Münchhausenschock. Deborah Emrath

Münchhausenschock - Deborah Emrath


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ihre Eltern, wohnen in Hannover. Die Kollegen vor Ort fahren dort hin.«

      »Kommen die Eltern als potentielle Verdächtige in Frage?«

      »Soweit ich weiß, nicht. Sie sind erst gestern von einer Urlaubsreise mit Freunden zurückgekehrt.«

      »Gut, das überprüfe ich. Sag den Kollegen aber, dass ich die Eltern noch befragen will.«

      »Geht klar.«

      »Wer hat sie gefunden?«

      »Das war ihre Kollegin dort drüben, Petra Lages.« Er deutete auf eine Mittvierzigerin mit flottem Kurzhaarschnitt. »Sie hat nach ihr gesucht, als sie heute Morgen nicht zur Arbeit erschienen ist. Frau Merker besitzt noch eine Eigentumswohnung in Bodenwerder, dort hat sie zuerst nachgesehen und sich dann erst an diesen Platz hier erinnert.«

      »Haben wir die Daten?«

      »Ja, hier sind Personalausweis und Handy. Wir haben auch Schlüssel gefunden, vermutlich gehören die zu ihrer Wohnung und zur Schule.« Er drückte Emma durchsichtige Tüten in die Hand. »Die Kollegin hat gefragt, ob es Selbstmord war. Aber drinnen weist nichts darauf hin. Das ist merkwürdig. Doch bevor ich dir das Wohnmobil zeige, solltest du erst mit der Notärztin reden, Dr. Ekes. Sie kennt, äh, kannte Frau Merker gut, als ihre Hausärztin. Außerdem haben sie gemeinsame Bekannte. Hinzu kommt, dass es anscheinend ihre erste Todesfallbescheinigung ist. Weißt du, normalerweise bin ich ja eher erleichtert, wenn bei jemandem, der eindeutig aufgrund des Alters verstorben ist, auch das Kreuz an der richtigen Stelle gemacht wurde. Normalerweise sagen Ärzte lieber, dass die Todesursache ungeklärt ist, um kein Risiko einzugehen. Aber hier …« Andreas ließ den Satz unvollendet.

      Sie gingen zum Rettungswagen. Die Notärztin hatte den ausgefüllten Totenschein in der Hand. Emma erkannte das charakteristische Formular.

      Sie stellte sich vor und fragte: »Haben Sie schon etwas zur Todesursache herausgefunden?«

      Die Ärztin schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Einwirkungen von außen feststellen können. Mehr als Herzstillstand kann ich im Moment nicht sagen.« Sie nahm sich wieder den Totenschein vor und schüttelte noch einmal den Kopf. »Ich könnte genauso gut das Kreuz bei natürlicher Todesursache machen, das käme aufs Gleiche heraus.«

      »Stopp mal!« Emma dachte an Andreas’ Worte. »Sie haben aber Todesursache unbekannt angegeben? Sonst haben wir keine Ermittlungsgrundlage mehr. Ich kümmere mich besser um Unterstützung aus der Rechtsmedizin. Wir müssen sicher sein, dass es kein Suizid war oder Fremdeinwirkung. Das muss sich jemand vor Ort ansehen. Außerdem kannten Sie die Tote, das ist auch für Sie als Betroffene besser. Mit sechsunddreißig Jahren stirbt man doch nicht einfach so.«

      Die Ärztin funkelte sie wütend an.

      »Herrje, wenn das Kreuz nicht bei unbekannt wäre, wären Sie wohl kaum hier, oder? Wollen Sie mir damit sagen, dass ich meinen Job nicht verstehe? Oder dass ich nicht in der Lage bin, Berufliches und Privates zu trennen? Ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall kann durchaus junge Frauen treffen, insbesondere, wenn sie rauchen und gleichzeitig Verhütungsmittel einnehmen. Nichts anderes ist Frau Merker wahrscheinlich passiert!« Leise fügte sie hinzu: »Das wäre sowieso für alle das Beste.«

      »Lassen Sie es uns zusammen mit der Rechtsmedizin herausfinden, ob es tatsächlich so war. Das ist wirklich für alle das Beste. Ich will nicht zu jenen Kommissaren gehören, die ein Tötungsdelikt nicht aufklären, weil es gar nicht als solches erkannt worden ist. Mehr als tausend Tötungsdelikte bleiben jedes Jahr unentdeckt, wegen fehlerhafter Todesbescheinigungen. Deshalb, und auch, weil ich Ihnen weitere Untersuchungen Ihrer Bekannten ersparen möchte, will ich die Rechtsmedizin zur Unterstützung hier haben.«

      Dr. Ekes schluckte. »Was soll ich den Verwandten und gemeinsamen Bekannten sagen? Ich kannte sie auch privat. Wie soll ich Ihnen denn einen Suizid beibringen? Oder schlimmer noch: Sie werden denken, dass ich sie verdächtige.«

      »Ich kann Ihre Sorgen verstehen. Aber sie helfen nicht, die Wahrheit herauszufinden … nicht wahr?«

      Die Ärztin schaute mit zusammengekniffenen Augen von ihren Unterlagen auf. »Wenn Sie mir schon einen Aufpasser zur Seite stellen: Haben Sie denn überhaupt einen Verdacht? Wer sollte sie denn ihrer Meinung nach getötet haben?«

      »Genau dafür sind wir da. Um diese Frage zu beantworten. Bei allem Respekt, Sie sind nun mal keine Rechtsmedizinerin.«

      Andreas legte Emma beruhigend die Hand auf die Schulter. »Dr. Ekes, wir haben bei Frau Merker keine Medikamente zur Empfängnisverhütung gefunden. Es gab auch keine Anzeichen dafür, dass sie geraucht hat. Es können also durchaus noch andere Ursachen in Betracht kommen, aber dazu brauchen wir die Rechtsmedizin. Dass Sie das in der kurzen Zeit mit Ihren Mitteln nicht zweifelsfrei klären können, das liegt doch auf der Hand.«

      Die Ärztin wollte wieder protestieren, doch Emma schnitt ihr das Wort ab. »Hören Sie, ich bin nicht hier, um lediglich den Sack zuzumachen. Ich mache meine Arbeit gründlich und erwarte das auch von anderen. Wenn Sie nicht sicher sind, ob es eine natürliche Todesursache war oder ob die Möglichkeit von Fremdeinwirkung besteht, dann notieren Sie das, was Sie mit Sicherheit sagen können! Dann kann die eigentliche Untersuchung durch die Rechtsmedizin erfolgen. Umso mehr, wenn Sie Frau Merker kannten. Das sind Sie ihr doch schuldig. Auch dann, wenn Sie den Angehörigen und Bekannten Weiteres ersparen möchten.«

      Die Augen der Ärztin glitzerten, aber dann schnaubte sie genervt. »Meine Einschätzung ist doch nicht aus der Luft gegriffen, sie basiert auf einer medizinischen Grundlage! Ich habe keine äußerlichen Spuren von Gewalteinwirkung gefunden. Sie hat nicht erbrochen, kein Schaum vor dem Mund, die Haut hat sich nicht auffällig verfärbt, nichts, was auf eine Vergiftung hindeuten könnte. Alles sieht danach aus, als wäre sie einfach eingeschlafen. Vermutlich trat der Tod zwischen Sonntagmittag und Sonntagnacht ein. Ich kann die Leichenflecken noch wegdrücken, das geht bis etwa sechsunddreißig Stunden nach dem Tod. Die Leichenstarre ist komplett, hat sich aber noch nicht begonnen, zu lösen, was etwa vierundzwanzig Stunden nach dem Tod der Fall wäre. Das wollten Sie doch wissen?«

      Emma verdrehte die Augen. »Dr. Ekes, ich zweifle nicht daran, dass Sie eine kompetente Ärztin sind. Aber wir brauchen genauere Angaben, was zum Beispiel die Todeszeit betrifft. Und wir müssen zweifelsfrei klären, ob der Wohnwagen auch der Tatort war. Ein Rechtsmediziner hat dafür das richtige Werkzeug. Sollte es sich um einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall handeln, dann kann man das auch noch nach dem Tod nachweisen. Aber eben nur, wenn wir mit Hilfe der Rechtsmedizin eine Todesursachenermittlung durchführen können!«

      »Schon gut, ich habe verstanden!« Zähneknirschend legte sie den Totenschein beiseite – Todesursache: unbekannt, wie Emma aufatmend feststellte. Dann stapfte sie zur Fahrertür des Rettungswagens.

      Emma rief sofort Geraldine Stein an. Geraldine war nicht nur Staatsanwältin, sondern auch mit Emma befreundet. Wenn sie ihr die merkwürdige Situation schilderte, in der sie Frau Merker aufgefunden hatte, bekäme sie bestimmt Rückendeckung von der Staatsanwaltschaft und eine Rechtsmedizinerin an den Fundort, auch wenn das generell nicht üblich war.

      Außerdem musste sie in dem Gespräch dringend klären, welche Informationen an die Presse weitergegeben werden konnten und was als Täterwissen einzustufen war. Wenn es einen Täter gab. Doch Andreas hatte nicht umsonst einen guten Riecher.

      Die Reporter standen schon vor der Absperrung und es dauerte bestimmt nicht mehr lange, bis einer sich entschloss, diese Absperrung zu ignorieren, um exklusiv an Informationen zu gelangen.

      Emma wandte sich nun dem Wohnmobil zu. Vor dem Eintreten zog sie sich Einmalhandschuhe über. Fahrer- und Beifahrersitz hatte die Besitzerin mit dem Rücken zur Windschutzscheibe gedreht, damit sich mit der Sitzbank dahinter eine gemütliche Sitzecke ergab. Der mit Holz verkleidete Tisch dazwischen strahlte zusammen mit dem grauen Stoff der Sitze eine heimelige Atmosphäre aus.

      »Dort auf der Sitzbank hat man sie gefunden«, meinte Andreas, der ihr an die Tür gefolgt war. »Der Erkennungsdienst kommt noch, also vorsichtig.«

      Auf dem Ausziehtisch neben der Spüle standen zwei Sektgläser. Sie schienen sauber


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