächst maß sie rektal die Temperatur von Merkers Leichnam. Dann sagte sie: »Sie wurde im Wohnwagen aufgefunden? Dann muss ich dort auch die Temperatur messen.«

      Emma zeigte ihr den Weg und als die Ärztin nach einer Weile wieder aus dem Wohnwagen kam, sagte sie: »Ich habe jetzt die Temperatur an verschiedenen Stellen und verschiedenen Höhen gemessen. Der Körper beginnt etwa drei Stunden nach seinem Tod abzukühlen, und das mit etwa einem Grad pro Stunde, also können wir von einem Todeszeitpunkt zwischen einundzwanzig Uhr und zweiundzwanzig Uhr dreißig am Sonntag ausgehen. Genauer geht es leider nicht.«

      »Oh, das hilft uns schon viel weiter! Und die Todesursache?«

      »Das kann ich beim besten Willen erst nach der Obduktion beurteilen. Äußerlich ist nichts erkennbar.«

      Emma seufzte. »Ja, das ist es ja. Alles ziemlich merkwürdig.«

      »Allerdings«, bestätigte die Ärztin, »wenn es sich nicht um einen Todesfall handeln würde, würde ich Ihnen sagen, dass das für mich eine spannende Sache wird. Wir hören voneinander, Frau Stanford.«

      Eine Stunde später saß Emma im Büro ihres Vorgesetzten. Alexander hatte eindeutig schlechte Laune, »not amused« würde es Andy bezeichnen. Innerlich musste Emma bei dem Gedanken daran lächeln, obwohl die Situation gar nicht zum Lachen war.

      »Was fällt dir ein, die Notärztin so anzumachen? Emma, ich bin von dir professionelles Verhalten gewöhnt! Sie hat sich bei mir beschwert, dass du ihr einen Aufpasser vor die Nase gesetzt hast, indem du die Rechtsmedizin dazu geholt hast.«

      Emma schüttelte verständnislos den Kopf. »Die Frau hat wahrscheinlich noch nie einen Totenschein in der Hand gehabt, Alex. Und sie kannte die Tote auch privat. Sie schien nicht wirklich eine Ahnung zu haben, wenn du mich fragst. Deshalb habe ich eine Rechtsmedizinerin gerufen. Es sind zu viele Ungereimtheiten aufgetaucht und ich werde keinen Mörder davonkommen lassen, weil …«

      »Herrje, du kannst aber nicht derart in die Kompetenzen dieser Ärztin grätschen! Das ist aber noch nicht alles. Ich habe auch einen Anruf von Frau Stein erhalten. Das macht keinen guten Eindruck, dass ich von deiner Freundin Frau Staatsanwältin erfahre, dass die Untersuchung vor Ort genehmigt wurde und die Rechtsmedizinerin unterwegs ist. Emma, Obduktionen kosten Steuergelder! Genauso wie die Rechtsmedizinerin, die jetzt eine fette Rechnung stellen wird. Und ich muss erklären, warum wir dieses Geld an einen Fall mit natürlicher Todesursache verschwendet haben, sollte das die Obduktion ergeben. Und dann noch deine Freundschaft mit Frau Stein, Emma!«

      »Und was ist mit dem Leitsatz Besser einmal zu viel als einmal zu wenig? Wir sollen doch gerade die schützen, die diese Steuern zahlen. Ohne eine Ermittlungsgrundlage helfen wir nur den Tätern.«

      Alexander seufzte und erhob sich aus seinem Stuhl. »Du hast ja damit echt. Aber du weißt, wie unsere Situation ist. Zu wenig Geld, zu wenig Personal - und wenn die Presse etwas von Kungelei wittert, zerreißen sie uns in der Luft. Keine Alleingänge mehr. Haben wir uns verstanden?«

      Er sah Emma fest in die Augen. Sie seufzte, stand ebenfalls auf und gab ihrem Chef die Hand. »Verstanden.«

      achtzehnter Juni

      Andreas tippte mit dem Kugelschreiber auf seinen Schreibtisch. Der erste Tag seiner Wiedereingliederung hatte vielversprechend begonnen, doch jetzt, nach dem Einsatz, war ihm langweilig. Sein Chef hatte ihm für den Nachmittag Innendienst verordnet, dabei war die Sache auf dem Campingplatz genau das Richtige gewesen. Seltsame Sache. Aber eben nicht mehr seine Sache.

      Die Tür der Polizeistation Bodenwerder öffnete sich und eine Frau, schätzungsweise Mitte Dreißig, trat ein. »Guten Tag, kann ich hier eine Vermisstenanzeige aufgeben?«

      »Natürlich«, sagte Andreas und nahm sich die entsprechenden Formulare gleich mit, als er zu der noch unbekannten Frau ging, um ihr zur Begrüßung die Hand zu schütteln. »Ihren Namen, bitte, und wen vermissen Sie denn?« »Mein Name ist Maria Schmidt, geborene Klenkemeyer. Ich vermisse meine Mutter Sabine Klenkemeyer.«

      Bei diesem Namen durchzuckte es Andreas, aber er bemühte sich, ruhig zu bleiben.

      »Sie hat meine Kinder, ihre Enkel, nicht von der Schule abgeholt. Sie haben mich angerufen, dass Oma nicht gekommen ist. Und zu Hause ist sie auch nicht. Mein Vater geht nicht ans Telefon, er arbeitet. In Rühle, wo sie auch hingegangen sein könnte, ist sie auch nicht. Sonst ist sie so zuverlässig. Sonntag haben wir noch telefoniert und es war alles in Ordnung. Ich mache mir Sorgen!«

      »Also wird sie noch nicht lange vermisst? Ich befürchte, dann kann ich wenig für Sie tun. Ihre Mutter ist erwachsen und in der Lage, ihren Aufenthaltsort selbst zu bestimmen.«

      »Wie bitte?« Die besorgte Tochter hatte offensichtlich etwas anderes erwartet.

      »Nimmt sie denn irgendwelche lebenswichtigen Medikamente ein?«

      »Soviel ich weiß, nicht. Meine Mutter ist gesund. Aber sie würde doch Bescheid sagen, wenn sie die Kinder nicht abholen kann! Da stimmt etwas nicht!«

      »Haben Sie denn Hinweise, dass ein Verbrechen geschehen sein könnte?«

      »Nein, das nicht, aber …«

      »Sehen Sie, vielleicht hat sie nur bei einer Freundin die Zeit vergessen oder sie ist irgendwohin gefahren und steckt auf der Rückfahrt im Stau. Am besten, Sie gehen gleich mal bei Ihrer Mutter vorbei und sehen nach, ob sie schon wieder da ist.« Am liebsten hätte er etwas anderes gesagt, aber eine Info an Emma später musste reichen.

      Michael hatte das Gespräch mit angehört und meinte: »Fahr doch gleich mit. Wenn sie immer noch nicht aufgetaucht sein sollte, kannst du zumindest mal mit dem Ehemann reden.« Zu Andreas gewandt flüsterte er: »Damit du nicht vor Langeweile umkommst und den nächsten Mord ausgräbst!«

      Ein kurzer Blick zu Michael und Andreas wusste, warum er das sagte. Sagen durfte. Obwohl Andreas eigentlich Michaels Chef war, ging ihre Freundschaft


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